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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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sinnliche Energie, und kann in dasselbe Zeitmaaß viel mehr Begriffe ohne
Zwang zusammenstellen, als wir oder die Dänen. Hören wir einen fünf¬
füßigen Jambus wie -- (es^ cK>mL")


VVIiosiz lurAL bins e^k", luir I"o><s and fumo^ Iiunils
(Lz^roii. Ob. II. I.)

Kann er nicht, da die knappste Uebersetzung:


Deren große blaue Augen, blonde Locken und schneeweiße Hände

18 Silben ergeben würde, den Uebersetzer gradezu zur Verzweiflung bringen?
Da nun eine Ausdehnung einer Zeile zu zweien bei manchen, z. B. allen
strophischen Formen, unmöglich ist, so gilt es hier aufgeben, und zwar,
wenn wir uns nicht etwa einer heillosen Uebersetzung in die Arme werfen
wollen, ausgeben nicht von der Form, sondern vom Inhalte. Unser Haupt¬
mittel also zur schönen Darstellung eines Gesammtcharakters wird das Weg¬
lassen der unwesentlicheren Züge z. B. der decorirenden Beiwörter und der zum
Wohllaut oder zum poetischen Ausdruck im Deutschen schlechter stimmenden
Wörter sein, nicht aber etwa das Abknappen der Endsilben der Binde- und
Fügewörter, ohne welche der Sinn allenfalls auch faßlich ist; in welchen
Fehler so manche Uebersetzer (namentlich auch Tieck) verfallen sind, die damit laut¬
lich und syntaktisch hart und trocken wurden. Wenn der Anfang des unüber¬
trefflichen Monologs der Julia in der 2. Scene des 3. Actes:


Kiilloo unaoe von ki<zi'^.l'vol,ca Z^ed"

Voß durch


Rasch trotte fort, gluthufiges Gespann! --

Schlegel aber durch:


Hinab, du flammenhufiges Gespann! --

wenn etwas weiterhin an derselben Stelle


Konio, civil Mglil,
IKou soller-suilkd malron, nit in I>I->el!,

Voß so:


Komm, hehre Nacht,
In ehrbaren Matronenschmuck, ganz schwarz,

Schlegel aber so übersetzte:


Komm, ernste Nacht, du züchtig-stille Frau,
Ganz angethan (in) mit Schwarz --

so zeigte jener ebensosehr seine obotritische Derbheit, als dieser sein seines
Schönheitsgefühl.

Ueberhaupt, wenn Byron selbst dem Englischen alle mögliche abscheuliche
Härten aufbürdete, so ist das wol dem Italienischen gegenüber mit seinem reinen,
eintönigen Wohllaut wahr, aber einmal wegen der großen Buntheit der Laute
nicht ein unbedingter Tadel, anderntheils auch dem Deutschen entgegengesetzt


sinnliche Energie, und kann in dasselbe Zeitmaaß viel mehr Begriffe ohne
Zwang zusammenstellen, als wir oder die Dänen. Hören wir einen fünf¬
füßigen Jambus wie — (es^ cK>mL»)


VVIiosiz lurAL bins e^k«, luir I»o><s and fumo^ Iiunils
(Lz^roii. Ob. II. I.)

Kann er nicht, da die knappste Uebersetzung:


Deren große blaue Augen, blonde Locken und schneeweiße Hände

18 Silben ergeben würde, den Uebersetzer gradezu zur Verzweiflung bringen?
Da nun eine Ausdehnung einer Zeile zu zweien bei manchen, z. B. allen
strophischen Formen, unmöglich ist, so gilt es hier aufgeben, und zwar,
wenn wir uns nicht etwa einer heillosen Uebersetzung in die Arme werfen
wollen, ausgeben nicht von der Form, sondern vom Inhalte. Unser Haupt¬
mittel also zur schönen Darstellung eines Gesammtcharakters wird das Weg¬
lassen der unwesentlicheren Züge z. B. der decorirenden Beiwörter und der zum
Wohllaut oder zum poetischen Ausdruck im Deutschen schlechter stimmenden
Wörter sein, nicht aber etwa das Abknappen der Endsilben der Binde- und
Fügewörter, ohne welche der Sinn allenfalls auch faßlich ist; in welchen
Fehler so manche Uebersetzer (namentlich auch Tieck) verfallen sind, die damit laut¬
lich und syntaktisch hart und trocken wurden. Wenn der Anfang des unüber¬
trefflichen Monologs der Julia in der 2. Scene des 3. Actes:


Kiilloo unaoe von ki<zi'^.l'vol,ca Z^ed«

Voß durch


Rasch trotte fort, gluthufiges Gespann! —

Schlegel aber durch:


Hinab, du flammenhufiges Gespann! —

wenn etwas weiterhin an derselben Stelle


Konio, civil Mglil,
IKou soller-suilkd malron, nit in I>I->el!,

Voß so:


Komm, hehre Nacht,
In ehrbaren Matronenschmuck, ganz schwarz,

Schlegel aber so übersetzte:


Komm, ernste Nacht, du züchtig-stille Frau,
Ganz angethan (in) mit Schwarz —

so zeigte jener ebensosehr seine obotritische Derbheit, als dieser sein seines
Schönheitsgefühl.

Ueberhaupt, wenn Byron selbst dem Englischen alle mögliche abscheuliche
Härten aufbürdete, so ist das wol dem Italienischen gegenüber mit seinem reinen,
eintönigen Wohllaut wahr, aber einmal wegen der großen Buntheit der Laute
nicht ein unbedingter Tadel, anderntheils auch dem Deutschen entgegengesetzt


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[0378] sinnliche Energie, und kann in dasselbe Zeitmaaß viel mehr Begriffe ohne Zwang zusammenstellen, als wir oder die Dänen. Hören wir einen fünf¬ füßigen Jambus wie — (es^ cK>mL») VVIiosiz lurAL bins e^k«, luir I»o><s and fumo^ Iiunils (Lz^roii. Ob. II. I.) Kann er nicht, da die knappste Uebersetzung: Deren große blaue Augen, blonde Locken und schneeweiße Hände 18 Silben ergeben würde, den Uebersetzer gradezu zur Verzweiflung bringen? Da nun eine Ausdehnung einer Zeile zu zweien bei manchen, z. B. allen strophischen Formen, unmöglich ist, so gilt es hier aufgeben, und zwar, wenn wir uns nicht etwa einer heillosen Uebersetzung in die Arme werfen wollen, ausgeben nicht von der Form, sondern vom Inhalte. Unser Haupt¬ mittel also zur schönen Darstellung eines Gesammtcharakters wird das Weg¬ lassen der unwesentlicheren Züge z. B. der decorirenden Beiwörter und der zum Wohllaut oder zum poetischen Ausdruck im Deutschen schlechter stimmenden Wörter sein, nicht aber etwa das Abknappen der Endsilben der Binde- und Fügewörter, ohne welche der Sinn allenfalls auch faßlich ist; in welchen Fehler so manche Uebersetzer (namentlich auch Tieck) verfallen sind, die damit laut¬ lich und syntaktisch hart und trocken wurden. Wenn der Anfang des unüber¬ trefflichen Monologs der Julia in der 2. Scene des 3. Actes: Kiilloo unaoe von ki<zi'^.l'vol,ca Z^ed« Voß durch Rasch trotte fort, gluthufiges Gespann! — Schlegel aber durch: Hinab, du flammenhufiges Gespann! — wenn etwas weiterhin an derselben Stelle Konio, civil Mglil, IKou soller-suilkd malron, nit in I>I->el!, Voß so: Komm, hehre Nacht, In ehrbaren Matronenschmuck, ganz schwarz, Schlegel aber so übersetzte: Komm, ernste Nacht, du züchtig-stille Frau, Ganz angethan (in) mit Schwarz — so zeigte jener ebensosehr seine obotritische Derbheit, als dieser sein seines Schönheitsgefühl. Ueberhaupt, wenn Byron selbst dem Englischen alle mögliche abscheuliche Härten aufbürdete, so ist das wol dem Italienischen gegenüber mit seinem reinen, eintönigen Wohllaut wahr, aber einmal wegen der großen Buntheit der Laute nicht ein unbedingter Tadel, anderntheils auch dem Deutschen entgegengesetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/378>, abgerufen am 23.07.2024.