Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Handwerkerstand den Fortschrittsideen geöffnet, wenngleich der Verein seinem
Grundsatz, die eigentliche Tagespolitik von seinen Berathungen auszuschließen,
fast durchgängig treublieb.

Den ersten Mißton in dies ruhige und fröhliche Treiben warf eine Bro¬
schüre des Gymnasiallehrer Scheibert, "die Liberalisten", eine Denunciation des
Turnwesens, der Bürgerschule und des Gymnasialdirector, im Schmalzschen
Stil, berüchtigten Andenkens. Der Versasser, durch vergebliche Bemühungen
um die Direction der höhern Bürgerschule gekränkt, entwarf ein ziemlich phan¬
tasiereiches Bild einer großartigen "liberalistischen" Verschwörung, die Deutsch¬
land und Preußen mit ihren Polypenarmen umfasse, deren Kopf aber in Elbing
zu suchen sei, und zwar speciell auf dem Tim des Elbinger Turnplatzes. Das
patriotische Unternehmen hatte zunächst kein andres Resultat, als eine "väter¬
liche" Warnung der denuncirten Lehrer durch den Schulrath Lucas und die
Verkümmerung des aufblühenden Turnwesens durch Trennung der. Schüler
von den Erwachsenen. Im übrigen ging alles äußerlich seinen Gang fort.
Ja, der Sommer 18i7 brachte uns in dem ersten preußischen Sängerfest zu
guterletzt noch einen rechten allgemeinen Volksjubel im schönsten Sinne des
Wortes. Wer damals Elbing sah, im lustigen Feierschmuck unzähliger Flaggen
und Kränze, Sang und Klang aus Straßen und Plätzen, die ganze Bevöl¬
kerung, bis in die untersten Schichten, vom Hauch reinster, naturwüchsigster
Freude über sich selbst hinausgehoben und dabei in der bunten Menge bis
zum Schluß die tadelloseste sittliche Haltung, ohne irgend welchen Apparat
militärischen oder polizeilichen Schutzes -- der suchte hier wol schwerlich die
Elemente tiefster, unseligster Zerrüttung. Und doch waren sie lange schon
thätig. Die Frühlingsereignisse des Jahres 1848 brachten sie noch vor der
Berliner Katastrophe zum Ausbruch.




Skizzen aus den Pyrenäen.
/ 3-
Das Fest zu Montauban.

Die Koffer waren gepackt, die Abreise war auf den nächsten Morgen fest¬
gesetzt -- im traurigen Vorgefühl der nahen Trennung gingen wir durch das
sonntägliche Gewühl, um die Ufer der Pique, die Warte Castel-viel, die Wälder
und Berge von Luchon noch einmal zu begrüßen.

Ein fröhlicher Gruß weckte uns aus trübseligen Gedanken. Es war Caldon,
unser hübsches Stubenmädchen mit ihren "Kameradinnen", eine bunte, lustige


52*

der Handwerkerstand den Fortschrittsideen geöffnet, wenngleich der Verein seinem
Grundsatz, die eigentliche Tagespolitik von seinen Berathungen auszuschließen,
fast durchgängig treublieb.

Den ersten Mißton in dies ruhige und fröhliche Treiben warf eine Bro¬
schüre des Gymnasiallehrer Scheibert, „die Liberalisten", eine Denunciation des
Turnwesens, der Bürgerschule und des Gymnasialdirector, im Schmalzschen
Stil, berüchtigten Andenkens. Der Versasser, durch vergebliche Bemühungen
um die Direction der höhern Bürgerschule gekränkt, entwarf ein ziemlich phan¬
tasiereiches Bild einer großartigen „liberalistischen" Verschwörung, die Deutsch¬
land und Preußen mit ihren Polypenarmen umfasse, deren Kopf aber in Elbing
zu suchen sei, und zwar speciell auf dem Tim des Elbinger Turnplatzes. Das
patriotische Unternehmen hatte zunächst kein andres Resultat, als eine „väter¬
liche" Warnung der denuncirten Lehrer durch den Schulrath Lucas und die
Verkümmerung des aufblühenden Turnwesens durch Trennung der. Schüler
von den Erwachsenen. Im übrigen ging alles äußerlich seinen Gang fort.
Ja, der Sommer 18i7 brachte uns in dem ersten preußischen Sängerfest zu
guterletzt noch einen rechten allgemeinen Volksjubel im schönsten Sinne des
Wortes. Wer damals Elbing sah, im lustigen Feierschmuck unzähliger Flaggen
und Kränze, Sang und Klang aus Straßen und Plätzen, die ganze Bevöl¬
kerung, bis in die untersten Schichten, vom Hauch reinster, naturwüchsigster
Freude über sich selbst hinausgehoben und dabei in der bunten Menge bis
zum Schluß die tadelloseste sittliche Haltung, ohne irgend welchen Apparat
militärischen oder polizeilichen Schutzes — der suchte hier wol schwerlich die
Elemente tiefster, unseligster Zerrüttung. Und doch waren sie lange schon
thätig. Die Frühlingsereignisse des Jahres 1848 brachten sie noch vor der
Berliner Katastrophe zum Ausbruch.




Skizzen aus den Pyrenäen.
/ 3-
Das Fest zu Montauban.

Die Koffer waren gepackt, die Abreise war auf den nächsten Morgen fest¬
gesetzt — im traurigen Vorgefühl der nahen Trennung gingen wir durch das
sonntägliche Gewühl, um die Ufer der Pique, die Warte Castel-viel, die Wälder
und Berge von Luchon noch einmal zu begrüßen.

Ein fröhlicher Gruß weckte uns aus trübseligen Gedanken. Es war Caldon,
unser hübsches Stubenmädchen mit ihren „Kameradinnen", eine bunte, lustige


52*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98199"/>
            <p xml:id="ID_1289" prev="#ID_1288"> der Handwerkerstand den Fortschrittsideen geöffnet, wenngleich der Verein seinem<lb/>
Grundsatz, die eigentliche Tagespolitik von seinen Berathungen auszuschließen,<lb/>
fast durchgängig treublieb.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1290"> Den ersten Mißton in dies ruhige und fröhliche Treiben warf eine Bro¬<lb/>
schüre des Gymnasiallehrer Scheibert, &#x201E;die Liberalisten", eine Denunciation des<lb/>
Turnwesens, der Bürgerschule und des Gymnasialdirector, im Schmalzschen<lb/>
Stil, berüchtigten Andenkens. Der Versasser, durch vergebliche Bemühungen<lb/>
um die Direction der höhern Bürgerschule gekränkt, entwarf ein ziemlich phan¬<lb/>
tasiereiches Bild einer großartigen &#x201E;liberalistischen" Verschwörung, die Deutsch¬<lb/>
land und Preußen mit ihren Polypenarmen umfasse, deren Kopf aber in Elbing<lb/>
zu suchen sei, und zwar speciell auf dem Tim des Elbinger Turnplatzes. Das<lb/>
patriotische Unternehmen hatte zunächst kein andres Resultat, als eine &#x201E;väter¬<lb/>
liche" Warnung der denuncirten Lehrer durch den Schulrath Lucas und die<lb/>
Verkümmerung des aufblühenden Turnwesens durch Trennung der. Schüler<lb/>
von den Erwachsenen. Im übrigen ging alles äußerlich seinen Gang fort.<lb/>
Ja, der Sommer 18i7 brachte uns in dem ersten preußischen Sängerfest zu<lb/>
guterletzt noch einen rechten allgemeinen Volksjubel im schönsten Sinne des<lb/>
Wortes. Wer damals Elbing sah, im lustigen Feierschmuck unzähliger Flaggen<lb/>
und Kränze, Sang und Klang aus Straßen und Plätzen, die ganze Bevöl¬<lb/>
kerung, bis in die untersten Schichten, vom Hauch reinster, naturwüchsigster<lb/>
Freude über sich selbst hinausgehoben und dabei in der bunten Menge bis<lb/>
zum Schluß die tadelloseste sittliche Haltung, ohne irgend welchen Apparat<lb/>
militärischen oder polizeilichen Schutzes &#x2014; der suchte hier wol schwerlich die<lb/>
Elemente tiefster, unseligster Zerrüttung. Und doch waren sie lange schon<lb/>
thätig. Die Frühlingsereignisse des Jahres 1848 brachten sie noch vor der<lb/>
Berliner Katastrophe zum Ausbruch.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Skizzen aus den Pyrenäen.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> / 3-<lb/>
Das Fest zu Montauban.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1291"> Die Koffer waren gepackt, die Abreise war auf den nächsten Morgen fest¬<lb/>
gesetzt &#x2014; im traurigen Vorgefühl der nahen Trennung gingen wir durch das<lb/>
sonntägliche Gewühl, um die Ufer der Pique, die Warte Castel-viel, die Wälder<lb/>
und Berge von Luchon noch einmal zu begrüßen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1292" next="#ID_1293"> Ein fröhlicher Gruß weckte uns aus trübseligen Gedanken. Es war Caldon,<lb/>
unser hübsches Stubenmädchen mit ihren &#x201E;Kameradinnen", eine bunte, lustige</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 52*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0419] der Handwerkerstand den Fortschrittsideen geöffnet, wenngleich der Verein seinem Grundsatz, die eigentliche Tagespolitik von seinen Berathungen auszuschließen, fast durchgängig treublieb. Den ersten Mißton in dies ruhige und fröhliche Treiben warf eine Bro¬ schüre des Gymnasiallehrer Scheibert, „die Liberalisten", eine Denunciation des Turnwesens, der Bürgerschule und des Gymnasialdirector, im Schmalzschen Stil, berüchtigten Andenkens. Der Versasser, durch vergebliche Bemühungen um die Direction der höhern Bürgerschule gekränkt, entwarf ein ziemlich phan¬ tasiereiches Bild einer großartigen „liberalistischen" Verschwörung, die Deutsch¬ land und Preußen mit ihren Polypenarmen umfasse, deren Kopf aber in Elbing zu suchen sei, und zwar speciell auf dem Tim des Elbinger Turnplatzes. Das patriotische Unternehmen hatte zunächst kein andres Resultat, als eine „väter¬ liche" Warnung der denuncirten Lehrer durch den Schulrath Lucas und die Verkümmerung des aufblühenden Turnwesens durch Trennung der. Schüler von den Erwachsenen. Im übrigen ging alles äußerlich seinen Gang fort. Ja, der Sommer 18i7 brachte uns in dem ersten preußischen Sängerfest zu guterletzt noch einen rechten allgemeinen Volksjubel im schönsten Sinne des Wortes. Wer damals Elbing sah, im lustigen Feierschmuck unzähliger Flaggen und Kränze, Sang und Klang aus Straßen und Plätzen, die ganze Bevöl¬ kerung, bis in die untersten Schichten, vom Hauch reinster, naturwüchsigster Freude über sich selbst hinausgehoben und dabei in der bunten Menge bis zum Schluß die tadelloseste sittliche Haltung, ohne irgend welchen Apparat militärischen oder polizeilichen Schutzes — der suchte hier wol schwerlich die Elemente tiefster, unseligster Zerrüttung. Und doch waren sie lange schon thätig. Die Frühlingsereignisse des Jahres 1848 brachten sie noch vor der Berliner Katastrophe zum Ausbruch. Skizzen aus den Pyrenäen. / 3- Das Fest zu Montauban. Die Koffer waren gepackt, die Abreise war auf den nächsten Morgen fest¬ gesetzt — im traurigen Vorgefühl der nahen Trennung gingen wir durch das sonntägliche Gewühl, um die Ufer der Pique, die Warte Castel-viel, die Wälder und Berge von Luchon noch einmal zu begrüßen. Ein fröhlicher Gruß weckte uns aus trübseligen Gedanken. Es war Caldon, unser hübsches Stubenmädchen mit ihren „Kameradinnen", eine bunte, lustige 52*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/418
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/418>, abgerufen am 23.07.2024.