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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Pfarrhauses gedichtet, wenn er auch nur als Landrath einer solchen Visitation
beigewohnt hätte. Die behagliche Stellung im Lehnstuhle, das Stillleben des
Pfarrers, der jetzt den vielen confidentiellen Fragen Rede stehen sollte,
war zu einem Mythus geworden. Galt er sogar für eine person-r wKi-no,
dann blieb es fraglich, ob er je einen zweiten so hohen Besuch erleben
würde.

Diese neuen Visitationen führten den Pfarrer zu einer Generalbeichte;
auf viele Fragen, zum Theil sehr discreter Natur, mußte er an Eidesstatt
antworten. Der Kirchen- und Abendmahlbesuch der Patrone, ihre kirchliche
Stellung, viele andere delicate Punkte wurden berührt und in einigen Fällen
wurde durch Benutzung der Antworten gegen die Patrone eine gründliche Feind¬
schaft zwischen diesen und dem Prediger bewirkt, da letzterer als Denunciant er¬
schienen war. Besonders richtete die Commission ihre Aufmerksamkeit auf den
Kirchenbesuch, die Theilnahme am Abendmahl, Ruf die specielle Seelsorge;
erkundigte sich bei den Schulkindern, ob Morgen-und Abendsegen und Tischgebete
im elterlichen Hause Sitte seien, forschte nach den gebräuchlichen Erbauungs-
büchern, Hausandachten, verlangte Auskunft über die Säufer und Ehebrecher,
beachtete Concübinate und suchte zu ermitteln, wieweit noch Reliquien der
Kirchenzucht vorhanden waren. Das Interesse des Geistlichen sür die innere
Mission, für die Krankenpflege, Rettungshäuser :c. wurde weiter ergründet,
seine Predigt einer gründlichen Kritik unterworfen und den Gemeinden durch
Reden der Visitatoren zugleich eine Gelegenheit zur Nergleichung gegeben.

Bei der Katechisation der Kinder prüfte man, wieweit diese mit der Lehre
vom Teufel, von der Sünde, der Gnade :c. bekannt seien, d. h. man forschte
nach, wieweit der Unterricht auch ein entschieden kirchlich-gläubiger gewesen
war. Die Dorfjugend zeigte überwiegend sich nicht frei von ketzerischen
Vorstellungen und wird eine zweite Generalvisitation ermitteln können, wie¬
weit ihre -erste Einwirkung von Erfolg gewesen ist. Die neuen zur Geltung kom¬
menden Schulregulative werden leider auch nach dieser Seite Hilfe bringen.

Auffallend erschien vielen Gemeinden die Frage, ob jemand etwas gegen
den Geistlichen, gegen den Lehrer vorzubringen hätte. Natürlich wird diese
Frage hauptsächlich an die selbstständigen Gemeindeglieder gerichtet. Da zwi¬
schen den Pfarrern und ihren Gemeinden oft das Band des Vertrauens herrscht,
wo jene sich nicht als separatistische Parteimänner zum Herrscher auswerfen, so
fand man in dieser Frage ein Zeichen des Mißtrauens, welches jenes Ver¬
hältniß trüben könnte. Als diese Frage zweimal in einer Kirche wiederholt
wurde, deren Pastor im Verdacht der Trunkenheit steht und dessen Beseitigung
Nebenzweck der Visitation gewesen war, so fand sich doch kein Ankläger, der
Respect vor dem Geistlichen überwog die fragestellende Autorität der Visitatoren.

Die vor einiger Zeit in einer benachbarten Provinz predigenden und


Grenzbote". IV. 1366. 42

Pfarrhauses gedichtet, wenn er auch nur als Landrath einer solchen Visitation
beigewohnt hätte. Die behagliche Stellung im Lehnstuhle, das Stillleben des
Pfarrers, der jetzt den vielen confidentiellen Fragen Rede stehen sollte,
war zu einem Mythus geworden. Galt er sogar für eine person-r wKi-no,
dann blieb es fraglich, ob er je einen zweiten so hohen Besuch erleben
würde.

Diese neuen Visitationen führten den Pfarrer zu einer Generalbeichte;
auf viele Fragen, zum Theil sehr discreter Natur, mußte er an Eidesstatt
antworten. Der Kirchen- und Abendmahlbesuch der Patrone, ihre kirchliche
Stellung, viele andere delicate Punkte wurden berührt und in einigen Fällen
wurde durch Benutzung der Antworten gegen die Patrone eine gründliche Feind¬
schaft zwischen diesen und dem Prediger bewirkt, da letzterer als Denunciant er¬
schienen war. Besonders richtete die Commission ihre Aufmerksamkeit auf den
Kirchenbesuch, die Theilnahme am Abendmahl, Ruf die specielle Seelsorge;
erkundigte sich bei den Schulkindern, ob Morgen-und Abendsegen und Tischgebete
im elterlichen Hause Sitte seien, forschte nach den gebräuchlichen Erbauungs-
büchern, Hausandachten, verlangte Auskunft über die Säufer und Ehebrecher,
beachtete Concübinate und suchte zu ermitteln, wieweit noch Reliquien der
Kirchenzucht vorhanden waren. Das Interesse des Geistlichen sür die innere
Mission, für die Krankenpflege, Rettungshäuser :c. wurde weiter ergründet,
seine Predigt einer gründlichen Kritik unterworfen und den Gemeinden durch
Reden der Visitatoren zugleich eine Gelegenheit zur Nergleichung gegeben.

Bei der Katechisation der Kinder prüfte man, wieweit diese mit der Lehre
vom Teufel, von der Sünde, der Gnade :c. bekannt seien, d. h. man forschte
nach, wieweit der Unterricht auch ein entschieden kirchlich-gläubiger gewesen
war. Die Dorfjugend zeigte überwiegend sich nicht frei von ketzerischen
Vorstellungen und wird eine zweite Generalvisitation ermitteln können, wie¬
weit ihre -erste Einwirkung von Erfolg gewesen ist. Die neuen zur Geltung kom¬
menden Schulregulative werden leider auch nach dieser Seite Hilfe bringen.

Auffallend erschien vielen Gemeinden die Frage, ob jemand etwas gegen
den Geistlichen, gegen den Lehrer vorzubringen hätte. Natürlich wird diese
Frage hauptsächlich an die selbstständigen Gemeindeglieder gerichtet. Da zwi¬
schen den Pfarrern und ihren Gemeinden oft das Band des Vertrauens herrscht,
wo jene sich nicht als separatistische Parteimänner zum Herrscher auswerfen, so
fand man in dieser Frage ein Zeichen des Mißtrauens, welches jenes Ver¬
hältniß trüben könnte. Als diese Frage zweimal in einer Kirche wiederholt
wurde, deren Pastor im Verdacht der Trunkenheit steht und dessen Beseitigung
Nebenzweck der Visitation gewesen war, so fand sich doch kein Ankläger, der
Respect vor dem Geistlichen überwog die fragestellende Autorität der Visitatoren.

Die vor einiger Zeit in einer benachbarten Provinz predigenden und


Grenzbote». IV. 1366. 42
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[0337] Pfarrhauses gedichtet, wenn er auch nur als Landrath einer solchen Visitation beigewohnt hätte. Die behagliche Stellung im Lehnstuhle, das Stillleben des Pfarrers, der jetzt den vielen confidentiellen Fragen Rede stehen sollte, war zu einem Mythus geworden. Galt er sogar für eine person-r wKi-no, dann blieb es fraglich, ob er je einen zweiten so hohen Besuch erleben würde. Diese neuen Visitationen führten den Pfarrer zu einer Generalbeichte; auf viele Fragen, zum Theil sehr discreter Natur, mußte er an Eidesstatt antworten. Der Kirchen- und Abendmahlbesuch der Patrone, ihre kirchliche Stellung, viele andere delicate Punkte wurden berührt und in einigen Fällen wurde durch Benutzung der Antworten gegen die Patrone eine gründliche Feind¬ schaft zwischen diesen und dem Prediger bewirkt, da letzterer als Denunciant er¬ schienen war. Besonders richtete die Commission ihre Aufmerksamkeit auf den Kirchenbesuch, die Theilnahme am Abendmahl, Ruf die specielle Seelsorge; erkundigte sich bei den Schulkindern, ob Morgen-und Abendsegen und Tischgebete im elterlichen Hause Sitte seien, forschte nach den gebräuchlichen Erbauungs- büchern, Hausandachten, verlangte Auskunft über die Säufer und Ehebrecher, beachtete Concübinate und suchte zu ermitteln, wieweit noch Reliquien der Kirchenzucht vorhanden waren. Das Interesse des Geistlichen sür die innere Mission, für die Krankenpflege, Rettungshäuser :c. wurde weiter ergründet, seine Predigt einer gründlichen Kritik unterworfen und den Gemeinden durch Reden der Visitatoren zugleich eine Gelegenheit zur Nergleichung gegeben. Bei der Katechisation der Kinder prüfte man, wieweit diese mit der Lehre vom Teufel, von der Sünde, der Gnade :c. bekannt seien, d. h. man forschte nach, wieweit der Unterricht auch ein entschieden kirchlich-gläubiger gewesen war. Die Dorfjugend zeigte überwiegend sich nicht frei von ketzerischen Vorstellungen und wird eine zweite Generalvisitation ermitteln können, wie¬ weit ihre -erste Einwirkung von Erfolg gewesen ist. Die neuen zur Geltung kom¬ menden Schulregulative werden leider auch nach dieser Seite Hilfe bringen. Auffallend erschien vielen Gemeinden die Frage, ob jemand etwas gegen den Geistlichen, gegen den Lehrer vorzubringen hätte. Natürlich wird diese Frage hauptsächlich an die selbstständigen Gemeindeglieder gerichtet. Da zwi¬ schen den Pfarrern und ihren Gemeinden oft das Band des Vertrauens herrscht, wo jene sich nicht als separatistische Parteimänner zum Herrscher auswerfen, so fand man in dieser Frage ein Zeichen des Mißtrauens, welches jenes Ver¬ hältniß trüben könnte. Als diese Frage zweimal in einer Kirche wiederholt wurde, deren Pastor im Verdacht der Trunkenheit steht und dessen Beseitigung Nebenzweck der Visitation gewesen war, so fand sich doch kein Ankläger, der Respect vor dem Geistlichen überwog die fragestellende Autorität der Visitatoren. Die vor einiger Zeit in einer benachbarten Provinz predigenden und Grenzbote». IV. 1366. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/337>, abgerufen am 22.07.2024.