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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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rire ist Mitgliev des Cabinets. Der Chef des Medicinalwesens der Armee
ist für die Disciplin der ihm untergeordneten Aerzte dem Oberbefehlshaber,
für die Verwaltung der Hospitäler dem Kriegssecretär verantwortlich.

Sonach bestanden sechs Militärbehörden, die keiner Centralbehörde unter¬
geordnet waren. Jede derselben, mit Ausnahme des Kommissariats, war in
ihrer Sphäre vollkommen unabhängig, ohne daß ein Minister für ihre Amts¬
führung haftete; denn es war zufällig, wenn der Kriegssecretar zugleich Mit¬
glied des Cabinets war.

Ueber diese Militärverwaltung mit ihren fünf oder sechs Häuptern setzte
man nun unter dem Ministerium Aberdeen einen Staatssecretär des Krieges,
den Herzog von Newcastle, behielt aber zugleich den Kriegssecretär, Sir Sid-
ney Herbert bei, der ebenfalls im Cabinet saß, ohne daß man wußte, wie
zwischen ihm und dem Kriegsminister die Befugnisse vertheilt waren. Aus diesem
Grunde trat Lord Rüssel im Januar dieses Jahres aus dem Cabinet; er
wollte einen dirigirenden Kriegsminister und zwar nicht den Herzog von
Newcastle.

Als Lord Palmerston das gegenwärtige Cabinet bildete, berief er als
Kriegsminister Lord Panmure. Der Titel Kriegssecretär wurde abgeschafft und
alle Befugnisse dieser Charge gingen auf den Kriegsminister über. Zugleich
erklärte Palmerston im Unterhause, daß die Civilvcrwaltung der Artillerie und
des Geniewesens dem Kriegsminister, die Disciplin dieser Waffe aber dem
Oberbefehlshaber zufallen solle. Ueber die Stellung dieses letztern aber zum
Kriegsminister war man unklar. Man sagte, daß der Oberbefehlshaber in
Sachen seiner Kompetenz um Nath gefragt werden, baß aber der Kriegsminister
den Rath prüfen und die Entscheidung geben solle. Die Einheit im Kriegswesen
wurde also nicht hergestellt. Das Personal der Armee liegt in der einen, die
Verwaltung der Armee und der Krieg in der andern Hand. Die Militär¬
intendantur verbleibt dem Schatzamt. Inzwischen sind die Klagen über die
Kriegsbereitschaft des Heeres verstumm!.

Dagegen dauern die Klagen über die Organisation des Heeres fort.
Die Armee recrutirt sich durch freiwilligen Eintritt und durch Werbung, nicht
durch Conscription. Letztere aber hat die Vortheile, daß die Armee stets junge
und kräftige Soldaten enthält, die zu allen Arbeiten und Handwerken geschickt
und befähigt sind,, zu Offizieren befördert zu werden. In England werden die
Offiziere aus den "Gentlemen" genommen, ohne daß sie genügend vorbereitet
sind. Sie kaufen ihre Grade. Ein junger Mann, der reich genug ist, um
1190 Pfund Sterling in der Cavalerie oder 430 Pfund in der Infanterie zu
bezahlen, erhält ohne Schwierigkeit das Fähnrichspatent. Militärschulen fehlen
gänzlich; der Garnisondienst wird in der Regel von den Unteroffizieren geleitet;
vie Regimenter sind gewöhnlich vereinzelt und ohne Zusammenhang, so daß der


rire ist Mitgliev des Cabinets. Der Chef des Medicinalwesens der Armee
ist für die Disciplin der ihm untergeordneten Aerzte dem Oberbefehlshaber,
für die Verwaltung der Hospitäler dem Kriegssecretär verantwortlich.

Sonach bestanden sechs Militärbehörden, die keiner Centralbehörde unter¬
geordnet waren. Jede derselben, mit Ausnahme des Kommissariats, war in
ihrer Sphäre vollkommen unabhängig, ohne daß ein Minister für ihre Amts¬
führung haftete; denn es war zufällig, wenn der Kriegssecretar zugleich Mit¬
glied des Cabinets war.

Ueber diese Militärverwaltung mit ihren fünf oder sechs Häuptern setzte
man nun unter dem Ministerium Aberdeen einen Staatssecretär des Krieges,
den Herzog von Newcastle, behielt aber zugleich den Kriegssecretär, Sir Sid-
ney Herbert bei, der ebenfalls im Cabinet saß, ohne daß man wußte, wie
zwischen ihm und dem Kriegsminister die Befugnisse vertheilt waren. Aus diesem
Grunde trat Lord Rüssel im Januar dieses Jahres aus dem Cabinet; er
wollte einen dirigirenden Kriegsminister und zwar nicht den Herzog von
Newcastle.

Als Lord Palmerston das gegenwärtige Cabinet bildete, berief er als
Kriegsminister Lord Panmure. Der Titel Kriegssecretär wurde abgeschafft und
alle Befugnisse dieser Charge gingen auf den Kriegsminister über. Zugleich
erklärte Palmerston im Unterhause, daß die Civilvcrwaltung der Artillerie und
des Geniewesens dem Kriegsminister, die Disciplin dieser Waffe aber dem
Oberbefehlshaber zufallen solle. Ueber die Stellung dieses letztern aber zum
Kriegsminister war man unklar. Man sagte, daß der Oberbefehlshaber in
Sachen seiner Kompetenz um Nath gefragt werden, baß aber der Kriegsminister
den Rath prüfen und die Entscheidung geben solle. Die Einheit im Kriegswesen
wurde also nicht hergestellt. Das Personal der Armee liegt in der einen, die
Verwaltung der Armee und der Krieg in der andern Hand. Die Militär¬
intendantur verbleibt dem Schatzamt. Inzwischen sind die Klagen über die
Kriegsbereitschaft des Heeres verstumm!.

Dagegen dauern die Klagen über die Organisation des Heeres fort.
Die Armee recrutirt sich durch freiwilligen Eintritt und durch Werbung, nicht
durch Conscription. Letztere aber hat die Vortheile, daß die Armee stets junge
und kräftige Soldaten enthält, die zu allen Arbeiten und Handwerken geschickt
und befähigt sind,, zu Offizieren befördert zu werden. In England werden die
Offiziere aus den „Gentlemen" genommen, ohne daß sie genügend vorbereitet
sind. Sie kaufen ihre Grade. Ein junger Mann, der reich genug ist, um
1190 Pfund Sterling in der Cavalerie oder 430 Pfund in der Infanterie zu
bezahlen, erhält ohne Schwierigkeit das Fähnrichspatent. Militärschulen fehlen
gänzlich; der Garnisondienst wird in der Regel von den Unteroffizieren geleitet;
vie Regimenter sind gewöhnlich vereinzelt und ohne Zusammenhang, so daß der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/258>, abgerufen am 02.10.2024.