Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
West -Qstpreichifche Skizzen.

Im Grunde ist es dem^ Bewohner des innern Deutschlands kaum zu ver¬
argen, wenn unsre Provinz seine Phantasie mit ziemlich verwirrten Vorstellungen
erfüllt, in denen Sandsteppen, Sümpfe, Fichtenwälder, achtundzwanzig Grad
Kälte, Wölfe, Auerochsen, graue Erbsen und Pelzmützen und Erinnerungen an
Kant, vielleicht auch an Nork und die Landwehr, eine wunderliche Staffage
bilden. Die Postreise von Berlin nach Königsberg, beiläufig 72 Meilen, von
denen vier Fünftel bis zur Weichsel durch ein endloses Einerlei von Heideland,
Kartoffel- und Kornfeldern, dürfte man wirklich nur gebornen Altpreußen und
sehr gut bezahlten Beamten, Courieren und Probereitern zumuthen -- und auch
die Ostbahn, mit ihren weiten Umwegen durch Posen und Pommern, hat die
Beschwerden dieser Fahrt nur durch.Abkürzung ährer Dauer ein wenig ver¬
mindert. (Man erreicht jetzt Elbing von Berlin aus in 18 Stunden.) So
bleibt denn die Karte von Europa für die meisten unsrer westlichen Landsleute
Hauptquelle für die Kenntniß unsrer Provinz und daß diese uns gleich hinter
Rußland und Polen reagirt, läßt sich leider nicht leugnen. -- Schreiber dieses
findet sich nicht veranlaßt, für die lauen Nächte des altpreußischen Frühlings
eine Lanze zu brechen oder der "nervenstühlenden Frische" unsres Nordost- '
Windes eine Lobrede zu halten. Aber er kann aus guten Glauben versichern,
daß der preußische Sommer von der zweiten Hälfte des Mai an dem norddeut¬
schen nicht das mindeste nachgibt, daß unser Herbst uns durchweg eine milde
Temperatur und in der Regel auch eine Anzahl prächtig klarer Tage bringt,
um die viele Gegenden des innern Deutschlands uns beneiden dürften, und daß
Augen und Herzen, denen es noch wohl werden kann in üppiger, naturfrischer,
durch eine Unzahl Seen, durch stattliche Ströme überall belebter und durch
die dunkelblauen Fluten der Ostsee prachtvoll eingerahmter Landschaft, einen
Sommerausflug in diese schönen Gegenden nicht bereuen würden.


Grenzboten. II. -I8si. 61
West -Qstpreichifche Skizzen.

Im Grunde ist es dem^ Bewohner des innern Deutschlands kaum zu ver¬
argen, wenn unsre Provinz seine Phantasie mit ziemlich verwirrten Vorstellungen
erfüllt, in denen Sandsteppen, Sümpfe, Fichtenwälder, achtundzwanzig Grad
Kälte, Wölfe, Auerochsen, graue Erbsen und Pelzmützen und Erinnerungen an
Kant, vielleicht auch an Nork und die Landwehr, eine wunderliche Staffage
bilden. Die Postreise von Berlin nach Königsberg, beiläufig 72 Meilen, von
denen vier Fünftel bis zur Weichsel durch ein endloses Einerlei von Heideland,
Kartoffel- und Kornfeldern, dürfte man wirklich nur gebornen Altpreußen und
sehr gut bezahlten Beamten, Courieren und Probereitern zumuthen — und auch
die Ostbahn, mit ihren weiten Umwegen durch Posen und Pommern, hat die
Beschwerden dieser Fahrt nur durch.Abkürzung ährer Dauer ein wenig ver¬
mindert. (Man erreicht jetzt Elbing von Berlin aus in 18 Stunden.) So
bleibt denn die Karte von Europa für die meisten unsrer westlichen Landsleute
Hauptquelle für die Kenntniß unsrer Provinz und daß diese uns gleich hinter
Rußland und Polen reagirt, läßt sich leider nicht leugnen. — Schreiber dieses
findet sich nicht veranlaßt, für die lauen Nächte des altpreußischen Frühlings
eine Lanze zu brechen oder der „nervenstühlenden Frische" unsres Nordost- '
Windes eine Lobrede zu halten. Aber er kann aus guten Glauben versichern,
daß der preußische Sommer von der zweiten Hälfte des Mai an dem norddeut¬
schen nicht das mindeste nachgibt, daß unser Herbst uns durchweg eine milde
Temperatur und in der Regel auch eine Anzahl prächtig klarer Tage bringt,
um die viele Gegenden des innern Deutschlands uns beneiden dürften, und daß
Augen und Herzen, denen es noch wohl werden kann in üppiger, naturfrischer,
durch eine Unzahl Seen, durch stattliche Ströme überall belebter und durch
die dunkelblauen Fluten der Ostsee prachtvoll eingerahmter Landschaft, einen
Sommerausflug in diese schönen Gegenden nicht bereuen würden.


Grenzboten. II. -I8si. 61
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98189"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> West -Qstpreichifche Skizzen.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head/><lb/>
            <p xml:id="ID_1264"> Im Grunde ist es dem^ Bewohner des innern Deutschlands kaum zu ver¬<lb/>
argen, wenn unsre Provinz seine Phantasie mit ziemlich verwirrten Vorstellungen<lb/>
erfüllt, in denen Sandsteppen, Sümpfe, Fichtenwälder, achtundzwanzig Grad<lb/>
Kälte, Wölfe, Auerochsen, graue Erbsen und Pelzmützen und Erinnerungen an<lb/>
Kant, vielleicht auch an Nork und die Landwehr, eine wunderliche Staffage<lb/>
bilden. Die Postreise von Berlin nach Königsberg, beiläufig 72 Meilen, von<lb/>
denen vier Fünftel bis zur Weichsel durch ein endloses Einerlei von Heideland,<lb/>
Kartoffel- und Kornfeldern, dürfte man wirklich nur gebornen Altpreußen und<lb/>
sehr gut bezahlten Beamten, Courieren und Probereitern zumuthen &#x2014; und auch<lb/>
die Ostbahn, mit ihren weiten Umwegen durch Posen und Pommern, hat die<lb/>
Beschwerden dieser Fahrt nur durch.Abkürzung ährer Dauer ein wenig ver¬<lb/>
mindert.  (Man erreicht jetzt Elbing von Berlin aus in 18 Stunden.) So<lb/>
bleibt denn die Karte von Europa für die meisten unsrer westlichen Landsleute<lb/>
Hauptquelle für die Kenntniß unsrer Provinz und daß diese uns gleich hinter<lb/>
Rußland und Polen reagirt, läßt sich leider nicht leugnen. &#x2014; Schreiber dieses<lb/>
findet sich nicht veranlaßt, für die lauen Nächte des altpreußischen Frühlings<lb/>
eine Lanze zu brechen oder der &#x201E;nervenstühlenden Frische" unsres Nordost- '<lb/>
Windes eine Lobrede zu halten. Aber er kann aus guten Glauben versichern,<lb/>
daß der preußische Sommer von der zweiten Hälfte des Mai an dem norddeut¬<lb/>
schen nicht das mindeste nachgibt, daß unser Herbst uns durchweg eine milde<lb/>
Temperatur und in der Regel auch eine Anzahl prächtig klarer Tage bringt,<lb/>
um die viele Gegenden des innern Deutschlands uns beneiden dürften, und daß<lb/>
Augen und Herzen, denen es noch wohl werden kann in üppiger, naturfrischer,<lb/>
durch eine Unzahl Seen, durch stattliche Ströme überall belebter und durch<lb/>
die dunkelblauen Fluten der Ostsee prachtvoll eingerahmter Landschaft, einen<lb/>
Sommerausflug in diese schönen Gegenden nicht bereuen würden.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. II. -I8si. 61</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0409] West -Qstpreichifche Skizzen. Im Grunde ist es dem^ Bewohner des innern Deutschlands kaum zu ver¬ argen, wenn unsre Provinz seine Phantasie mit ziemlich verwirrten Vorstellungen erfüllt, in denen Sandsteppen, Sümpfe, Fichtenwälder, achtundzwanzig Grad Kälte, Wölfe, Auerochsen, graue Erbsen und Pelzmützen und Erinnerungen an Kant, vielleicht auch an Nork und die Landwehr, eine wunderliche Staffage bilden. Die Postreise von Berlin nach Königsberg, beiläufig 72 Meilen, von denen vier Fünftel bis zur Weichsel durch ein endloses Einerlei von Heideland, Kartoffel- und Kornfeldern, dürfte man wirklich nur gebornen Altpreußen und sehr gut bezahlten Beamten, Courieren und Probereitern zumuthen — und auch die Ostbahn, mit ihren weiten Umwegen durch Posen und Pommern, hat die Beschwerden dieser Fahrt nur durch.Abkürzung ährer Dauer ein wenig ver¬ mindert. (Man erreicht jetzt Elbing von Berlin aus in 18 Stunden.) So bleibt denn die Karte von Europa für die meisten unsrer westlichen Landsleute Hauptquelle für die Kenntniß unsrer Provinz und daß diese uns gleich hinter Rußland und Polen reagirt, läßt sich leider nicht leugnen. — Schreiber dieses findet sich nicht veranlaßt, für die lauen Nächte des altpreußischen Frühlings eine Lanze zu brechen oder der „nervenstühlenden Frische" unsres Nordost- ' Windes eine Lobrede zu halten. Aber er kann aus guten Glauben versichern, daß der preußische Sommer von der zweiten Hälfte des Mai an dem norddeut¬ schen nicht das mindeste nachgibt, daß unser Herbst uns durchweg eine milde Temperatur und in der Regel auch eine Anzahl prächtig klarer Tage bringt, um die viele Gegenden des innern Deutschlands uns beneiden dürften, und daß Augen und Herzen, denen es noch wohl werden kann in üppiger, naturfrischer, durch eine Unzahl Seen, durch stattliche Ströme überall belebter und durch die dunkelblauen Fluten der Ostsee prachtvoll eingerahmter Landschaft, einen Sommerausflug in diese schönen Gegenden nicht bereuen würden. Grenzboten. II. -I8si. 61

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/408
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/408>, abgerufen am 23.07.2024.