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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Der Dom ist in germanischem Stil erbaut, macht indeß, da er thurmloS
ist und blos ein kleines Glockengehäuse hat, keinen besonders großartigen Ein¬
druck. Das Innere ist unter Christian dem Achten restaurirt worden und
wirkt in diesem neuen Kleide recht gefällig. Sehr gut ist die Orgel. Der
Hauptschatz der Kirche aber besteht in ihrem Altarschrein -- einem der herr¬
lichsten Holzbildwerke der Welt. Wenn ich nicht irre, bedauerte eS Goethe
tief, nicht dazu gekommen zu sein, dieses Kleinod mittelalterlicher Kunst zu
sehen. Schon seinethcilben verlohnt sich eine Reise hierher. Es ist eine Perle
in ziemlich unscheinbarer Schale, es ist ein Raphael in Holz. Von Meister
Hans Brüggemann von Husum in einem Zeitraum von neun Jahren aus¬
geführt und vollendet, stellt es in 22 Feldern mit 385 Hauptfiguren das
Leiden und den Tod des Erlösers dar. Alles, die einzelnen Gestalten, die
Gruppirung, die Anordnung der Felder, die symbolischen Gestalten über und
neben dem eigenthümlichen Bilde, der Arabeskenschmuck der Nischen und Spitz¬
bögen selbst trägt entschieden den Stempel des Genius, und selbst das Kleinste
und scheinbar Unbedeutendste läßt die Tiefe und den Reichthum, sowie die tech¬
nische Ausbildung des Geistes bewundern, dem dieses Meisterwerk der Holz¬
schnitzkunst sein Dasein verdankt.

Schloß Gottorp liegt ungefähr in der Mitte der Stadt, zwischen Lollsuß
und Friedrichsberg. Es ist ein sehr ansehnliches Gebäude, dessen Bauart aber
seinem Alterthume nicht entspricht. Einst die Wohnung von Herzögen und
Königen ist die ehrwürdige Stammburg des dänischen und russischen Herrscher¬
hauses jetzt zu einer prosaischen Kaserne geworden. Auch hierbei mag die fa¬
natische Sucht zu nivolliren und der Haß der Dänen gegen Schleswig im
Spiele gewesen sein, ein Haß, der nichts schont, nichts achtet, selbst daS An¬
denken an die Ahnen seiner Könige nicht. Man wollte eine der Erinnerungen
an die Zeit auslöschen oder wenigstens trüben, wo Schleswig eigne Herzöge
gehabt hatte, und man scheute sich zur Erreichung dieses Zweckes nicht, den
Ort, wo die Wiege des Hauses Gottorp gestanden, in einen Dragonerstall zu
verwandeln. Wenn dies unter einem demokratischen Ministerium geschehen
wäre, so wäre daran nichts Erstaunliches, daß die Maßregel aber unter Oersted
beschlossen wurde, dem die Neue preußische Zeitung das Zeugniß ihres Wohl¬
gefallens wiederholt ertheilt hat, darf billig Wunder nehmen.

Das Taubstummeninstitut und das Irrenhaus sind Anstalten, welche noch
jetzt beiden Herzogthümern gemeinsam sind. Daß man grade sie schlcswig-
holsteinisch bleiben ließ, während man anderwärts selbst in dem Namen der
geringfügigsten Dinge das Andenken an die Untrennbarkeit der Herzogthümer
auszurotten bestrebt war, erscheint bei einem Blicke auf ihre Bestimmung wie
bittrer Hohn.

Das erstere der beiden Institute ist mit einer Druckerei verbunden, wird


Der Dom ist in germanischem Stil erbaut, macht indeß, da er thurmloS
ist und blos ein kleines Glockengehäuse hat, keinen besonders großartigen Ein¬
druck. Das Innere ist unter Christian dem Achten restaurirt worden und
wirkt in diesem neuen Kleide recht gefällig. Sehr gut ist die Orgel. Der
Hauptschatz der Kirche aber besteht in ihrem Altarschrein — einem der herr¬
lichsten Holzbildwerke der Welt. Wenn ich nicht irre, bedauerte eS Goethe
tief, nicht dazu gekommen zu sein, dieses Kleinod mittelalterlicher Kunst zu
sehen. Schon seinethcilben verlohnt sich eine Reise hierher. Es ist eine Perle
in ziemlich unscheinbarer Schale, es ist ein Raphael in Holz. Von Meister
Hans Brüggemann von Husum in einem Zeitraum von neun Jahren aus¬
geführt und vollendet, stellt es in 22 Feldern mit 385 Hauptfiguren das
Leiden und den Tod des Erlösers dar. Alles, die einzelnen Gestalten, die
Gruppirung, die Anordnung der Felder, die symbolischen Gestalten über und
neben dem eigenthümlichen Bilde, der Arabeskenschmuck der Nischen und Spitz¬
bögen selbst trägt entschieden den Stempel des Genius, und selbst das Kleinste
und scheinbar Unbedeutendste läßt die Tiefe und den Reichthum, sowie die tech¬
nische Ausbildung des Geistes bewundern, dem dieses Meisterwerk der Holz¬
schnitzkunst sein Dasein verdankt.

Schloß Gottorp liegt ungefähr in der Mitte der Stadt, zwischen Lollsuß
und Friedrichsberg. Es ist ein sehr ansehnliches Gebäude, dessen Bauart aber
seinem Alterthume nicht entspricht. Einst die Wohnung von Herzögen und
Königen ist die ehrwürdige Stammburg des dänischen und russischen Herrscher¬
hauses jetzt zu einer prosaischen Kaserne geworden. Auch hierbei mag die fa¬
natische Sucht zu nivolliren und der Haß der Dänen gegen Schleswig im
Spiele gewesen sein, ein Haß, der nichts schont, nichts achtet, selbst daS An¬
denken an die Ahnen seiner Könige nicht. Man wollte eine der Erinnerungen
an die Zeit auslöschen oder wenigstens trüben, wo Schleswig eigne Herzöge
gehabt hatte, und man scheute sich zur Erreichung dieses Zweckes nicht, den
Ort, wo die Wiege des Hauses Gottorp gestanden, in einen Dragonerstall zu
verwandeln. Wenn dies unter einem demokratischen Ministerium geschehen
wäre, so wäre daran nichts Erstaunliches, daß die Maßregel aber unter Oersted
beschlossen wurde, dem die Neue preußische Zeitung das Zeugniß ihres Wohl¬
gefallens wiederholt ertheilt hat, darf billig Wunder nehmen.

Das Taubstummeninstitut und das Irrenhaus sind Anstalten, welche noch
jetzt beiden Herzogthümern gemeinsam sind. Daß man grade sie schlcswig-
holsteinisch bleiben ließ, während man anderwärts selbst in dem Namen der
geringfügigsten Dinge das Andenken an die Untrennbarkeit der Herzogthümer
auszurotten bestrebt war, erscheint bei einem Blicke auf ihre Bestimmung wie
bittrer Hohn.

Das erstere der beiden Institute ist mit einer Druckerei verbunden, wird


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[0237] Der Dom ist in germanischem Stil erbaut, macht indeß, da er thurmloS ist und blos ein kleines Glockengehäuse hat, keinen besonders großartigen Ein¬ druck. Das Innere ist unter Christian dem Achten restaurirt worden und wirkt in diesem neuen Kleide recht gefällig. Sehr gut ist die Orgel. Der Hauptschatz der Kirche aber besteht in ihrem Altarschrein — einem der herr¬ lichsten Holzbildwerke der Welt. Wenn ich nicht irre, bedauerte eS Goethe tief, nicht dazu gekommen zu sein, dieses Kleinod mittelalterlicher Kunst zu sehen. Schon seinethcilben verlohnt sich eine Reise hierher. Es ist eine Perle in ziemlich unscheinbarer Schale, es ist ein Raphael in Holz. Von Meister Hans Brüggemann von Husum in einem Zeitraum von neun Jahren aus¬ geführt und vollendet, stellt es in 22 Feldern mit 385 Hauptfiguren das Leiden und den Tod des Erlösers dar. Alles, die einzelnen Gestalten, die Gruppirung, die Anordnung der Felder, die symbolischen Gestalten über und neben dem eigenthümlichen Bilde, der Arabeskenschmuck der Nischen und Spitz¬ bögen selbst trägt entschieden den Stempel des Genius, und selbst das Kleinste und scheinbar Unbedeutendste läßt die Tiefe und den Reichthum, sowie die tech¬ nische Ausbildung des Geistes bewundern, dem dieses Meisterwerk der Holz¬ schnitzkunst sein Dasein verdankt. Schloß Gottorp liegt ungefähr in der Mitte der Stadt, zwischen Lollsuß und Friedrichsberg. Es ist ein sehr ansehnliches Gebäude, dessen Bauart aber seinem Alterthume nicht entspricht. Einst die Wohnung von Herzögen und Königen ist die ehrwürdige Stammburg des dänischen und russischen Herrscher¬ hauses jetzt zu einer prosaischen Kaserne geworden. Auch hierbei mag die fa¬ natische Sucht zu nivolliren und der Haß der Dänen gegen Schleswig im Spiele gewesen sein, ein Haß, der nichts schont, nichts achtet, selbst daS An¬ denken an die Ahnen seiner Könige nicht. Man wollte eine der Erinnerungen an die Zeit auslöschen oder wenigstens trüben, wo Schleswig eigne Herzöge gehabt hatte, und man scheute sich zur Erreichung dieses Zweckes nicht, den Ort, wo die Wiege des Hauses Gottorp gestanden, in einen Dragonerstall zu verwandeln. Wenn dies unter einem demokratischen Ministerium geschehen wäre, so wäre daran nichts Erstaunliches, daß die Maßregel aber unter Oersted beschlossen wurde, dem die Neue preußische Zeitung das Zeugniß ihres Wohl¬ gefallens wiederholt ertheilt hat, darf billig Wunder nehmen. Das Taubstummeninstitut und das Irrenhaus sind Anstalten, welche noch jetzt beiden Herzogthümern gemeinsam sind. Daß man grade sie schlcswig- holsteinisch bleiben ließ, während man anderwärts selbst in dem Namen der geringfügigsten Dinge das Andenken an die Untrennbarkeit der Herzogthümer auszurotten bestrebt war, erscheint bei einem Blicke auf ihre Bestimmung wie bittrer Hohn. Das erstere der beiden Institute ist mit einer Druckerei verbunden, wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/237>, abgerufen am 15.01.2025.