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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Medea stürzt im Zorne einen Abhang herauf, sie blickt zurück, ob sie nicht
verfolgt werde, und die Kinder hängen ihr am Arme, wie jemandem, der eben
nicht die Dienste einer sorgsamen Wärterin zu versehen die Absicht hat. Der
Dolch blitzt auch gar nicht anmuthig, aber um so ernster in ihrer Hand. Die
aufgeworfene Lippe, der zornumschattete Blick, die Furie, die durch jede ihrer
Avern jagt statt des zum Herzen zurückgetretenen Blutes, zeigen uns, daß
hier Neue oder Zagen keine Rolle zu spielen hat.

Dieses Bild vergißt man niemals -- es beschäftigt unsere Einbildungs¬
kraft lebhaft wie jedes künstlerische Ereigniß, auch nachdem wir lange nicht
mehr davorstehen. Bei Ingres gilt das nur von den Porträts. Sonst lassen
wir uns unsere Anerkennung erst abringen durch die bedeutende Technik, die
kolossale Willenskraft, das Wissen des Malers -- wir bewundern ihn mit dem
Verstände, aber nicht mit dem Herzen.

Die Metzelei von Scio ist bekannt. Die nackte Landschaft eignet sich
vortrefflich zu dem schauerlichen Vorgange. Ueberall Mord und Verwesung.
Der Rauch der brennenden Häuser steigt zum blaugesleckten Himmel empor,
Leichname füllen den Boden, während im Vordergrunde die Rache der Türken
ihre letzte Wuth austobt. Hier eine Mutter, an deren todtem Leibe der Säug¬
ling vergebens nach der nährenden Brust sucht, dort ein junges Weib, das
weinend an der Schulter'eines sterbenden Mannes lehnt, der den hilflosen
Blick auf dieses Schauspiel des Entsetzens wirft. -- Hier ein altes Weib, das
gefühllos mit der Gefühllosigkeit des grenzenlosen Jammers dasitzt,' sowie die
Türken gleichgiltig an diesem kurzen Neste eines Menschenlebens vorüber¬
gehen -- dort wieder ein Türke auf seinem bäumenden Rosse, an dessen Hinter¬
theil ein schönes Weib gebunden ist, das den weißen Leib zurückkehrend von
den schmachvollen Banden am Arme sich loszuwinden sucht -- welch ein schauer¬
licher und doch welch reizender.Contrast, dieser süße Leib voll Leben und Schönheit
inmitten diesem Schauspiele voll Grauen und Entsetzen. Delacroir wirft aller¬
dings keinen akademischen Schleier über das Schreckliche, er malt es, wie das¬
selbe sich in seiner gestaltenreichen Phantasie abspiegelt. Seine Kühnheit geht
bis zur äußersten Grenze, aber solche Scenen müssen mit dieser Furia gezeichnet,
mit so genialen Pinsel auf die Leinwand geworfen werden. Das Herz muß
kochen, während die Hand mit Sicherheit diese tragischen Kongestionen impro-
visirt. Wie Delacroir mit den Massen, mit dem Durcheinander fertig wird,
das hat er in seiner Ermordung des Bischofs von Lüttich. gezeigt. Jedermann
kennt den Eber der Ardennen aus Walter Scotts Quentin Durward. Beim
Anblick dieser Scene, in der das Oberste zuunterst gekehrt ist, begreift man
kaum, wie das Gemälde an der Wand bleibt, so natürlich, so gewaltsam ist
die Bewegung in dieser Copie dargestellt. Man glaubt das Jauchzen und
Gejohle, die blutdürstigen Apostrophen dieser Unthiere zu hören.


Medea stürzt im Zorne einen Abhang herauf, sie blickt zurück, ob sie nicht
verfolgt werde, und die Kinder hängen ihr am Arme, wie jemandem, der eben
nicht die Dienste einer sorgsamen Wärterin zu versehen die Absicht hat. Der
Dolch blitzt auch gar nicht anmuthig, aber um so ernster in ihrer Hand. Die
aufgeworfene Lippe, der zornumschattete Blick, die Furie, die durch jede ihrer
Avern jagt statt des zum Herzen zurückgetretenen Blutes, zeigen uns, daß
hier Neue oder Zagen keine Rolle zu spielen hat.

Dieses Bild vergißt man niemals — es beschäftigt unsere Einbildungs¬
kraft lebhaft wie jedes künstlerische Ereigniß, auch nachdem wir lange nicht
mehr davorstehen. Bei Ingres gilt das nur von den Porträts. Sonst lassen
wir uns unsere Anerkennung erst abringen durch die bedeutende Technik, die
kolossale Willenskraft, das Wissen des Malers — wir bewundern ihn mit dem
Verstände, aber nicht mit dem Herzen.

Die Metzelei von Scio ist bekannt. Die nackte Landschaft eignet sich
vortrefflich zu dem schauerlichen Vorgange. Ueberall Mord und Verwesung.
Der Rauch der brennenden Häuser steigt zum blaugesleckten Himmel empor,
Leichname füllen den Boden, während im Vordergrunde die Rache der Türken
ihre letzte Wuth austobt. Hier eine Mutter, an deren todtem Leibe der Säug¬
ling vergebens nach der nährenden Brust sucht, dort ein junges Weib, das
weinend an der Schulter'eines sterbenden Mannes lehnt, der den hilflosen
Blick auf dieses Schauspiel des Entsetzens wirft. — Hier ein altes Weib, das
gefühllos mit der Gefühllosigkeit des grenzenlosen Jammers dasitzt,' sowie die
Türken gleichgiltig an diesem kurzen Neste eines Menschenlebens vorüber¬
gehen — dort wieder ein Türke auf seinem bäumenden Rosse, an dessen Hinter¬
theil ein schönes Weib gebunden ist, das den weißen Leib zurückkehrend von
den schmachvollen Banden am Arme sich loszuwinden sucht — welch ein schauer¬
licher und doch welch reizender.Contrast, dieser süße Leib voll Leben und Schönheit
inmitten diesem Schauspiele voll Grauen und Entsetzen. Delacroir wirft aller¬
dings keinen akademischen Schleier über das Schreckliche, er malt es, wie das¬
selbe sich in seiner gestaltenreichen Phantasie abspiegelt. Seine Kühnheit geht
bis zur äußersten Grenze, aber solche Scenen müssen mit dieser Furia gezeichnet,
mit so genialen Pinsel auf die Leinwand geworfen werden. Das Herz muß
kochen, während die Hand mit Sicherheit diese tragischen Kongestionen impro-
visirt. Wie Delacroir mit den Massen, mit dem Durcheinander fertig wird,
das hat er in seiner Ermordung des Bischofs von Lüttich. gezeigt. Jedermann
kennt den Eber der Ardennen aus Walter Scotts Quentin Durward. Beim
Anblick dieser Scene, in der das Oberste zuunterst gekehrt ist, begreift man
kaum, wie das Gemälde an der Wand bleibt, so natürlich, so gewaltsam ist
die Bewegung in dieser Copie dargestellt. Man glaubt das Jauchzen und
Gejohle, die blutdürstigen Apostrophen dieser Unthiere zu hören.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/322>, abgerufen am 23.07.2024.