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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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schast da, wo er sie darstellen wollte, zur Verzerrung wurde. Ingres
weiß nicht durch die Farbe zu mildern und zu beleben und seine diesfälligen
Verstöße werden nur um so empfindlicher. Ein Mann, der wie er in Re¬
miniscenzen aus Rafaels Schule schwelgt, mußte sich von selbst zur sogenann¬
ten Religionsmalerei gezogen fühlen. Hier wurde aber das, was ihm abgeht,
nur um so auffallender. Was mit einem künstlerisch ausgebildeten Ver¬
stand , mit unerschütterlichem Fleiß, mit außerordentlicher Beherrschung der
Technik, mit großem Sinn sür Schönheit der Umrisse zu erreichen war, das
hatte er auch redlich erstrebt. Naivetät, poetische Durchglühung von-seinem
Stoffe, das alles fehlte ihm und man kann sich einen Begriff davon machen,
was Ingres geleistet haben würde, wenn er aus eignem Glauben, aus leben¬
diger Inspiration geschaffen hätte, wenn man die religiösen Gemälde seines
Schülers Hippolyt Flcmdrin betrachtet. Dieser hat den hingebenden Glauben,
er besitzt die Naivetät, die dem Meister fehlt und er hat auch das Beste ge¬
leistet, das einzige Gute, was das moderne Frankreich auf dem Gebiete der
Kirchenmalerei aufzuweisen hat. Der heilige Simphorius von Ingres macht
trotz aller Vorzüge, trotz der Meisterschaft, die ihm nicht abzusprechen ist, aus
uns die Wirkung eines abgeschreckten, plastischen Werkes. Es ist, als ob ein
tsklsau vivant durch mechanische Gewalt auf die Leinwand geheftet worden
wäre^ Ludwig XIII. hat schon mehr Innerlichkeit -- der König streckt mit wirk¬
lichem GlaubenSgesühl seine Arme nach der Mutter Gottes, es ist lebendiger,
nicht, wie in den meisten seiner Bilder, compunctirter, conventioneller Adel in
der Bewegung. Die Mutter Gottes blickt ohne Anmuth und mit künstlicher
Majestät auf den König herab. Ein solcher Blick müßte auf den eingefleisch¬
testen Katholiken abkühlend wirken. Die Apotheose Homers wird häufig als
das größte Kunstwerk aufgeschrien, aber wir konnten uns niemals diesen
Enthusiasmus nur erklärlich machen. Uns ließ diese assöuMös pvöticius par Is
üroit co AvniL immer kalt. Homer auf dem Throne, seine beiden Schöpfungen
die Jliade und die Odyssee zu seinen Füßen und ringsherum ein Hofstaat von
den Dichtern, die Homers Genie bei ihren Schöpfungen begeistert bis auf unsre
Zeit -- hatten nichts Erhebendes -- die Herrn langweilen sich offenbar in so
guter Gesellschaft zu sein und Homer, so treu er auch, nach seinen Büsten zu ur¬
theilen, gemalt sein mag, er sitzt auch da gelangweilt auf seinem Throne, wie
irgendein Fürst, der einen officiellen Empfang zu überwinden hat. Wir lassen
sonst gern alles gelten, was man will, die vorzügliche Gruppirung, die harmo¬
nische Zusammenstellung dieser verschiedenen Figuren, die Summe von psycho¬
logischen und anatomischen Absichten, die vollkommen erreicht sind. Ingres hat
mit antiquarischer Treue alles angedeutet, was zum Verständniß seiner Ge¬
danken gehört -- er hat alles berechnet, alles bedacht und das Ganze macht
einen respectirlichen Eindruck, aber wir sind kaum vorüber und schon haben


schast da, wo er sie darstellen wollte, zur Verzerrung wurde. Ingres
weiß nicht durch die Farbe zu mildern und zu beleben und seine diesfälligen
Verstöße werden nur um so empfindlicher. Ein Mann, der wie er in Re¬
miniscenzen aus Rafaels Schule schwelgt, mußte sich von selbst zur sogenann¬
ten Religionsmalerei gezogen fühlen. Hier wurde aber das, was ihm abgeht,
nur um so auffallender. Was mit einem künstlerisch ausgebildeten Ver¬
stand , mit unerschütterlichem Fleiß, mit außerordentlicher Beherrschung der
Technik, mit großem Sinn sür Schönheit der Umrisse zu erreichen war, das
hatte er auch redlich erstrebt. Naivetät, poetische Durchglühung von-seinem
Stoffe, das alles fehlte ihm und man kann sich einen Begriff davon machen,
was Ingres geleistet haben würde, wenn er aus eignem Glauben, aus leben¬
diger Inspiration geschaffen hätte, wenn man die religiösen Gemälde seines
Schülers Hippolyt Flcmdrin betrachtet. Dieser hat den hingebenden Glauben,
er besitzt die Naivetät, die dem Meister fehlt und er hat auch das Beste ge¬
leistet, das einzige Gute, was das moderne Frankreich auf dem Gebiete der
Kirchenmalerei aufzuweisen hat. Der heilige Simphorius von Ingres macht
trotz aller Vorzüge, trotz der Meisterschaft, die ihm nicht abzusprechen ist, aus
uns die Wirkung eines abgeschreckten, plastischen Werkes. Es ist, als ob ein
tsklsau vivant durch mechanische Gewalt auf die Leinwand geheftet worden
wäre^ Ludwig XIII. hat schon mehr Innerlichkeit — der König streckt mit wirk¬
lichem GlaubenSgesühl seine Arme nach der Mutter Gottes, es ist lebendiger,
nicht, wie in den meisten seiner Bilder, compunctirter, conventioneller Adel in
der Bewegung. Die Mutter Gottes blickt ohne Anmuth und mit künstlicher
Majestät auf den König herab. Ein solcher Blick müßte auf den eingefleisch¬
testen Katholiken abkühlend wirken. Die Apotheose Homers wird häufig als
das größte Kunstwerk aufgeschrien, aber wir konnten uns niemals diesen
Enthusiasmus nur erklärlich machen. Uns ließ diese assöuMös pvöticius par Is
üroit co AvniL immer kalt. Homer auf dem Throne, seine beiden Schöpfungen
die Jliade und die Odyssee zu seinen Füßen und ringsherum ein Hofstaat von
den Dichtern, die Homers Genie bei ihren Schöpfungen begeistert bis auf unsre
Zeit — hatten nichts Erhebendes — die Herrn langweilen sich offenbar in so
guter Gesellschaft zu sein und Homer, so treu er auch, nach seinen Büsten zu ur¬
theilen, gemalt sein mag, er sitzt auch da gelangweilt auf seinem Throne, wie
irgendein Fürst, der einen officiellen Empfang zu überwinden hat. Wir lassen
sonst gern alles gelten, was man will, die vorzügliche Gruppirung, die harmo¬
nische Zusammenstellung dieser verschiedenen Figuren, die Summe von psycho¬
logischen und anatomischen Absichten, die vollkommen erreicht sind. Ingres hat
mit antiquarischer Treue alles angedeutet, was zum Verständniß seiner Ge¬
danken gehört — er hat alles berechnet, alles bedacht und das Ganze macht
einen respectirlichen Eindruck, aber wir sind kaum vorüber und schon haben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/276>, abgerufen am 03.07.2024.