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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Einfluß gewonnen, und wo die herrschende Classe fortfahren wollte, ausschließlich
nach harmonischer, stoffloser Ausbildung zu streben, würde sie nothwendiger¬
weise Macht und Einfluß einbüßen, sie würde also aufhören, die herrschende
Classe zu sein. Diesem Untergang der erclusiven Adelsherrschaft durch das
Aufstreben der bürgerlichen Thätigkeit kann kein moderner Staat entgehen, keine
Junkerverschwörung kann ihn aufhalten, und wo bei einem Volke das Bürger-
thum sich innerhalb des Staatslebens gar keine Stellung errungen hat, wie
bei den Polen, tritt die Geschichte die Nation unerbittlich in den Staub, so
romantisch und rührend auch das Schauspiel dieses Todeskampfes fein mag.

Allein das Institut des Adels hat eine sehr schöne Bedeutung, wenn man
es nicht als einen bleibenden Zustand, sondern als ein Mittel zur allge.meinen
Erziehung des Volkes auffaßt. Diejenigen Völker, die ohne Adel aufgewachsen
sind, entbehren in ihrem Leben zum Theil der schönsten Güter. Niemand wird
den großen Sinn der nordamerikanischen Freistaaten verkennen, die voraussichtlich
dazu bestimmt sind, einmal der Geschichte eine neue Richtung zu geben. Aber we¬
nigstens in den gegenwärtigen Zuständen wird auf jeden unbefangenen
Beobachter die herrschende Demokratie einen höchst widerwärtigen Eindruck
machen. Es gibt wol in Amerika einen Unterschied der Classen, aber die
Mächtigeren und Reicheren genießen ihre bevorzugte Stellung nur in der Stille
für sich, in einem frivolen und würdelosen Lurus; im öffentlichen Leben muß
jeder, der etwas gelten-will, wenigstens den Anschein der Pöbelhaftigkeit an¬
nehmen, er muß der Masse, der er dient, nachweisen, daß er zu ihr gehört.
Die gemeinen Leute rächen sich wegen ihrer weniger begünstigten Stellung
durch Rohheit gegen die Reichen, von denen sie sehr wohl wissen, daß sie mit
zu ihnen, zum Pöbel, gehören. Wo der endliche Verstand ausreicht, übertreffen
die Amerikaner alle Völker, aber was das Leben adelt, was ihm allein den
Reiz der Idealität gibt, ist ihnen völlig fremd. Wo sie nur einen Funken
von Idealität in sich sühlen, flüchten sie ihn in ein ausschweifendes und un¬
sinniges Sectenwesen. -- Man vergleiche damit die Franzosen, deren gesell¬
schaftliche Zustände man insofern demokratisch nennen kann, als alle einzelnen
einander gleichstehen, aber in umgekehrtem Sinne wie bei den Amerikanern,
denn jeder einzelne von ihnen ist ein Edelmann, bis zum Bedienten herunter,
der die Beleidigung empfindet und rügt. Diese schöne Ausbildung der Person
bei den Franzosen dürfen wir ebensowenig vergessen, als ihre Elasticität in
der Bildung neuer Formen, die. sie aus scheinbarer Anarchie immer wieder zu
neuer organischer Gestaltung befreit, wenn wir, wie es jetzt so häufig geschieht,
vorschnell über ihre Berechtigung innerhalb der Weltgeschichte aburtheilen
wollen. Zwar haben die Formen ihrer Sittlichkeit zuviel von dem romantischen
Wesen ihres Vorbilds, des Adels, angenommen, der Ernst des bürgerlichen
Wesens, der uns Deutsche ziert, ist ihnen fremd geblieben, dafür erfreuen sie


Einfluß gewonnen, und wo die herrschende Classe fortfahren wollte, ausschließlich
nach harmonischer, stoffloser Ausbildung zu streben, würde sie nothwendiger¬
weise Macht und Einfluß einbüßen, sie würde also aufhören, die herrschende
Classe zu sein. Diesem Untergang der erclusiven Adelsherrschaft durch das
Aufstreben der bürgerlichen Thätigkeit kann kein moderner Staat entgehen, keine
Junkerverschwörung kann ihn aufhalten, und wo bei einem Volke das Bürger-
thum sich innerhalb des Staatslebens gar keine Stellung errungen hat, wie
bei den Polen, tritt die Geschichte die Nation unerbittlich in den Staub, so
romantisch und rührend auch das Schauspiel dieses Todeskampfes fein mag.

Allein das Institut des Adels hat eine sehr schöne Bedeutung, wenn man
es nicht als einen bleibenden Zustand, sondern als ein Mittel zur allge.meinen
Erziehung des Volkes auffaßt. Diejenigen Völker, die ohne Adel aufgewachsen
sind, entbehren in ihrem Leben zum Theil der schönsten Güter. Niemand wird
den großen Sinn der nordamerikanischen Freistaaten verkennen, die voraussichtlich
dazu bestimmt sind, einmal der Geschichte eine neue Richtung zu geben. Aber we¬
nigstens in den gegenwärtigen Zuständen wird auf jeden unbefangenen
Beobachter die herrschende Demokratie einen höchst widerwärtigen Eindruck
machen. Es gibt wol in Amerika einen Unterschied der Classen, aber die
Mächtigeren und Reicheren genießen ihre bevorzugte Stellung nur in der Stille
für sich, in einem frivolen und würdelosen Lurus; im öffentlichen Leben muß
jeder, der etwas gelten-will, wenigstens den Anschein der Pöbelhaftigkeit an¬
nehmen, er muß der Masse, der er dient, nachweisen, daß er zu ihr gehört.
Die gemeinen Leute rächen sich wegen ihrer weniger begünstigten Stellung
durch Rohheit gegen die Reichen, von denen sie sehr wohl wissen, daß sie mit
zu ihnen, zum Pöbel, gehören. Wo der endliche Verstand ausreicht, übertreffen
die Amerikaner alle Völker, aber was das Leben adelt, was ihm allein den
Reiz der Idealität gibt, ist ihnen völlig fremd. Wo sie nur einen Funken
von Idealität in sich sühlen, flüchten sie ihn in ein ausschweifendes und un¬
sinniges Sectenwesen. — Man vergleiche damit die Franzosen, deren gesell¬
schaftliche Zustände man insofern demokratisch nennen kann, als alle einzelnen
einander gleichstehen, aber in umgekehrtem Sinne wie bei den Amerikanern,
denn jeder einzelne von ihnen ist ein Edelmann, bis zum Bedienten herunter,
der die Beleidigung empfindet und rügt. Diese schöne Ausbildung der Person
bei den Franzosen dürfen wir ebensowenig vergessen, als ihre Elasticität in
der Bildung neuer Formen, die. sie aus scheinbarer Anarchie immer wieder zu
neuer organischer Gestaltung befreit, wenn wir, wie es jetzt so häufig geschieht,
vorschnell über ihre Berechtigung innerhalb der Weltgeschichte aburtheilen
wollen. Zwar haben die Formen ihrer Sittlichkeit zuviel von dem romantischen
Wesen ihres Vorbilds, des Adels, angenommen, der Ernst des bürgerlichen
Wesens, der uns Deutsche ziert, ist ihnen fremd geblieben, dafür erfreuen sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/455>, abgerufen am 22.12.2024.