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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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ist." Diesem Gespräch fügt Mllemain noch die Bemerkung bei, "der Mann, den
ich gewohnt war immer so ruhig und voll so heitrer Seelengröße zu finden,
legte jetzt in seinen Gedanken, in dem Ton seiner Stimme und selbst in dem
Zucken seiner Lippen eine Gereiztheit an den Tag, die ich nie vorher an ihm
bemerkt hatte; seine Stimmung war ein Gemisch von Traurigkeit und Ironie,
eine Bitterkeit, die mich verwirrte. Ich schwieg ehrfurchtsvoll vor diesem pa¬
triotischen Schmerz und war halb geneigt, über ^ die literarische Begeisterung zu
erröthen, in die ich mich einen Augenblick vorher vertieft hatte. Ich ahnte,
daß mir nun plötzlich ein Einblick in die traurige Wirklichkeit deS Daseins ver¬
gönnt werde, und ich fühlte, daß ich in dieser kurzen Spanne Zeil mehr gelernt
hatte, als durch stundenlanges Studiren in Büchern." An diesem Tage hatte
der Lieblingsadjutant des Kaisers die ersten unbestimmten Andeutungen eines
so ungeheuerlich phantastischen EroberUngsplancs bekommen, daß er ihn für den
bloßen Traum eines von Siegesübermuth und Eroberungslust berauschten
Hirns hielt. Da der Kaiser immer und immer wieder darauf zurückkam und
mit immer größerem Ernst darauf bestand, so zwang sich ihm zuletzt die trau¬
rige Ueberzeugung von der Unmöglichkeit auf, der größten Gefahr, mit der
jemals Frankreich bedroht gewesen, vorzubeugen. Gründe schlugen nicht an
und keine Bitten konnten das eiserne Herz bewegen, das wie von einem ver-
hängnißvollen Magnet von der Aussicht, dem russischen Zaren in Moskau selbst
den Frieden zu dictiren, sich in die unwegsamen und unbegrenzten Wüsteneien
des großen nordischen Reichs verlocken ließ. Es war keine Folge eines festen
politischen Systems, sondern vielmehr die Leidenschaft, einen Lieblingstraum
seiner sich in ungeheuerlichen Plänen gefallenden Seele zu verwirklichen, waS
Napoleon nach Nußland trieb. Es war,'als ob der Siegesübermuth seinen
sonst so klaren Geist umnebelte und ihm alles in einem trügerischen, phanta¬
stisch verführerischen Licht erblicken ließ. Man lese nur, was er über Alexander,
über die Bestimmung der tartarischen Race, über seine Pläne für eine un¬
mögliche Zukunft, sagt. "Werden Sie sich niemals überzeugen lassen, nar-
, bonne?" sagte er einmal zu ihm; Sie sind doch in der Geschichte so gut be¬
wandert, sehen Sie nicht, daß ich dasselbe thue, was Marius vor 1800 Jahren
that, als er mit seinen von der afrikanischen Sonne gebräunten Beteranen
zweimal in der. Nachbarschaft von Air die Heerscharen des Nordens vernich¬
tete und den Einfall der Gothen drei Jahrhunderte länger hinausschob ? Die
Ausrottung der Cimbern ist die erste nothwendige Bedingung des Herrschens
und in demselben Blut hat auch später unter Trajan, Aurelian und unter
Theodosius das Kaiserthum stets frische Kräfte gefunden!" "Die einzige
Schwierigkeit dieses Zugs ist eine moralische," wiederholte er oft; "während
wir die Energie des revolutionären Geistes benutzen, dürfen wir seinen Leiden¬
schaften nicht den Zügel schießen lassen; wir müssen Polen zum Aufstand be-


ist." Diesem Gespräch fügt Mllemain noch die Bemerkung bei, „der Mann, den
ich gewohnt war immer so ruhig und voll so heitrer Seelengröße zu finden,
legte jetzt in seinen Gedanken, in dem Ton seiner Stimme und selbst in dem
Zucken seiner Lippen eine Gereiztheit an den Tag, die ich nie vorher an ihm
bemerkt hatte; seine Stimmung war ein Gemisch von Traurigkeit und Ironie,
eine Bitterkeit, die mich verwirrte. Ich schwieg ehrfurchtsvoll vor diesem pa¬
triotischen Schmerz und war halb geneigt, über ^ die literarische Begeisterung zu
erröthen, in die ich mich einen Augenblick vorher vertieft hatte. Ich ahnte,
daß mir nun plötzlich ein Einblick in die traurige Wirklichkeit deS Daseins ver¬
gönnt werde, und ich fühlte, daß ich in dieser kurzen Spanne Zeil mehr gelernt
hatte, als durch stundenlanges Studiren in Büchern." An diesem Tage hatte
der Lieblingsadjutant des Kaisers die ersten unbestimmten Andeutungen eines
so ungeheuerlich phantastischen EroberUngsplancs bekommen, daß er ihn für den
bloßen Traum eines von Siegesübermuth und Eroberungslust berauschten
Hirns hielt. Da der Kaiser immer und immer wieder darauf zurückkam und
mit immer größerem Ernst darauf bestand, so zwang sich ihm zuletzt die trau¬
rige Ueberzeugung von der Unmöglichkeit auf, der größten Gefahr, mit der
jemals Frankreich bedroht gewesen, vorzubeugen. Gründe schlugen nicht an
und keine Bitten konnten das eiserne Herz bewegen, das wie von einem ver-
hängnißvollen Magnet von der Aussicht, dem russischen Zaren in Moskau selbst
den Frieden zu dictiren, sich in die unwegsamen und unbegrenzten Wüsteneien
des großen nordischen Reichs verlocken ließ. Es war keine Folge eines festen
politischen Systems, sondern vielmehr die Leidenschaft, einen Lieblingstraum
seiner sich in ungeheuerlichen Plänen gefallenden Seele zu verwirklichen, waS
Napoleon nach Nußland trieb. Es war,'als ob der Siegesübermuth seinen
sonst so klaren Geist umnebelte und ihm alles in einem trügerischen, phanta¬
stisch verführerischen Licht erblicken ließ. Man lese nur, was er über Alexander,
über die Bestimmung der tartarischen Race, über seine Pläne für eine un¬
mögliche Zukunft, sagt. „Werden Sie sich niemals überzeugen lassen, nar-
, bonne?" sagte er einmal zu ihm; Sie sind doch in der Geschichte so gut be¬
wandert, sehen Sie nicht, daß ich dasselbe thue, was Marius vor 1800 Jahren
that, als er mit seinen von der afrikanischen Sonne gebräunten Beteranen
zweimal in der. Nachbarschaft von Air die Heerscharen des Nordens vernich¬
tete und den Einfall der Gothen drei Jahrhunderte länger hinausschob ? Die
Ausrottung der Cimbern ist die erste nothwendige Bedingung des Herrschens
und in demselben Blut hat auch später unter Trajan, Aurelian und unter
Theodosius das Kaiserthum stets frische Kräfte gefunden!" „Die einzige
Schwierigkeit dieses Zugs ist eine moralische," wiederholte er oft; „während
wir die Energie des revolutionären Geistes benutzen, dürfen wir seinen Leiden¬
schaften nicht den Zügel schießen lassen; wir müssen Polen zum Aufstand be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/242>, abgerufen am 24.08.2024.