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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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schen Weltgeschichte ganz zu schweigen, die im Grunde doch nur ein Parteibuch
ist: auch die nach Schlosser von Ku'egk bearbeitete Weltgeschichte, die sie an
historischem Werth bedeutend übertrifft, steht ihr darin nach. Die beckerschc
Weltgeschichte ist noch immer das beliebteste historische Lesebuch, und es ist
daher von der größten Wichtigkeit, ihm eine solche Gestalt zu geben, daß
nicht falsche oder einseitige politische Ansichten durch sie verbreitet werden. --

Das war aber in der That der Fall bei der Bearbeitung der neuesten
Geschichte durch den Consistorialrath Menzel. Je geschickter die Form war, die
er seinen Ansichten zu geben wußte, je sorgfältiger er sich vor den Ertremen
hütete, um keinen Anstoß zugeben, desto nachtheiliger mußte die einseitig con-
servative Färbung wirken, die er der neuesten Entwicklung gegeben hatte; ja
der Schade war noch geringer in einer Zeit, wo die allgemeine Stimmung
vorwiegend liberal war, wo man also ähnlichen Darstellungen ein entschiedenes
Mißtrauen entgegenbrachte, als jetzt, wo der Umschlag nach der conservativen
Seite hin sich immer fühlbarer macht. Wenn die Geschichte in dem Sinne
des Herrn von Gerlach dargestellt wäre, so würde sie nur bei derjenigen Schicht
des Volks Anklang finden, die bereits von den nämlichen Ideen ausgeht,
d. h. bei dem leidenschaftlichem Theil des durch die Revolution in seinen
Interessen verletzten Adels. Der Bürgerstand, auf den es doch vorzugsweise
ankommt, wird, welcher politischen Schattirung er auch angehören möge, durch
schroff ausgesprochene aristokratische Vorurtheile stets verletzt. Allein Menzel
hatte grade im Sinne des ruhigen, ordnungsliebenden Spießbürgers geschrieben,
der wol begreift,, daß in dem bestehenden Staat manche Uebelstände noch zu
beseitigen sind, der aber vor jeder Neuerung einen instinktmäßiger Widerwillen
hegt, weil er nicht weiß, wohin sie ihn führen kann, und der daher lieber
den Druck der bestehenden Verhältnisse erträgt, als zur Beseitigung derselben
Kräfte aufzurufen, die er in ihrer weiteren Folge nicht berechnen kann.

Es ist daher von der Verlagsbuchhandlung ein dankenswerthes Unter¬
nehmen, daß sie durch die vorliegende Bearbeitung der neuesten Geschichte diese
einseitige Färbung verwischt hat. Die beiden Supplementbande beginnen mit
dem Jahre 1813 und enden mit 18i8, da der Verfasser die noch fortdauernden
Wirren der Gegenwart für eine objective Darstellung nicht geeignet hielt.
Herr Amt gehört in Beziehung auf seine politische Ansicht zu der Partei
des gemäßigten Liberalismus, welcher die Berechtigung der modernen Ideen wol
einsieht und das Verfehlte mancher Staatseinrichtungen anerkennt, aber /ur
die Verbesserung der Zustände die äußerste Schonung und Behutsamkeit
empfiehlt. Ein solcher Pcnteistandpunkt hat im praktischen Leben, wo es häufig
darauf ankommt', rücksichtslos nach einer bestimmten Seite hin vorzuschreiten
und alle andern Gesichtspunkte, an denen es bei einer verwickelten politischen
Frage nicht fehlen wird, zu beseitigen, seine ernsten Bedenken; aber für eine


schen Weltgeschichte ganz zu schweigen, die im Grunde doch nur ein Parteibuch
ist: auch die nach Schlosser von Ku'egk bearbeitete Weltgeschichte, die sie an
historischem Werth bedeutend übertrifft, steht ihr darin nach. Die beckerschc
Weltgeschichte ist noch immer das beliebteste historische Lesebuch, und es ist
daher von der größten Wichtigkeit, ihm eine solche Gestalt zu geben, daß
nicht falsche oder einseitige politische Ansichten durch sie verbreitet werden. —

Das war aber in der That der Fall bei der Bearbeitung der neuesten
Geschichte durch den Consistorialrath Menzel. Je geschickter die Form war, die
er seinen Ansichten zu geben wußte, je sorgfältiger er sich vor den Ertremen
hütete, um keinen Anstoß zugeben, desto nachtheiliger mußte die einseitig con-
servative Färbung wirken, die er der neuesten Entwicklung gegeben hatte; ja
der Schade war noch geringer in einer Zeit, wo die allgemeine Stimmung
vorwiegend liberal war, wo man also ähnlichen Darstellungen ein entschiedenes
Mißtrauen entgegenbrachte, als jetzt, wo der Umschlag nach der conservativen
Seite hin sich immer fühlbarer macht. Wenn die Geschichte in dem Sinne
des Herrn von Gerlach dargestellt wäre, so würde sie nur bei derjenigen Schicht
des Volks Anklang finden, die bereits von den nämlichen Ideen ausgeht,
d. h. bei dem leidenschaftlichem Theil des durch die Revolution in seinen
Interessen verletzten Adels. Der Bürgerstand, auf den es doch vorzugsweise
ankommt, wird, welcher politischen Schattirung er auch angehören möge, durch
schroff ausgesprochene aristokratische Vorurtheile stets verletzt. Allein Menzel
hatte grade im Sinne des ruhigen, ordnungsliebenden Spießbürgers geschrieben,
der wol begreift,, daß in dem bestehenden Staat manche Uebelstände noch zu
beseitigen sind, der aber vor jeder Neuerung einen instinktmäßiger Widerwillen
hegt, weil er nicht weiß, wohin sie ihn führen kann, und der daher lieber
den Druck der bestehenden Verhältnisse erträgt, als zur Beseitigung derselben
Kräfte aufzurufen, die er in ihrer weiteren Folge nicht berechnen kann.

Es ist daher von der Verlagsbuchhandlung ein dankenswerthes Unter¬
nehmen, daß sie durch die vorliegende Bearbeitung der neuesten Geschichte diese
einseitige Färbung verwischt hat. Die beiden Supplementbande beginnen mit
dem Jahre 1813 und enden mit 18i8, da der Verfasser die noch fortdauernden
Wirren der Gegenwart für eine objective Darstellung nicht geeignet hielt.
Herr Amt gehört in Beziehung auf seine politische Ansicht zu der Partei
des gemäßigten Liberalismus, welcher die Berechtigung der modernen Ideen wol
einsieht und das Verfehlte mancher Staatseinrichtungen anerkennt, aber /ur
die Verbesserung der Zustände die äußerste Schonung und Behutsamkeit
empfiehlt. Ein solcher Pcnteistandpunkt hat im praktischen Leben, wo es häufig
darauf ankommt', rücksichtslos nach einer bestimmten Seite hin vorzuschreiten
und alle andern Gesichtspunkte, an denen es bei einer verwickelten politischen
Frage nicht fehlen wird, zu beseitigen, seine ernsten Bedenken; aber für eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/478>, abgerufen am 15.01.2025.