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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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unterwegs einige Schlachten geschlagen werden. Aber nehmen wir an, Moskau
ist eingenommen, Rußland niedergeworfen, der Zar entweder mit mir aus¬
gesöhnt, oder durch eine Palastverschwörung ums Leben gekommen; sollte da
nicht eine große Armee Franzosen von Tiflis aus einen Weg nach dem Ganges
finden, dessen Ufer nur ein französisches Schwert zu berühren braucht, um daS
ganze gewaltige Gebäude englischer kaufmännischer Größe in Ostindien über
den Hausen zu werfen? Es wird die Erpedition sein, welche dem -19. Jahr¬
hundert seinen Namen gibt -- von gigantischem Maßstabe, aber recht gut
ausführbar: Sie sehen jetzt, daß mir alles gebietet, nach Moskau zu gehen
und Sie werden hoffentlich zugeben, daß alles ziemlich weise combinirt ist.
Für alles ist gesorgt, abgesehen natürlich von der Hand der Vorsehung, welche,
hoffe ich, uns nicht fehlen wird."

Das Stillschweigen, mit dem Herr von Narbonne diese monströsen Pläne
aufnahm, hielt ebensowenig als em Widerspruch Napoleon von der Verfol¬
gung derselben ab. "Lassen Sie sich nicht tauschen" sagte er einmal "ich bin
ein echter römischer Kaiser; ich bin von der edelsten Art der Cäsaren -- von
der, welche Gründer sind. Chateaubriand vergleicht mich in seinem Mercur
stillschweigend mit Tiberius. Ein guter Einfall, wahrhaftig! Trajan, Diocle-
tian, Aurelian, wenn Sie wollen; einer von diesen, die ihrer Geburt nichts
verdanken und die Welt umgekehrt haben. Wie geht es nur zu, daß Ihnen,
der mit diesen Sachen so vertraut ist, nicht die Aehnlichkeit meiner Regierung
mit der des Diocletian auffällt? Sehen Sie das dichte Gewebe, das ich über¬
all hin ausbreite; dann das Auge des Herrn, dem sich niemand entziehen
kann und die Civilautorität, die ich mitten in einem rein kriegerischen Reiche
allmächtig erhalten halle. Was Trajan betrifft, so bilde ich mir ein, es ist
keine llatteriö Z'Operg, mich mit ihm zu vergleichen!"

Von solchen Gesprächen kehrte Herr von Narbonne erschrocken, verwirrt,
fast an seinem Verstand zweifelnd und mit der Miene voll Kummer und Ironie,
mit der bittern Stimmung zurück, welche auf Villemain einen so großen Ein¬
druck machten. Sehr interessant ist, was wir durch ihn über die Stimmung
im Innern Frankreichs während der letzten vier oder fünf Jahre des Kaiser¬
reichs erfahren. Frankreich ist unter Napoleon selten zu Hause, ' wenn wir
uns so ausdrücken dürfen. Die großen Ereignisse seines Nationallebens gehen
in andern Ländern vor sich; seine Geschichte muß außerhalb seiner Grenzen
verfolgt werden und in Berlin, in Wien, in Neapel oder in Madrid müssen
die Geschichtschreiber jener Zeit die glänzendsten Thaten des damaligen Frank¬
reichs verfolgen. Aber daneben besteht noch ein anderes Leben, das bis jetzt
kaum beschrieben ist, eine Geschichte, die noch keinen Geschichtschreiber hat:
die Geschichte der Bevölkerungen, die zurückblieben, wenn die Legionen des
Eroberers ihrem glänzenden oder blutigen Schicksal entgegeneilten; der Frauen,


unterwegs einige Schlachten geschlagen werden. Aber nehmen wir an, Moskau
ist eingenommen, Rußland niedergeworfen, der Zar entweder mit mir aus¬
gesöhnt, oder durch eine Palastverschwörung ums Leben gekommen; sollte da
nicht eine große Armee Franzosen von Tiflis aus einen Weg nach dem Ganges
finden, dessen Ufer nur ein französisches Schwert zu berühren braucht, um daS
ganze gewaltige Gebäude englischer kaufmännischer Größe in Ostindien über
den Hausen zu werfen? Es wird die Erpedition sein, welche dem -19. Jahr¬
hundert seinen Namen gibt — von gigantischem Maßstabe, aber recht gut
ausführbar: Sie sehen jetzt, daß mir alles gebietet, nach Moskau zu gehen
und Sie werden hoffentlich zugeben, daß alles ziemlich weise combinirt ist.
Für alles ist gesorgt, abgesehen natürlich von der Hand der Vorsehung, welche,
hoffe ich, uns nicht fehlen wird."

Das Stillschweigen, mit dem Herr von Narbonne diese monströsen Pläne
aufnahm, hielt ebensowenig als em Widerspruch Napoleon von der Verfol¬
gung derselben ab. „Lassen Sie sich nicht tauschen" sagte er einmal „ich bin
ein echter römischer Kaiser; ich bin von der edelsten Art der Cäsaren — von
der, welche Gründer sind. Chateaubriand vergleicht mich in seinem Mercur
stillschweigend mit Tiberius. Ein guter Einfall, wahrhaftig! Trajan, Diocle-
tian, Aurelian, wenn Sie wollen; einer von diesen, die ihrer Geburt nichts
verdanken und die Welt umgekehrt haben. Wie geht es nur zu, daß Ihnen,
der mit diesen Sachen so vertraut ist, nicht die Aehnlichkeit meiner Regierung
mit der des Diocletian auffällt? Sehen Sie das dichte Gewebe, das ich über¬
all hin ausbreite; dann das Auge des Herrn, dem sich niemand entziehen
kann und die Civilautorität, die ich mitten in einem rein kriegerischen Reiche
allmächtig erhalten halle. Was Trajan betrifft, so bilde ich mir ein, es ist
keine llatteriö Z'Operg, mich mit ihm zu vergleichen!"

Von solchen Gesprächen kehrte Herr von Narbonne erschrocken, verwirrt,
fast an seinem Verstand zweifelnd und mit der Miene voll Kummer und Ironie,
mit der bittern Stimmung zurück, welche auf Villemain einen so großen Ein¬
druck machten. Sehr interessant ist, was wir durch ihn über die Stimmung
im Innern Frankreichs während der letzten vier oder fünf Jahre des Kaiser¬
reichs erfahren. Frankreich ist unter Napoleon selten zu Hause, ' wenn wir
uns so ausdrücken dürfen. Die großen Ereignisse seines Nationallebens gehen
in andern Ländern vor sich; seine Geschichte muß außerhalb seiner Grenzen
verfolgt werden und in Berlin, in Wien, in Neapel oder in Madrid müssen
die Geschichtschreiber jener Zeit die glänzendsten Thaten des damaligen Frank¬
reichs verfolgen. Aber daneben besteht noch ein anderes Leben, das bis jetzt
kaum beschrieben ist, eine Geschichte, die noch keinen Geschichtschreiber hat:
die Geschichte der Bevölkerungen, die zurückblieben, wenn die Legionen des
Eroberers ihrem glänzenden oder blutigen Schicksal entgegeneilten; der Frauen,


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[0244] unterwegs einige Schlachten geschlagen werden. Aber nehmen wir an, Moskau ist eingenommen, Rußland niedergeworfen, der Zar entweder mit mir aus¬ gesöhnt, oder durch eine Palastverschwörung ums Leben gekommen; sollte da nicht eine große Armee Franzosen von Tiflis aus einen Weg nach dem Ganges finden, dessen Ufer nur ein französisches Schwert zu berühren braucht, um daS ganze gewaltige Gebäude englischer kaufmännischer Größe in Ostindien über den Hausen zu werfen? Es wird die Erpedition sein, welche dem -19. Jahr¬ hundert seinen Namen gibt — von gigantischem Maßstabe, aber recht gut ausführbar: Sie sehen jetzt, daß mir alles gebietet, nach Moskau zu gehen und Sie werden hoffentlich zugeben, daß alles ziemlich weise combinirt ist. Für alles ist gesorgt, abgesehen natürlich von der Hand der Vorsehung, welche, hoffe ich, uns nicht fehlen wird." Das Stillschweigen, mit dem Herr von Narbonne diese monströsen Pläne aufnahm, hielt ebensowenig als em Widerspruch Napoleon von der Verfol¬ gung derselben ab. „Lassen Sie sich nicht tauschen" sagte er einmal „ich bin ein echter römischer Kaiser; ich bin von der edelsten Art der Cäsaren — von der, welche Gründer sind. Chateaubriand vergleicht mich in seinem Mercur stillschweigend mit Tiberius. Ein guter Einfall, wahrhaftig! Trajan, Diocle- tian, Aurelian, wenn Sie wollen; einer von diesen, die ihrer Geburt nichts verdanken und die Welt umgekehrt haben. Wie geht es nur zu, daß Ihnen, der mit diesen Sachen so vertraut ist, nicht die Aehnlichkeit meiner Regierung mit der des Diocletian auffällt? Sehen Sie das dichte Gewebe, das ich über¬ all hin ausbreite; dann das Auge des Herrn, dem sich niemand entziehen kann und die Civilautorität, die ich mitten in einem rein kriegerischen Reiche allmächtig erhalten halle. Was Trajan betrifft, so bilde ich mir ein, es ist keine llatteriö Z'Operg, mich mit ihm zu vergleichen!" Von solchen Gesprächen kehrte Herr von Narbonne erschrocken, verwirrt, fast an seinem Verstand zweifelnd und mit der Miene voll Kummer und Ironie, mit der bittern Stimmung zurück, welche auf Villemain einen so großen Ein¬ druck machten. Sehr interessant ist, was wir durch ihn über die Stimmung im Innern Frankreichs während der letzten vier oder fünf Jahre des Kaiser¬ reichs erfahren. Frankreich ist unter Napoleon selten zu Hause, ' wenn wir uns so ausdrücken dürfen. Die großen Ereignisse seines Nationallebens gehen in andern Ländern vor sich; seine Geschichte muß außerhalb seiner Grenzen verfolgt werden und in Berlin, in Wien, in Neapel oder in Madrid müssen die Geschichtschreiber jener Zeit die glänzendsten Thaten des damaligen Frank¬ reichs verfolgen. Aber daneben besteht noch ein anderes Leben, das bis jetzt kaum beschrieben ist, eine Geschichte, die noch keinen Geschichtschreiber hat: die Geschichte der Bevölkerungen, die zurückblieben, wenn die Legionen des Eroberers ihrem glänzenden oder blutigen Schicksal entgegeneilten; der Frauen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/244>, abgerufen am 24.08.2024.