Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn er aber von seinem bisherigen Parteigenossen und von dem Stande,
dessen Interessen dieselben vertreten, mit einem gewissen Ungestüm verlangt, sie
sollen auf seine Ideen eingehen, so vergißt er nur eins dabei. Als in der
preußischen Kammer die Frage wegen der bessern Besoldung der Schullehrer
zur Erörterung kam, setzte Herr von Gerlach auseinander, daß davon nicht die
Rede sein könne, weil die Schulmeister die Feinde der guten Sache, d. h. der
Partei, wären; von einem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, der Billigkeit, von
einer Rücksicht auf das allgemeine Wohl des Staats war keine Rede. Die
Schulmeister sind dem Adel abhold, deshalb müssen sie schlecht besoldet werden.
Dieser Gesichtspunkt genügt vollkommen. Herr Huber hat jenes Schiboleth
seiner Partei ganz mißverstanden. Sie will damit nicht sagen: die Association
ist schädlich, die Corporation ist nützlich für das Gedeihen des Staats, son¬
dern: die Association ist schädlich und die Corporation ist nützlich für unsre
Partei; und darin bat die Partei vollkommen Recht und beweist einen viel
unbefangeneren Blick, als Herr Huber. Jede Association, der positiv begreif¬
liche Zwecke zu Grunde liegen, hintertreibt indirect die Willkür und Grillen¬
haftigkeit in der Gesetzgebung.

Wenn sich also Huber von seiner Partei dadurch unterscheidet, daß ihn
die Armuthsfrage um ihrer selbst willen, nicht blos aus Parteirücksichten inter-
esstrt, so tritt ein zweiter Gegensatz ebenso merklich hervor. Die äußerste Rechte
ist legitimistisch, antifranzösisch und hat ein gewisses Interesse am parlamen¬
tarischen Wesen, vorausgesetzt, daß dieses ihren Interessen zu Gute kommt.
Wenn z. B. Herr von Gerlach zu wählen hätte, ob die Gesetzgebung, wie er
sie will, einseitig von der Regierung oder mit Betheiligung der Stände vor sich
gehen solle, so würde er das letztere wählen. Herr Huber nimmt es dagegen
mit dem Princip der Autorität ernst. Er ist im Innersten seines Herzens ein
ausgesprochener Absolutist; er hegt die leidenschaftlichste Verehrung vor dem
Andenken des Kaiser Nikolaus, aber er rechtfertigt auch, freilich etwas zaghaft,
Napoleon III., sowol wegen seines Staatsstreichs, als wegen der Art und
Weise seiner Regierung. Für die unteren Kreise des Staats verlangt er mög¬
lichste Selbstständigkeit, sür die Spitze des Staats dagegen die unbedingte Ein¬
heit, wobei er als selbstverständlich voraussetzt, daß in der Negierung immer
die bessere Einsicht und der bessere Wille sein wird. Vor der englischen Ver¬
fassung hat er einen äußerst geringen Respect, sie ist ihm nach seinem eignen
Ausdruck sittlich unerträglich als eine heuchlerische Lüge und reiche Quelle der
Unwahrheit und Heuchelei. Wenn er aber in dieser Beziehung uns noch mehr
entgegensteht, als die Kreuzzeitung selbst, so liegt ihm dagegen eine verständige
bürgerliche Gesetzgebung sehr am Herzen, und so könnte es geschehen, daß
eine weitere Ausweichung der ständischen Thätigkeit ins Romantische und Irra¬
tionale ihn aus einem Umwege doch zu der Ueberzeugung treiben könnte, um


Wenn er aber von seinem bisherigen Parteigenossen und von dem Stande,
dessen Interessen dieselben vertreten, mit einem gewissen Ungestüm verlangt, sie
sollen auf seine Ideen eingehen, so vergißt er nur eins dabei. Als in der
preußischen Kammer die Frage wegen der bessern Besoldung der Schullehrer
zur Erörterung kam, setzte Herr von Gerlach auseinander, daß davon nicht die
Rede sein könne, weil die Schulmeister die Feinde der guten Sache, d. h. der
Partei, wären; von einem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, der Billigkeit, von
einer Rücksicht auf das allgemeine Wohl des Staats war keine Rede. Die
Schulmeister sind dem Adel abhold, deshalb müssen sie schlecht besoldet werden.
Dieser Gesichtspunkt genügt vollkommen. Herr Huber hat jenes Schiboleth
seiner Partei ganz mißverstanden. Sie will damit nicht sagen: die Association
ist schädlich, die Corporation ist nützlich für das Gedeihen des Staats, son¬
dern: die Association ist schädlich und die Corporation ist nützlich für unsre
Partei; und darin bat die Partei vollkommen Recht und beweist einen viel
unbefangeneren Blick, als Herr Huber. Jede Association, der positiv begreif¬
liche Zwecke zu Grunde liegen, hintertreibt indirect die Willkür und Grillen¬
haftigkeit in der Gesetzgebung.

Wenn sich also Huber von seiner Partei dadurch unterscheidet, daß ihn
die Armuthsfrage um ihrer selbst willen, nicht blos aus Parteirücksichten inter-
esstrt, so tritt ein zweiter Gegensatz ebenso merklich hervor. Die äußerste Rechte
ist legitimistisch, antifranzösisch und hat ein gewisses Interesse am parlamen¬
tarischen Wesen, vorausgesetzt, daß dieses ihren Interessen zu Gute kommt.
Wenn z. B. Herr von Gerlach zu wählen hätte, ob die Gesetzgebung, wie er
sie will, einseitig von der Regierung oder mit Betheiligung der Stände vor sich
gehen solle, so würde er das letztere wählen. Herr Huber nimmt es dagegen
mit dem Princip der Autorität ernst. Er ist im Innersten seines Herzens ein
ausgesprochener Absolutist; er hegt die leidenschaftlichste Verehrung vor dem
Andenken des Kaiser Nikolaus, aber er rechtfertigt auch, freilich etwas zaghaft,
Napoleon III., sowol wegen seines Staatsstreichs, als wegen der Art und
Weise seiner Regierung. Für die unteren Kreise des Staats verlangt er mög¬
lichste Selbstständigkeit, sür die Spitze des Staats dagegen die unbedingte Ein¬
heit, wobei er als selbstverständlich voraussetzt, daß in der Negierung immer
die bessere Einsicht und der bessere Wille sein wird. Vor der englischen Ver¬
fassung hat er einen äußerst geringen Respect, sie ist ihm nach seinem eignen
Ausdruck sittlich unerträglich als eine heuchlerische Lüge und reiche Quelle der
Unwahrheit und Heuchelei. Wenn er aber in dieser Beziehung uns noch mehr
entgegensteht, als die Kreuzzeitung selbst, so liegt ihm dagegen eine verständige
bürgerliche Gesetzgebung sehr am Herzen, und so könnte es geschehen, daß
eine weitere Ausweichung der ständischen Thätigkeit ins Romantische und Irra¬
tionale ihn aus einem Umwege doch zu der Ueberzeugung treiben könnte, um


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100588"/>
            <p xml:id="ID_393"> Wenn er aber von seinem bisherigen Parteigenossen und von dem Stande,<lb/>
dessen Interessen dieselben vertreten, mit einem gewissen Ungestüm verlangt, sie<lb/>
sollen auf seine Ideen eingehen, so vergißt er nur eins dabei. Als in der<lb/>
preußischen Kammer die Frage wegen der bessern Besoldung der Schullehrer<lb/>
zur Erörterung kam, setzte Herr von Gerlach auseinander, daß davon nicht die<lb/>
Rede sein könne, weil die Schulmeister die Feinde der guten Sache, d. h. der<lb/>
Partei, wären; von einem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, der Billigkeit, von<lb/>
einer Rücksicht auf das allgemeine Wohl des Staats war keine Rede. Die<lb/>
Schulmeister sind dem Adel abhold, deshalb müssen sie schlecht besoldet werden.<lb/>
Dieser Gesichtspunkt genügt vollkommen. Herr Huber hat jenes Schiboleth<lb/>
seiner Partei ganz mißverstanden. Sie will damit nicht sagen: die Association<lb/>
ist schädlich, die Corporation ist nützlich für das Gedeihen des Staats, son¬<lb/>
dern: die Association ist schädlich und die Corporation ist nützlich für unsre<lb/>
Partei; und darin bat die Partei vollkommen Recht und beweist einen viel<lb/>
unbefangeneren Blick, als Herr Huber. Jede Association, der positiv begreif¬<lb/>
liche Zwecke zu Grunde liegen, hintertreibt indirect die Willkür und Grillen¬<lb/>
haftigkeit in der Gesetzgebung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_394" next="#ID_395"> Wenn sich also Huber von seiner Partei dadurch unterscheidet, daß ihn<lb/>
die Armuthsfrage um ihrer selbst willen, nicht blos aus Parteirücksichten inter-<lb/>
esstrt, so tritt ein zweiter Gegensatz ebenso merklich hervor. Die äußerste Rechte<lb/>
ist legitimistisch, antifranzösisch und hat ein gewisses Interesse am parlamen¬<lb/>
tarischen Wesen, vorausgesetzt, daß dieses ihren Interessen zu Gute kommt.<lb/>
Wenn z. B. Herr von Gerlach zu wählen hätte, ob die Gesetzgebung, wie er<lb/>
sie will, einseitig von der Regierung oder mit Betheiligung der Stände vor sich<lb/>
gehen solle, so würde er das letztere wählen. Herr Huber nimmt es dagegen<lb/>
mit dem Princip der Autorität ernst. Er ist im Innersten seines Herzens ein<lb/>
ausgesprochener Absolutist; er hegt die leidenschaftlichste Verehrung vor dem<lb/>
Andenken des Kaiser Nikolaus, aber er rechtfertigt auch, freilich etwas zaghaft,<lb/>
Napoleon III., sowol wegen seines Staatsstreichs, als wegen der Art und<lb/>
Weise seiner Regierung. Für die unteren Kreise des Staats verlangt er mög¬<lb/>
lichste Selbstständigkeit, sür die Spitze des Staats dagegen die unbedingte Ein¬<lb/>
heit, wobei er als selbstverständlich voraussetzt, daß in der Negierung immer<lb/>
die bessere Einsicht und der bessere Wille sein wird. Vor der englischen Ver¬<lb/>
fassung hat er einen äußerst geringen Respect, sie ist ihm nach seinem eignen<lb/>
Ausdruck sittlich unerträglich als eine heuchlerische Lüge und reiche Quelle der<lb/>
Unwahrheit und Heuchelei. Wenn er aber in dieser Beziehung uns noch mehr<lb/>
entgegensteht, als die Kreuzzeitung selbst, so liegt ihm dagegen eine verständige<lb/>
bürgerliche Gesetzgebung sehr am Herzen, und so könnte es geschehen, daß<lb/>
eine weitere Ausweichung der ständischen Thätigkeit ins Romantische und Irra¬<lb/>
tionale ihn aus einem Umwege doch zu der Ueberzeugung treiben könnte, um</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0134] Wenn er aber von seinem bisherigen Parteigenossen und von dem Stande, dessen Interessen dieselben vertreten, mit einem gewissen Ungestüm verlangt, sie sollen auf seine Ideen eingehen, so vergißt er nur eins dabei. Als in der preußischen Kammer die Frage wegen der bessern Besoldung der Schullehrer zur Erörterung kam, setzte Herr von Gerlach auseinander, daß davon nicht die Rede sein könne, weil die Schulmeister die Feinde der guten Sache, d. h. der Partei, wären; von einem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, der Billigkeit, von einer Rücksicht auf das allgemeine Wohl des Staats war keine Rede. Die Schulmeister sind dem Adel abhold, deshalb müssen sie schlecht besoldet werden. Dieser Gesichtspunkt genügt vollkommen. Herr Huber hat jenes Schiboleth seiner Partei ganz mißverstanden. Sie will damit nicht sagen: die Association ist schädlich, die Corporation ist nützlich für das Gedeihen des Staats, son¬ dern: die Association ist schädlich und die Corporation ist nützlich für unsre Partei; und darin bat die Partei vollkommen Recht und beweist einen viel unbefangeneren Blick, als Herr Huber. Jede Association, der positiv begreif¬ liche Zwecke zu Grunde liegen, hintertreibt indirect die Willkür und Grillen¬ haftigkeit in der Gesetzgebung. Wenn sich also Huber von seiner Partei dadurch unterscheidet, daß ihn die Armuthsfrage um ihrer selbst willen, nicht blos aus Parteirücksichten inter- esstrt, so tritt ein zweiter Gegensatz ebenso merklich hervor. Die äußerste Rechte ist legitimistisch, antifranzösisch und hat ein gewisses Interesse am parlamen¬ tarischen Wesen, vorausgesetzt, daß dieses ihren Interessen zu Gute kommt. Wenn z. B. Herr von Gerlach zu wählen hätte, ob die Gesetzgebung, wie er sie will, einseitig von der Regierung oder mit Betheiligung der Stände vor sich gehen solle, so würde er das letztere wählen. Herr Huber nimmt es dagegen mit dem Princip der Autorität ernst. Er ist im Innersten seines Herzens ein ausgesprochener Absolutist; er hegt die leidenschaftlichste Verehrung vor dem Andenken des Kaiser Nikolaus, aber er rechtfertigt auch, freilich etwas zaghaft, Napoleon III., sowol wegen seines Staatsstreichs, als wegen der Art und Weise seiner Regierung. Für die unteren Kreise des Staats verlangt er mög¬ lichste Selbstständigkeit, sür die Spitze des Staats dagegen die unbedingte Ein¬ heit, wobei er als selbstverständlich voraussetzt, daß in der Negierung immer die bessere Einsicht und der bessere Wille sein wird. Vor der englischen Ver¬ fassung hat er einen äußerst geringen Respect, sie ist ihm nach seinem eignen Ausdruck sittlich unerträglich als eine heuchlerische Lüge und reiche Quelle der Unwahrheit und Heuchelei. Wenn er aber in dieser Beziehung uns noch mehr entgegensteht, als die Kreuzzeitung selbst, so liegt ihm dagegen eine verständige bürgerliche Gesetzgebung sehr am Herzen, und so könnte es geschehen, daß eine weitere Ausweichung der ständischen Thätigkeit ins Romantische und Irra¬ tionale ihn aus einem Umwege doch zu der Ueberzeugung treiben könnte, um

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/134
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/134>, abgerufen am 24.08.2024.