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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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welchem früher niemand auch nur Advocat werden konnte. Eine wahrhaft
classische Geschichte von seiner allen Glauben übersteigenden Geschäftsunkunde
erzähle ich in einem der nächsten Briefe, nachdem ich bei Leuten, die der Sache
nahe gestanden, das volle Detail , daS mir. in Aussicht gestellt ist , gesammelt
habe. Für heute genüge eine Probe seiner Brutalität, die indeß in dem Be¬
nehmen mehrer seiner Amtsgenossen manches Seitenstück hat und deshalb nur
als einzelnes Factum auffällt.

Der Schuhmacher Paustian, ein alter eifriger Kirchengänger in Kattbeck,
hatte, als der Isländer Karl Mohr, Pastor in Fahrenstedt, dänisch predigte,
andächtig in seinem Gesangbuche gelesen, um, da er kei'n Wort von der Rede
in der ihm fremden Sprache verstand, sich wenigstens einigermaßen zu erbauen.
So blieb er sitzen, als jener schon den Segen gesprochen hatte. Der Pastor
denuncirte den frommen Mann wegen Nichachtung des Gottesdienstes. Er
hätte ihn vom dänischen Standpunkte vielmehr zu einer Belohnung empfehlen
sollen, da er die sonst sast völlig leere Kirche füllen geholfen. Der Hardcsvogt
steckte den Schuster ohne weiteres ins Gefängniß, in welchem er S6 Stunden
blieb. Als der Mann kam, hatte von Riis grade einen Termin, weshalb er
sagte: "Steckt ihn nur ein," und als man ihn wieder entließ, bemerkte er:
"Es macht ja nichts' aus (daß er so lange ohne vernommen zu sein, gesessen),
er ist ja wieder frei." Als man Paustian bewegen wollte, sich über diese
schmachvolle Behandlung zu beschweren, äußerte er sich (und so äußern sich
in ähnlichen Fällen die meisten): "Es ist doch kein Recht auf der Welt mehr
und ich habe nur Kosten und Umstände davon." Der Wahrheit zur Ehre muß
aber hinzugefügt werden, daß das Appellationsgericht in Flensburg wirklich mit¬
unter, wo nicht grade politische Momente ins Spiel kommen, der Willkür der
Beamten entgegentreten soll, wenn der Beeinträchtigte sich an dasselbe wendet.

Der Hardesvogt Christiansen ist intelligent und talentvoll, namentlich in
einem gewissen Sinne. Früher in Kiel, wußte er es, obwol ohne alles Ver¬
mögen^ möglich zu machen, gegen 12,000 Thaler Schulden zu contrahiren.
Später auf der Schleswig-holsteinischen Flotte als Auditeur angestellt, verstand
er es, sich in der elften Stunde zu salviren und in Kopenhagen Verzeihung
zu erlangen. Jetzt sucht er sich mit der ihm eigtien Gewandtheit, indem er
den Gutmüthigen und im Grunde deutsch Gesinnten spielt, bei kurzsichtigen
Leuten in Credit zu setzen und man kann ihn in der That beliebt nennen.
Sein College in der eckernförder Harte, Blauenfeld endlich, war früher als
Advocat wegen Güterverschleppung und Verleitung zum Meineid in Unter¬
suchung und wurde vom schleswigschen Ministerium wegen Unregelmäßigkeiten
in seiner Amtsführung'in S00 Reichsthaler Brüche verurrheilt.

Die Manieren des Bürgermeister Leisner, der zugleich als Hardesvogt
fwigirt und die Danistrung nach Kräften fördert, wird folgende ergötzliche


welchem früher niemand auch nur Advocat werden konnte. Eine wahrhaft
classische Geschichte von seiner allen Glauben übersteigenden Geschäftsunkunde
erzähle ich in einem der nächsten Briefe, nachdem ich bei Leuten, die der Sache
nahe gestanden, das volle Detail , daS mir. in Aussicht gestellt ist , gesammelt
habe. Für heute genüge eine Probe seiner Brutalität, die indeß in dem Be¬
nehmen mehrer seiner Amtsgenossen manches Seitenstück hat und deshalb nur
als einzelnes Factum auffällt.

Der Schuhmacher Paustian, ein alter eifriger Kirchengänger in Kattbeck,
hatte, als der Isländer Karl Mohr, Pastor in Fahrenstedt, dänisch predigte,
andächtig in seinem Gesangbuche gelesen, um, da er kei'n Wort von der Rede
in der ihm fremden Sprache verstand, sich wenigstens einigermaßen zu erbauen.
So blieb er sitzen, als jener schon den Segen gesprochen hatte. Der Pastor
denuncirte den frommen Mann wegen Nichachtung des Gottesdienstes. Er
hätte ihn vom dänischen Standpunkte vielmehr zu einer Belohnung empfehlen
sollen, da er die sonst sast völlig leere Kirche füllen geholfen. Der Hardcsvogt
steckte den Schuster ohne weiteres ins Gefängniß, in welchem er S6 Stunden
blieb. Als der Mann kam, hatte von Riis grade einen Termin, weshalb er
sagte: „Steckt ihn nur ein," und als man ihn wieder entließ, bemerkte er:
„Es macht ja nichts' aus (daß er so lange ohne vernommen zu sein, gesessen),
er ist ja wieder frei." Als man Paustian bewegen wollte, sich über diese
schmachvolle Behandlung zu beschweren, äußerte er sich (und so äußern sich
in ähnlichen Fällen die meisten): „Es ist doch kein Recht auf der Welt mehr
und ich habe nur Kosten und Umstände davon." Der Wahrheit zur Ehre muß
aber hinzugefügt werden, daß das Appellationsgericht in Flensburg wirklich mit¬
unter, wo nicht grade politische Momente ins Spiel kommen, der Willkür der
Beamten entgegentreten soll, wenn der Beeinträchtigte sich an dasselbe wendet.

Der Hardesvogt Christiansen ist intelligent und talentvoll, namentlich in
einem gewissen Sinne. Früher in Kiel, wußte er es, obwol ohne alles Ver¬
mögen^ möglich zu machen, gegen 12,000 Thaler Schulden zu contrahiren.
Später auf der Schleswig-holsteinischen Flotte als Auditeur angestellt, verstand
er es, sich in der elften Stunde zu salviren und in Kopenhagen Verzeihung
zu erlangen. Jetzt sucht er sich mit der ihm eigtien Gewandtheit, indem er
den Gutmüthigen und im Grunde deutsch Gesinnten spielt, bei kurzsichtigen
Leuten in Credit zu setzen und man kann ihn in der That beliebt nennen.
Sein College in der eckernförder Harte, Blauenfeld endlich, war früher als
Advocat wegen Güterverschleppung und Verleitung zum Meineid in Unter¬
suchung und wurde vom schleswigschen Ministerium wegen Unregelmäßigkeiten
in seiner Amtsführung'in S00 Reichsthaler Brüche verurrheilt.

Die Manieren des Bürgermeister Leisner, der zugleich als Hardesvogt
fwigirt und die Danistrung nach Kräften fördert, wird folgende ergötzliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/310>, abgerufen am 23.07.2024.