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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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defensiven Starke sich in Montenegro steigern, hat man die Volksnatur des
Landes und seine Geschichte aufzufassen, um beide zu verstehen.

Es ist ein bezeichnender Zug dafür, wie es um die Verbindungsmittel
auch hier in der Thalebene steht, daß man fast ausschließlich nur Arabas
(Wagen), die mit Ochsen bespannt sind, begegnet. Es gilt das von der ganzen
europäischen Türkei südlich der Donau, und mehr noch von Kleinasien und
macht einen der auffallendsten Unterschiede zwischen den Zuständen dieser Län¬
der und denen der mit ihnen vereinigten transdanubischen Fürstenthümer,
Walachei und Moldau, aus. Um schnell zu reisen kennt man hier zu Lande
kein anderes Mittel, wie das gesattelte Pferd; in den Donaufürstenthümern
kein besseres und rascher zum Ziel führendes wie die kleine Carriolpost, die sich
wie ein Kinderwagen ausnimmt und auf der man, zumal wenn vier oder sechs
Pferde davor gelegt sind, wie im Fluge über die weite Ebene dahineilt. Ge¬
wiß ist, daß dieser Umstand allein schon ein Bedeutendes dazu beigetragen hat,
daß die walachischen und türkischen Zustände in mancherlei Hinsicht soweit
auseinanderlaufen; daß namentlich Bukarest und Jassy in so hohem Maße
die Binnengroßstädte der Bulgarei und Rumeliens überwiegen und daß allem
Anschein nach im Norden der unteren Donau die Cultur im Allgemeinen
einen schnellern Gang nach vorwärts nehmen wird, als dies auf der anderen
Stromseite der Fall sein dürfte.

Nachdem wir etwa anderthalb Stunden lang in der Ebene des Nissawa-
thaleö geritten waren, lenkten wir, uns rechts wendend, in die Berge ein.
Der Pfad wird hier ziemlich eng. Nur mit Mühe vermag man zu zweien zu
reiten; während man rechts oder links von sich einen steilen Berghang hat,
senkt sich zumeist auf der anderen Seite ein ebenso steiler Hang abwärts,
hundert und mehre Fuß tief. -- Es mochte etwa um die Frühstücksstunde sein,
als wir das links am Wege, etwa fünfzig Fuß höher wie dieser gelegene
Plotscha-Karakol (Wachthaus von Plotscha) erreichten. Unter diesem Namen
begreift man einen befestigten Posten, der in heutiger Zeit keinen rechten mili¬
tärischen Werth mehr hat, in früheren Zeiten aber wol im Stande gewesen
ist, die hier gelegene Paßenge wirksam zu verlegen. Er besteht aus einem
nicht durchgängig massiven Thurm, mit einem hölzernen Erkerbau, an den
sich ein von einer Zinnenmauer umschlossener Hos anschließt. Heute hat
das Wachthaus keine andere Besatzung als einige Saptivs oder türkische
Polizeisoldaten, die in dieser Gegend meistens Arnauten sind, ein Stamm, der
sich bis an die serbische Grenze und tief nach Bosnien hin ausdehnt und das
Grundelement der heutigen Bevölkerung von Albanien und Macedonien aus¬
macht. In dem Uebertritt des größeren Theiles dieser Nation zum Islam
liegt das Geheimniß verborgen, weshalb die Türken sich nicht schwachem, als
sie sich über eine unverhältnißmäßig große Länderfläche erobernd ausgebreitet


defensiven Starke sich in Montenegro steigern, hat man die Volksnatur des
Landes und seine Geschichte aufzufassen, um beide zu verstehen.

Es ist ein bezeichnender Zug dafür, wie es um die Verbindungsmittel
auch hier in der Thalebene steht, daß man fast ausschließlich nur Arabas
(Wagen), die mit Ochsen bespannt sind, begegnet. Es gilt das von der ganzen
europäischen Türkei südlich der Donau, und mehr noch von Kleinasien und
macht einen der auffallendsten Unterschiede zwischen den Zuständen dieser Län¬
der und denen der mit ihnen vereinigten transdanubischen Fürstenthümer,
Walachei und Moldau, aus. Um schnell zu reisen kennt man hier zu Lande
kein anderes Mittel, wie das gesattelte Pferd; in den Donaufürstenthümern
kein besseres und rascher zum Ziel führendes wie die kleine Carriolpost, die sich
wie ein Kinderwagen ausnimmt und auf der man, zumal wenn vier oder sechs
Pferde davor gelegt sind, wie im Fluge über die weite Ebene dahineilt. Ge¬
wiß ist, daß dieser Umstand allein schon ein Bedeutendes dazu beigetragen hat,
daß die walachischen und türkischen Zustände in mancherlei Hinsicht soweit
auseinanderlaufen; daß namentlich Bukarest und Jassy in so hohem Maße
die Binnengroßstädte der Bulgarei und Rumeliens überwiegen und daß allem
Anschein nach im Norden der unteren Donau die Cultur im Allgemeinen
einen schnellern Gang nach vorwärts nehmen wird, als dies auf der anderen
Stromseite der Fall sein dürfte.

Nachdem wir etwa anderthalb Stunden lang in der Ebene des Nissawa-
thaleö geritten waren, lenkten wir, uns rechts wendend, in die Berge ein.
Der Pfad wird hier ziemlich eng. Nur mit Mühe vermag man zu zweien zu
reiten; während man rechts oder links von sich einen steilen Berghang hat,
senkt sich zumeist auf der anderen Seite ein ebenso steiler Hang abwärts,
hundert und mehre Fuß tief. — Es mochte etwa um die Frühstücksstunde sein,
als wir das links am Wege, etwa fünfzig Fuß höher wie dieser gelegene
Plotscha-Karakol (Wachthaus von Plotscha) erreichten. Unter diesem Namen
begreift man einen befestigten Posten, der in heutiger Zeit keinen rechten mili¬
tärischen Werth mehr hat, in früheren Zeiten aber wol im Stande gewesen
ist, die hier gelegene Paßenge wirksam zu verlegen. Er besteht aus einem
nicht durchgängig massiven Thurm, mit einem hölzernen Erkerbau, an den
sich ein von einer Zinnenmauer umschlossener Hos anschließt. Heute hat
das Wachthaus keine andere Besatzung als einige Saptivs oder türkische
Polizeisoldaten, die in dieser Gegend meistens Arnauten sind, ein Stamm, der
sich bis an die serbische Grenze und tief nach Bosnien hin ausdehnt und das
Grundelement der heutigen Bevölkerung von Albanien und Macedonien aus¬
macht. In dem Uebertritt des größeren Theiles dieser Nation zum Islam
liegt das Geheimniß verborgen, weshalb die Türken sich nicht schwachem, als
sie sich über eine unverhältnißmäßig große Länderfläche erobernd ausgebreitet


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[0152] defensiven Starke sich in Montenegro steigern, hat man die Volksnatur des Landes und seine Geschichte aufzufassen, um beide zu verstehen. Es ist ein bezeichnender Zug dafür, wie es um die Verbindungsmittel auch hier in der Thalebene steht, daß man fast ausschließlich nur Arabas (Wagen), die mit Ochsen bespannt sind, begegnet. Es gilt das von der ganzen europäischen Türkei südlich der Donau, und mehr noch von Kleinasien und macht einen der auffallendsten Unterschiede zwischen den Zuständen dieser Län¬ der und denen der mit ihnen vereinigten transdanubischen Fürstenthümer, Walachei und Moldau, aus. Um schnell zu reisen kennt man hier zu Lande kein anderes Mittel, wie das gesattelte Pferd; in den Donaufürstenthümern kein besseres und rascher zum Ziel führendes wie die kleine Carriolpost, die sich wie ein Kinderwagen ausnimmt und auf der man, zumal wenn vier oder sechs Pferde davor gelegt sind, wie im Fluge über die weite Ebene dahineilt. Ge¬ wiß ist, daß dieser Umstand allein schon ein Bedeutendes dazu beigetragen hat, daß die walachischen und türkischen Zustände in mancherlei Hinsicht soweit auseinanderlaufen; daß namentlich Bukarest und Jassy in so hohem Maße die Binnengroßstädte der Bulgarei und Rumeliens überwiegen und daß allem Anschein nach im Norden der unteren Donau die Cultur im Allgemeinen einen schnellern Gang nach vorwärts nehmen wird, als dies auf der anderen Stromseite der Fall sein dürfte. Nachdem wir etwa anderthalb Stunden lang in der Ebene des Nissawa- thaleö geritten waren, lenkten wir, uns rechts wendend, in die Berge ein. Der Pfad wird hier ziemlich eng. Nur mit Mühe vermag man zu zweien zu reiten; während man rechts oder links von sich einen steilen Berghang hat, senkt sich zumeist auf der anderen Seite ein ebenso steiler Hang abwärts, hundert und mehre Fuß tief. — Es mochte etwa um die Frühstücksstunde sein, als wir das links am Wege, etwa fünfzig Fuß höher wie dieser gelegene Plotscha-Karakol (Wachthaus von Plotscha) erreichten. Unter diesem Namen begreift man einen befestigten Posten, der in heutiger Zeit keinen rechten mili¬ tärischen Werth mehr hat, in früheren Zeiten aber wol im Stande gewesen ist, die hier gelegene Paßenge wirksam zu verlegen. Er besteht aus einem nicht durchgängig massiven Thurm, mit einem hölzernen Erkerbau, an den sich ein von einer Zinnenmauer umschlossener Hos anschließt. Heute hat das Wachthaus keine andere Besatzung als einige Saptivs oder türkische Polizeisoldaten, die in dieser Gegend meistens Arnauten sind, ein Stamm, der sich bis an die serbische Grenze und tief nach Bosnien hin ausdehnt und das Grundelement der heutigen Bevölkerung von Albanien und Macedonien aus¬ macht. In dem Uebertritt des größeren Theiles dieser Nation zum Islam liegt das Geheimniß verborgen, weshalb die Türken sich nicht schwachem, als sie sich über eine unverhältnißmäßig große Länderfläche erobernd ausgebreitet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/152>, abgerufen am 22.07.2024.