Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.immer daran denken muß, das Buch ist eine Geldspeculation. G. Sand er¬ Es geht den meisten Selbstbiographen so, daß sie die erste Zeit ihres Aurore Dupin ist 1806- geboren. Der Vater stammte aus einem ange¬ Die Mutter war keineswegs gemeint, sich jener nach ihrer Ansicht be¬ immer daran denken muß, das Buch ist eine Geldspeculation. G. Sand er¬ Es geht den meisten Selbstbiographen so, daß sie die erste Zeit ihres Aurore Dupin ist 1806- geboren. Der Vater stammte aus einem ange¬ Die Mutter war keineswegs gemeint, sich jener nach ihrer Ansicht be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0490" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100944"/> <p xml:id="ID_1452" prev="#ID_1451"> immer daran denken muß, das Buch ist eine Geldspeculation. G. Sand er¬<lb/> zählt uns ganz aufrichtig, daß sie zu ihrer poetischen Thätigkeit fast ausschlie߬<lb/> lich durch das Bedürfniß getrieben wurde, sich ihren Lebensunterhalt zu ver¬<lb/> dienen, und dagegen ist anch nicht das Geringste einzuwenden; aber mit<lb/> Familienangelegenheiten darf man nicht speculiren. — Wir lassen für den<lb/> Augenblick diese Betrachtung bei Seite und gehen auf den Inhalt ihres<lb/> Lebens ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1453"> Es geht den meisten Selbstbiographen so, daß sie die erste Zeit ihres<lb/> Lebens, wo Dichtung und Wahrheit sich noch lieblich vermischen, mit besondrer<lb/> Vorliebe behandeln. So erzählt uns auch G. Sand am ausführlichsten die<lb/> Geschichte ihrer Kindheit und Jugend, zum Theil sehr poetisch, aber das eigent¬<lb/> liche Interesse beginnt doch für uns mit dem siebenten Bande.</p><lb/> <p xml:id="ID_1454"> Aurore Dupin ist 1806- geboren. Der Vater stammte aus einem ange¬<lb/> sehenen Hause und war Offizier. Die Mutter war nicht blos aus niederm<lb/> Stande, sondern ihr Leben war auch nicht ohne Flecken, was uns die Tochter<lb/> sehr ausführlich erzählt. Wegen seiner Mesalliance hatte Herr Dupin mit<lb/> seiner Familie gebrochen, indeß wurde die Mutter doch wieder versöhnt, und als<lb/> er durch einen Unglücksfall umkam, nahm sie sich der kleinen Enkeltochter an.<lb/> Auch das Verhältniß zur Schwiegertochter wurde, so gut es gehen konnte,<lb/> ausgeglichen; doch fand ein beständiger Krieg um die Liebe des Kindes zwischen<lb/> den beiden Frauen statt. Die ältere, eine zarte, feingebildete aristokratische<lb/> Dame, in den Formen ^und Vorurtheilen ihres Standes aufgewachsen, die<lb/> jüngere eine leidenschaftliche, excentrische Tochter des Volks, ursprünglich mit<lb/> einem gesunden Fond ausgestattet, aber in allen Dingen zum Uebermaß ge¬<lb/> neigt, leichtsinnig, argwöhnisch, launenhaft und durch keine Form der Bildung<lb/> geschult. Das Herz Auroras gehörte ursprünglich ganz der Mutter an, und<lb/> nur mit Widerstreben fügte sie sich dem sanften Joch ihrer Großmutter, all-<lb/> mälig aber hatte sie sich daran gewöhnt, und als Madame Dupin starb,<lb/> 1822, war sie vollständig damit einverstanden, paß durch eine Testaments-<lb/> clausel ihre weitere Leitung ihrer Mutter entzogen wurde. Von ihrer Jugend-<lb/> geschichte ist nur noch nachzuholen, daß sie eine Zeitlang im Kloster erzogen<lb/> war und sich dort bemüht hatte, durch religiöse Ekstase den Mang-el eines<lb/> ruhigen, sichern Glaubens zu ersetzen, wie sie es auch in mehrern ihrer Ro¬<lb/> mane erzählt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1455" next="#ID_1456"> Die Mutter war keineswegs gemeint, sich jener nach ihrer Ansicht be¬<lb/> schimpfenden Testamentsclausel zu fügen. Der lang verhaltene tiefe Groll<lb/> gegen die vornehme Schwiegermutter machte sich jetzt auf eine unschöne Weise<lb/> Lust. Das Gericht war auf ihrer Seite, sie bemächtigte sich ihrer Tochter und<lb/> wußte dieselbe mit einem Raffinement zu quälen, das nnr bei der leidenschaft¬<lb/> lichen Natur eines wilden Weibes möglich ist. Das Verhältniß wurde un-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0490]
immer daran denken muß, das Buch ist eine Geldspeculation. G. Sand er¬
zählt uns ganz aufrichtig, daß sie zu ihrer poetischen Thätigkeit fast ausschlie߬
lich durch das Bedürfniß getrieben wurde, sich ihren Lebensunterhalt zu ver¬
dienen, und dagegen ist anch nicht das Geringste einzuwenden; aber mit
Familienangelegenheiten darf man nicht speculiren. — Wir lassen für den
Augenblick diese Betrachtung bei Seite und gehen auf den Inhalt ihres
Lebens ein.
Es geht den meisten Selbstbiographen so, daß sie die erste Zeit ihres
Lebens, wo Dichtung und Wahrheit sich noch lieblich vermischen, mit besondrer
Vorliebe behandeln. So erzählt uns auch G. Sand am ausführlichsten die
Geschichte ihrer Kindheit und Jugend, zum Theil sehr poetisch, aber das eigent¬
liche Interesse beginnt doch für uns mit dem siebenten Bande.
Aurore Dupin ist 1806- geboren. Der Vater stammte aus einem ange¬
sehenen Hause und war Offizier. Die Mutter war nicht blos aus niederm
Stande, sondern ihr Leben war auch nicht ohne Flecken, was uns die Tochter
sehr ausführlich erzählt. Wegen seiner Mesalliance hatte Herr Dupin mit
seiner Familie gebrochen, indeß wurde die Mutter doch wieder versöhnt, und als
er durch einen Unglücksfall umkam, nahm sie sich der kleinen Enkeltochter an.
Auch das Verhältniß zur Schwiegertochter wurde, so gut es gehen konnte,
ausgeglichen; doch fand ein beständiger Krieg um die Liebe des Kindes zwischen
den beiden Frauen statt. Die ältere, eine zarte, feingebildete aristokratische
Dame, in den Formen ^und Vorurtheilen ihres Standes aufgewachsen, die
jüngere eine leidenschaftliche, excentrische Tochter des Volks, ursprünglich mit
einem gesunden Fond ausgestattet, aber in allen Dingen zum Uebermaß ge¬
neigt, leichtsinnig, argwöhnisch, launenhaft und durch keine Form der Bildung
geschult. Das Herz Auroras gehörte ursprünglich ganz der Mutter an, und
nur mit Widerstreben fügte sie sich dem sanften Joch ihrer Großmutter, all-
mälig aber hatte sie sich daran gewöhnt, und als Madame Dupin starb,
1822, war sie vollständig damit einverstanden, paß durch eine Testaments-
clausel ihre weitere Leitung ihrer Mutter entzogen wurde. Von ihrer Jugend-
geschichte ist nur noch nachzuholen, daß sie eine Zeitlang im Kloster erzogen
war und sich dort bemüht hatte, durch religiöse Ekstase den Mang-el eines
ruhigen, sichern Glaubens zu ersetzen, wie sie es auch in mehrern ihrer Ro¬
mane erzählt.
Die Mutter war keineswegs gemeint, sich jener nach ihrer Ansicht be¬
schimpfenden Testamentsclausel zu fügen. Der lang verhaltene tiefe Groll
gegen die vornehme Schwiegermutter machte sich jetzt auf eine unschöne Weise
Lust. Das Gericht war auf ihrer Seite, sie bemächtigte sich ihrer Tochter und
wußte dieselbe mit einem Raffinement zu quälen, das nnr bei der leidenschaft¬
lichen Natur eines wilden Weibes möglich ist. Das Verhältniß wurde un-
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