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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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kann," sondern von denen sie zu lernen hat, in deren "stilleren Selbst noch
der horchende Geist die Stimme der Wahrheit vernimmt," und die "nur selbst
nicht den Gott merken, der ihnen im Busen gebeut." Also ein Poet. Und
freilich war Jacob ein Dichter. Aber er war so ganz seinem geliebten Berufe
ergeben, daß er erst als schwerer häuslicher Kummer (der Verlust seiner beiden
einzigen Söhne im blühendsten Alter und seiner Frau binnen wenigen Jahren)
den Reizbaren ganz darniedergeworfen hatte, sich die Stunden der Krankheit
mit dichterischem Spiel wcgscherzte. Wie viel Köstlicheres hätte dieser Geist in
der Zeit seiner ganzen Frische dichten können! Aber auch in diesen "Elegien"
des Alternden sind köstliche Perlen, freilich durchmischt, wie denn daS Alter
wunderlich ist, mit seltsam prosaischen Bezügen auf einzelne Umstände seines
Lebens, -- z. B. in Bezug auf jene Todesfälle:


Leben ist sterben sehn, lang leben zuletzt sich allein sehn;
Leben ist lieben, allein leben lebendiger Tod.

Und weit schöner noch sind die Bruchstücke, die der Versasser aus Jacobs
Briefen und Schulreden mitgetheilt hat, sie sind das Schönste im ganzen Buche.
Nur eine Stelle S. 80: "Ich erkenne daraus, daß Sie den Menschen, nicht
blos den Schulmann und Gelehrten in mir schätzen. Und das ist immer mein
erstes, tiefstes Bedürfniß gewesen; -- so daß ich am Ende mich kaum einen
Gelehrten nennen, darf. Ich habe immerzu wenig Freude am Erwerb und Besitz
gehabt, sondern ihn zu sehr als Mittel angesehen und behandelt, womit ich
leibliche oder geistige Bedürfnisse befriedigte. Nur so viel ist daher immer vom
Wissen in mir geblieben, als meine geistige Monade in mir aufgenommen hat,
um von diesen Maulbeerblättern ernährt zum geflügelten Schmetterling sich ent¬
wickeln zu können."

Danken wir daher der zarten Freundeshand, die uns in klarer und an¬
spruchsloser Weise das Bild dieses seltnen Mannes in allen bedeutsamen Zügen
vor Augen gestellt hat; mäkeln wir nicht zu sehr daran, daß hier und da noch
etwas fehlt. Wir glauben, daß es ein Schöns und lehrreiches Buch nicht
nur für Lehrer und Philologen (für die man sich allerdings kaum eine wür¬
digere Festgabe denken könnte) sondern für jedermann ist, dem Jugendbildung
am Herzen liegt; und wir gewinnen daraus die Ueberzeugung, daß, wenn es
wahr ist, daß die Stätte, die ein guter Mensch betrat, heilig sei, auf dem
Gymnasium der traulichen alten Hansestadt ein dauernder Segen ruhen müsse.
Möchte es auch den Staatsmännern die Ueberzeugung lebendig machen, wie
wichtig es sei, daß bedeutende Männer bei dem Erziehungswerke freie Hand
haben -- denn Jacobs Autorität war unumschränkt und er würde bei einer
größern staatlichen Bevormundung nicht das Halbe ausgerichtet Haben -- und
die alte Lehre einschärfen, daß es unter allen Eigenschaften vornehmlich die einer


kann," sondern von denen sie zu lernen hat, in deren „stilleren Selbst noch
der horchende Geist die Stimme der Wahrheit vernimmt," und die „nur selbst
nicht den Gott merken, der ihnen im Busen gebeut." Also ein Poet. Und
freilich war Jacob ein Dichter. Aber er war so ganz seinem geliebten Berufe
ergeben, daß er erst als schwerer häuslicher Kummer (der Verlust seiner beiden
einzigen Söhne im blühendsten Alter und seiner Frau binnen wenigen Jahren)
den Reizbaren ganz darniedergeworfen hatte, sich die Stunden der Krankheit
mit dichterischem Spiel wcgscherzte. Wie viel Köstlicheres hätte dieser Geist in
der Zeit seiner ganzen Frische dichten können! Aber auch in diesen „Elegien"
des Alternden sind köstliche Perlen, freilich durchmischt, wie denn daS Alter
wunderlich ist, mit seltsam prosaischen Bezügen auf einzelne Umstände seines
Lebens, — z. B. in Bezug auf jene Todesfälle:


Leben ist sterben sehn, lang leben zuletzt sich allein sehn;
Leben ist lieben, allein leben lebendiger Tod.

Und weit schöner noch sind die Bruchstücke, die der Versasser aus Jacobs
Briefen und Schulreden mitgetheilt hat, sie sind das Schönste im ganzen Buche.
Nur eine Stelle S. 80: „Ich erkenne daraus, daß Sie den Menschen, nicht
blos den Schulmann und Gelehrten in mir schätzen. Und das ist immer mein
erstes, tiefstes Bedürfniß gewesen; — so daß ich am Ende mich kaum einen
Gelehrten nennen, darf. Ich habe immerzu wenig Freude am Erwerb und Besitz
gehabt, sondern ihn zu sehr als Mittel angesehen und behandelt, womit ich
leibliche oder geistige Bedürfnisse befriedigte. Nur so viel ist daher immer vom
Wissen in mir geblieben, als meine geistige Monade in mir aufgenommen hat,
um von diesen Maulbeerblättern ernährt zum geflügelten Schmetterling sich ent¬
wickeln zu können."

Danken wir daher der zarten Freundeshand, die uns in klarer und an¬
spruchsloser Weise das Bild dieses seltnen Mannes in allen bedeutsamen Zügen
vor Augen gestellt hat; mäkeln wir nicht zu sehr daran, daß hier und da noch
etwas fehlt. Wir glauben, daß es ein Schöns und lehrreiches Buch nicht
nur für Lehrer und Philologen (für die man sich allerdings kaum eine wür¬
digere Festgabe denken könnte) sondern für jedermann ist, dem Jugendbildung
am Herzen liegt; und wir gewinnen daraus die Ueberzeugung, daß, wenn es
wahr ist, daß die Stätte, die ein guter Mensch betrat, heilig sei, auf dem
Gymnasium der traulichen alten Hansestadt ein dauernder Segen ruhen müsse.
Möchte es auch den Staatsmännern die Ueberzeugung lebendig machen, wie
wichtig es sei, daß bedeutende Männer bei dem Erziehungswerke freie Hand
haben — denn Jacobs Autorität war unumschränkt und er würde bei einer
größern staatlichen Bevormundung nicht das Halbe ausgerichtet Haben — und
die alte Lehre einschärfen, daß es unter allen Eigenschaften vornehmlich die einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/460>, abgerufen am 22.07.2024.