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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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ist, zwischen den mächtigen Nachbarn hin und her zu laviren. Preußen aber
sowol als Oestreich können eine weitere Entwicklung des Bundes zu größerer
Einheit und Machtfülle ebenfalls nicht wünschen, solange nicht ihre Interessen
die maßgebenden werden, oder Opfer, welche sie dem Bunde auf der einen Seite
bringen, auf der andern große Entschädigung für sie herbeiführen. Das große
Dilemma für die deutschen Völker, Preußen oder Oestreich, der Kampf der
Jahre 186-9 und 18S0 ist durch die Reorganisation des Bundes nicht zur Lösung
gekommen, er ist vorläufig durch Einrichtung eines Provisoriums suspendirt.
Und jede Landesvertretung, welche den Antrag auf Reform des Bundes stellt,
sollte sich klar machen, daß dieser Antrag, mit andern Worten ausgedrückt,
nichts Anderes heißt, als: Entfernung Preußens oder Oestreichs aus dem Bunde.
Die Demokraten Württembergs wenigstens haben bei ihrem Ruf nach Bundes¬
reform daran nicht gedacht, sondern die unbestimmte Aussicht auf etwas Neues,
das weder Preußen noch Oestreich ist, ja beide absorbirt, in Aussicht gehabt.
Das ist unfruchtbares Träumen.

Es ist ein unfruchtbares Träumen, anzunehmen, daß außerhalb Oestreich
und Preußen, im Gegensatz zu beiden, aus dem Conglomerat der kleinen Staa¬
ten, aus den verschiedenartigen Interessen und dem verkümmerten oder verdor¬
benen Staatsleben kleiner Länder eine große nationale Kraft emporschießen
könne, welche im Stande wäre, Preußen oder Oestreich zu bewältigen und sich
zu unterwerfen. Wo in Deutschland soll die Wurzel dieser Kraft sich finden,
ein Volk, welches für große politische Ideale empfänglich und reif ist, welches
seine ganze Gegenwart opfert, um einer neuen Zukunft willen und zu gleicher
Zeit die Disciplin, die Ausdauer und die Selbstbeschränkung hat, mit Maß
und Energie auf ein bestimmtes Ziel hinzuarbeiten? in Baiern, in Württemberg,
in Kassel oder in Hannover? Man kann vor der guten Art aller dieser Staaten¬
bürger die größte Achtung haben, aber es wird schwer, sich zu denken, daß
der Baier und der Hannoveraner, wie unzufrieden sie mit den einheimischen
Verhältnissen werden mögen, jemals in gemeinsamer Arbeit die Kraft finden
werden, für eine gemeinsame große Idee Preußen mit Krieg zu überziehen.
-Das kleinere Drittel Deutschlands, das vielgetheilte, unter sich nie einige, zum
großen Theil politisch verkümmerte, wird nie aus sich selbst die Kraft gewinnen,
sich im Gegensatz zu den größern Staaten einheitlich zu organisiren. Es ist nicht
unmöglich, daß eine überhandnehmende Unzufriedenheit in einzelnen dieser Län¬
der Revolution und gewaltsame Ausbrüche des Hasses hervorruft. Es kann eine
neue Demokratie in ihnen entstehen, aber auf ihrer Fahne wird Haß und Ver¬
nichtung und politischer Nihilismus stehen und ihre Lebensäußerungen werden
Ausbrüche des Zorns sein, aber nicht die Thätigkeit einer Leben schaffenden Kraft.

Die letzte Broschüre von Diezel empfiehlt die Bildung einer nationalen


ist, zwischen den mächtigen Nachbarn hin und her zu laviren. Preußen aber
sowol als Oestreich können eine weitere Entwicklung des Bundes zu größerer
Einheit und Machtfülle ebenfalls nicht wünschen, solange nicht ihre Interessen
die maßgebenden werden, oder Opfer, welche sie dem Bunde auf der einen Seite
bringen, auf der andern große Entschädigung für sie herbeiführen. Das große
Dilemma für die deutschen Völker, Preußen oder Oestreich, der Kampf der
Jahre 186-9 und 18S0 ist durch die Reorganisation des Bundes nicht zur Lösung
gekommen, er ist vorläufig durch Einrichtung eines Provisoriums suspendirt.
Und jede Landesvertretung, welche den Antrag auf Reform des Bundes stellt,
sollte sich klar machen, daß dieser Antrag, mit andern Worten ausgedrückt,
nichts Anderes heißt, als: Entfernung Preußens oder Oestreichs aus dem Bunde.
Die Demokraten Württembergs wenigstens haben bei ihrem Ruf nach Bundes¬
reform daran nicht gedacht, sondern die unbestimmte Aussicht auf etwas Neues,
das weder Preußen noch Oestreich ist, ja beide absorbirt, in Aussicht gehabt.
Das ist unfruchtbares Träumen.

Es ist ein unfruchtbares Träumen, anzunehmen, daß außerhalb Oestreich
und Preußen, im Gegensatz zu beiden, aus dem Conglomerat der kleinen Staa¬
ten, aus den verschiedenartigen Interessen und dem verkümmerten oder verdor¬
benen Staatsleben kleiner Länder eine große nationale Kraft emporschießen
könne, welche im Stande wäre, Preußen oder Oestreich zu bewältigen und sich
zu unterwerfen. Wo in Deutschland soll die Wurzel dieser Kraft sich finden,
ein Volk, welches für große politische Ideale empfänglich und reif ist, welches
seine ganze Gegenwart opfert, um einer neuen Zukunft willen und zu gleicher
Zeit die Disciplin, die Ausdauer und die Selbstbeschränkung hat, mit Maß
und Energie auf ein bestimmtes Ziel hinzuarbeiten? in Baiern, in Württemberg,
in Kassel oder in Hannover? Man kann vor der guten Art aller dieser Staaten¬
bürger die größte Achtung haben, aber es wird schwer, sich zu denken, daß
der Baier und der Hannoveraner, wie unzufrieden sie mit den einheimischen
Verhältnissen werden mögen, jemals in gemeinsamer Arbeit die Kraft finden
werden, für eine gemeinsame große Idee Preußen mit Krieg zu überziehen.
-Das kleinere Drittel Deutschlands, das vielgetheilte, unter sich nie einige, zum
großen Theil politisch verkümmerte, wird nie aus sich selbst die Kraft gewinnen,
sich im Gegensatz zu den größern Staaten einheitlich zu organisiren. Es ist nicht
unmöglich, daß eine überhandnehmende Unzufriedenheit in einzelnen dieser Län¬
der Revolution und gewaltsame Ausbrüche des Hasses hervorruft. Es kann eine
neue Demokratie in ihnen entstehen, aber auf ihrer Fahne wird Haß und Ver¬
nichtung und politischer Nihilismus stehen und ihre Lebensäußerungen werden
Ausbrüche des Zorns sein, aber nicht die Thätigkeit einer Leben schaffenden Kraft.

Die letzte Broschüre von Diezel empfiehlt die Bildung einer nationalen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/202>, abgerufen am 22.07.2024.