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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Ist auch der Handel lange nicht Mehr in der einstigen Blüte, so findet doch
auf dem Strome noch ein reger Verkehr, besonders mit Polen statt, insbeson¬
dere mit Holz und Getreide und die schwimmende Stadt der polnischen Flößer
auf ihren 'breiten Holzstößen (Träster) und flachen Weichselkähnen, neben der
großen Brücke ankernd, bietet mit ihrer Musik und ihren abendlichen Feuern einen
höchst malerischen Anblick dar. Eine warschauer Dampfschiffgesellschast hält
seit zwei Jahren ein Dampfschiff zwischen Thorn und Warschau und ein
zweites zwischen Thorn und Danzig, theils zu einem Güter- und Personen-
transport, theils zum Bugsiren beladener Weichselkähne. Großer Nachtheil er¬
wächst dem thorner Handelsverkehr durch den Ueberfluß an polnisch-russi¬
schem Gelde. Zwar ist der deutsche Kaufmattn nicht gesetzlich verpflichtet,
solches Geld, zumal es von geringerem Feingehalt ist, in Zahlung zu nehmen;
doch hat die Concurrenz der Handeltreibenden es bisher nicht zur Ausführung
bringen lassen, daß das russische Geld entweder ganz zurückgewiesen oder doch
zu einem niedrigeren Course in Zahlung angenommen wurde; im Gegentheil
wird bei allen Waarenverkäufern en detail jenes Geld voll in Werth angenommen,
obgleich es im Geldwechsel Z--i Procent niedriger steht, so daß es allgemeine
Sitte geworden, preußische Münze gegen fremde mit dem erheblichen Agio
umzuwechseln und dann mit letzterer die Einkäufe zu besorgen. Die Klage des
handeltreibenden Publicums über die daraus erwachsenden Verluste und über
Mangel an preußischem Courant ist dort an der polnischen Grenze überall groß;
indessen muß es dem Hcindelsstande selbst überlassen bleiben, die Preise der Waa¬
ren nach Maßgabe der Zahlungsmittel von geringerem Werthe zu modificiren. --

In früherer Zeit bildete Thorn neben Königsberg und Danzig auch einen
Mittelpunkt für das wissenschaftliche Leben in der Provinz, und daß es
den Bewohnern dieser alten Stadt auch heute nicht an Sinn für ein höheres
geistiges Streben sehlt, beweist das Prachtgebäude des neuen Gymnasiums,
durch drei parallele obere Realclassen erweitert, mit 26 Zimmern, einem ge¬
schmackvollen Auditorium und großer Normaluhr oben in der Fronte. Der
Hofraum hinten, mit rothen und blauen Ziegeln ausgemauert, ist mit einem
Glasdache bedeckt, damit die studirende Jugend auch bei schlechtem Wetter
frische Luft genießen kann. Zur Anstalt gehört noch ein großartiger botanischer
Garten, erst in neuester Zeit angelegt.

Die Umgegenv Thorrs besitzt wenig landschaftliche Reize, doch bieten die
Anlagen rings um die Festung, mit wechselnden Ansichten auf die Stadt be¬
lebte Spaziergänge, und eine hübsche Promenade ist die nach dem Park und
dem Ziegeleigarten, von dessen Balkon man eine weite Umschau hat. Bei
meinem Abschiede von dieser alterthümlichen Stadt credenzte mir mein Wirth
-- (ich logirte im comfortablen Hotel de Sanssouci) -- ein Glas köstlichen
Mett), durch dessen vorzügliche Bereitung Thorn sich eben solchen Ruf er-


Ist auch der Handel lange nicht Mehr in der einstigen Blüte, so findet doch
auf dem Strome noch ein reger Verkehr, besonders mit Polen statt, insbeson¬
dere mit Holz und Getreide und die schwimmende Stadt der polnischen Flößer
auf ihren 'breiten Holzstößen (Träster) und flachen Weichselkähnen, neben der
großen Brücke ankernd, bietet mit ihrer Musik und ihren abendlichen Feuern einen
höchst malerischen Anblick dar. Eine warschauer Dampfschiffgesellschast hält
seit zwei Jahren ein Dampfschiff zwischen Thorn und Warschau und ein
zweites zwischen Thorn und Danzig, theils zu einem Güter- und Personen-
transport, theils zum Bugsiren beladener Weichselkähne. Großer Nachtheil er¬
wächst dem thorner Handelsverkehr durch den Ueberfluß an polnisch-russi¬
schem Gelde. Zwar ist der deutsche Kaufmattn nicht gesetzlich verpflichtet,
solches Geld, zumal es von geringerem Feingehalt ist, in Zahlung zu nehmen;
doch hat die Concurrenz der Handeltreibenden es bisher nicht zur Ausführung
bringen lassen, daß das russische Geld entweder ganz zurückgewiesen oder doch
zu einem niedrigeren Course in Zahlung angenommen wurde; im Gegentheil
wird bei allen Waarenverkäufern en detail jenes Geld voll in Werth angenommen,
obgleich es im Geldwechsel Z—i Procent niedriger steht, so daß es allgemeine
Sitte geworden, preußische Münze gegen fremde mit dem erheblichen Agio
umzuwechseln und dann mit letzterer die Einkäufe zu besorgen. Die Klage des
handeltreibenden Publicums über die daraus erwachsenden Verluste und über
Mangel an preußischem Courant ist dort an der polnischen Grenze überall groß;
indessen muß es dem Hcindelsstande selbst überlassen bleiben, die Preise der Waa¬
ren nach Maßgabe der Zahlungsmittel von geringerem Werthe zu modificiren. —

In früherer Zeit bildete Thorn neben Königsberg und Danzig auch einen
Mittelpunkt für das wissenschaftliche Leben in der Provinz, und daß es
den Bewohnern dieser alten Stadt auch heute nicht an Sinn für ein höheres
geistiges Streben sehlt, beweist das Prachtgebäude des neuen Gymnasiums,
durch drei parallele obere Realclassen erweitert, mit 26 Zimmern, einem ge¬
schmackvollen Auditorium und großer Normaluhr oben in der Fronte. Der
Hofraum hinten, mit rothen und blauen Ziegeln ausgemauert, ist mit einem
Glasdache bedeckt, damit die studirende Jugend auch bei schlechtem Wetter
frische Luft genießen kann. Zur Anstalt gehört noch ein großartiger botanischer
Garten, erst in neuester Zeit angelegt.

Die Umgegenv Thorrs besitzt wenig landschaftliche Reize, doch bieten die
Anlagen rings um die Festung, mit wechselnden Ansichten auf die Stadt be¬
lebte Spaziergänge, und eine hübsche Promenade ist die nach dem Park und
dem Ziegeleigarten, von dessen Balkon man eine weite Umschau hat. Bei
meinem Abschiede von dieser alterthümlichen Stadt credenzte mir mein Wirth
— (ich logirte im comfortablen Hotel de Sanssouci) — ein Glas köstlichen
Mett), durch dessen vorzügliche Bereitung Thorn sich eben solchen Ruf er-


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[0182] Ist auch der Handel lange nicht Mehr in der einstigen Blüte, so findet doch auf dem Strome noch ein reger Verkehr, besonders mit Polen statt, insbeson¬ dere mit Holz und Getreide und die schwimmende Stadt der polnischen Flößer auf ihren 'breiten Holzstößen (Träster) und flachen Weichselkähnen, neben der großen Brücke ankernd, bietet mit ihrer Musik und ihren abendlichen Feuern einen höchst malerischen Anblick dar. Eine warschauer Dampfschiffgesellschast hält seit zwei Jahren ein Dampfschiff zwischen Thorn und Warschau und ein zweites zwischen Thorn und Danzig, theils zu einem Güter- und Personen- transport, theils zum Bugsiren beladener Weichselkähne. Großer Nachtheil er¬ wächst dem thorner Handelsverkehr durch den Ueberfluß an polnisch-russi¬ schem Gelde. Zwar ist der deutsche Kaufmattn nicht gesetzlich verpflichtet, solches Geld, zumal es von geringerem Feingehalt ist, in Zahlung zu nehmen; doch hat die Concurrenz der Handeltreibenden es bisher nicht zur Ausführung bringen lassen, daß das russische Geld entweder ganz zurückgewiesen oder doch zu einem niedrigeren Course in Zahlung angenommen wurde; im Gegentheil wird bei allen Waarenverkäufern en detail jenes Geld voll in Werth angenommen, obgleich es im Geldwechsel Z—i Procent niedriger steht, so daß es allgemeine Sitte geworden, preußische Münze gegen fremde mit dem erheblichen Agio umzuwechseln und dann mit letzterer die Einkäufe zu besorgen. Die Klage des handeltreibenden Publicums über die daraus erwachsenden Verluste und über Mangel an preußischem Courant ist dort an der polnischen Grenze überall groß; indessen muß es dem Hcindelsstande selbst überlassen bleiben, die Preise der Waa¬ ren nach Maßgabe der Zahlungsmittel von geringerem Werthe zu modificiren. — In früherer Zeit bildete Thorn neben Königsberg und Danzig auch einen Mittelpunkt für das wissenschaftliche Leben in der Provinz, und daß es den Bewohnern dieser alten Stadt auch heute nicht an Sinn für ein höheres geistiges Streben sehlt, beweist das Prachtgebäude des neuen Gymnasiums, durch drei parallele obere Realclassen erweitert, mit 26 Zimmern, einem ge¬ schmackvollen Auditorium und großer Normaluhr oben in der Fronte. Der Hofraum hinten, mit rothen und blauen Ziegeln ausgemauert, ist mit einem Glasdache bedeckt, damit die studirende Jugend auch bei schlechtem Wetter frische Luft genießen kann. Zur Anstalt gehört noch ein großartiger botanischer Garten, erst in neuester Zeit angelegt. Die Umgegenv Thorrs besitzt wenig landschaftliche Reize, doch bieten die Anlagen rings um die Festung, mit wechselnden Ansichten auf die Stadt be¬ lebte Spaziergänge, und eine hübsche Promenade ist die nach dem Park und dem Ziegeleigarten, von dessen Balkon man eine weite Umschau hat. Bei meinem Abschiede von dieser alterthümlichen Stadt credenzte mir mein Wirth — (ich logirte im comfortablen Hotel de Sanssouci) — ein Glas köstlichen Mett), durch dessen vorzügliche Bereitung Thorn sich eben solchen Ruf er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/182>, abgerufen am 25.08.2024.