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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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wurde doch jetzt wenigstens beseitigt. Es kam eine Art Gesetzlichkeit und Gleich¬
heit vor dem Gesetz zur Geltung, es wurde eine bessere Rechtspflege einge¬
richtet, die Erblichkeit und Käuflichkeit der Stellen abgeschafft, der Industrie
und dem Verkehr, die ganz darniederlagen, eine Anregung gegeben, das
mönchische und geistliche Nichtsthun beseitigt, überhaupt das allgemeine Wohl
rühriger gefördert.

Nach dem traurigen Frieden von Lüneville folgten für Deutschland Zeiten
der tiefsten Erniedrigung. Der König von England war zugleich Kurfürst von
Hannover. Da Bonaparte dem meerumgürteten England nichts anhaben konnte,
beschloß er Hannover zu occupiren. Im Mai -18S3 brach der französische Ge¬
neral Mortier mit seinem Truppencorps von Nymwegen auf, überschritt die
Waal und lagerte sich bei Koeverden an der hannöverschen Grenze. Der
König-Kurfürst Georg UI. hatte vergebens die Intervention Preußens nachge¬
sucht. Aber dort scheiterte jeder Entschluß zu handeln an den leitenden Per¬
sönlichkeiten; man beging den großen Mißgriff, die französische Invasion des
Weser- und Elbgebietes zuzulassen. Nun fragte der hannöversche Feldmarschall
Gras Wallmoden bei der Landesregierung an, was zu thun sei. Die Regierung,
d. h. das adelige Gehe imrat hscollegium, welches fast unumschränkt und un¬
verantwortlich das Land regierte, ertheilte die Antwort: "man müsse zu ver¬
meiden suchen, was Ombrage und Aufsehen erregen könne." Sie ließ dem
Feldmarschall weiter sagen: "er möge den Truppen nicht gestatten zu feuern
und nur im dringendsten Noth falle das Bajonett mit Moderation ge¬
brauchen." Diese regierende Aristokratie befahl endlich die Vaterlandsverthei¬
digung bei Strafe der Vermögensconfiscation. Am -16. Mai forderte sie sämmt¬
liche Landesunterthanen auf: "im eintretenden Nothfalle zur Rettung und
Vertheidigung deö Vaterlandes sich unverweigerlich stellen zu wollen. Sollten
wieder besseres Verhoffen einzelne durch die Flucht der Landesvertheidigung
zu entgehen suchen, so soll ein solcher unwürdiger Unterthan unausbleiblich
und ohne alle zu hoffende Begnadigung seines sämmtlichen Vermögens
und etwa noch zu hoffenden Erbtheils für verlustig erklärt
werden." Ende Mai rückten die Franzosen in das Osnabrücksche ein.
Am 3. Juni unterzeichnete die Regierung im französischen Hauptquartier
zu Suhlingen die Unterwerfung Hannovers. Die Truppen sollten sich hin¬
ter die Elbe zurückziehen und während des Krieges mit England gegen
Frankreich die Waffen nicht tragen, ausgenommen wenn sie gegen eine gleiche
Zahl französischer Truppen, die etwa in englische Gefangenschaft geriethen, aus--
gewechselt würden. Das Land und die Festungen werden den Franzosen geöffnet,
alles königliche Eigenthum und die öffentlichen Einkünfte ihnen zur Verfügung
gestellt. Aber nachdem sie das Land und seine Hilfsquellen in Besitz genom¬
men, ratistcirte Bonaparte den Vertrag nicht. Er verlangte, daß die hanno-


wurde doch jetzt wenigstens beseitigt. Es kam eine Art Gesetzlichkeit und Gleich¬
heit vor dem Gesetz zur Geltung, es wurde eine bessere Rechtspflege einge¬
richtet, die Erblichkeit und Käuflichkeit der Stellen abgeschafft, der Industrie
und dem Verkehr, die ganz darniederlagen, eine Anregung gegeben, das
mönchische und geistliche Nichtsthun beseitigt, überhaupt das allgemeine Wohl
rühriger gefördert.

Nach dem traurigen Frieden von Lüneville folgten für Deutschland Zeiten
der tiefsten Erniedrigung. Der König von England war zugleich Kurfürst von
Hannover. Da Bonaparte dem meerumgürteten England nichts anhaben konnte,
beschloß er Hannover zu occupiren. Im Mai -18S3 brach der französische Ge¬
neral Mortier mit seinem Truppencorps von Nymwegen auf, überschritt die
Waal und lagerte sich bei Koeverden an der hannöverschen Grenze. Der
König-Kurfürst Georg UI. hatte vergebens die Intervention Preußens nachge¬
sucht. Aber dort scheiterte jeder Entschluß zu handeln an den leitenden Per¬
sönlichkeiten; man beging den großen Mißgriff, die französische Invasion des
Weser- und Elbgebietes zuzulassen. Nun fragte der hannöversche Feldmarschall
Gras Wallmoden bei der Landesregierung an, was zu thun sei. Die Regierung,
d. h. das adelige Gehe imrat hscollegium, welches fast unumschränkt und un¬
verantwortlich das Land regierte, ertheilte die Antwort: „man müsse zu ver¬
meiden suchen, was Ombrage und Aufsehen erregen könne." Sie ließ dem
Feldmarschall weiter sagen: „er möge den Truppen nicht gestatten zu feuern
und nur im dringendsten Noth falle das Bajonett mit Moderation ge¬
brauchen." Diese regierende Aristokratie befahl endlich die Vaterlandsverthei¬
digung bei Strafe der Vermögensconfiscation. Am -16. Mai forderte sie sämmt¬
liche Landesunterthanen auf: „im eintretenden Nothfalle zur Rettung und
Vertheidigung deö Vaterlandes sich unverweigerlich stellen zu wollen. Sollten
wieder besseres Verhoffen einzelne durch die Flucht der Landesvertheidigung
zu entgehen suchen, so soll ein solcher unwürdiger Unterthan unausbleiblich
und ohne alle zu hoffende Begnadigung seines sämmtlichen Vermögens
und etwa noch zu hoffenden Erbtheils für verlustig erklärt
werden." Ende Mai rückten die Franzosen in das Osnabrücksche ein.
Am 3. Juni unterzeichnete die Regierung im französischen Hauptquartier
zu Suhlingen die Unterwerfung Hannovers. Die Truppen sollten sich hin¬
ter die Elbe zurückziehen und während des Krieges mit England gegen
Frankreich die Waffen nicht tragen, ausgenommen wenn sie gegen eine gleiche
Zahl französischer Truppen, die etwa in englische Gefangenschaft geriethen, aus--
gewechselt würden. Das Land und die Festungen werden den Franzosen geöffnet,
alles königliche Eigenthum und die öffentlichen Einkünfte ihnen zur Verfügung
gestellt. Aber nachdem sie das Land und seine Hilfsquellen in Besitz genom¬
men, ratistcirte Bonaparte den Vertrag nicht. Er verlangte, daß die hanno-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/112>, abgerufen am 26.08.2024.