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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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leider alle von rationalistischen Scheidewasser zersetzt; die Wunder sind keine
wirklichen Wunder, die Priesterschaft keine wirkliche Priesterschaft u. s. w., im
Grunde ist der Unterschied nicht so groß. Es ist unaussprechlich komisch, wie
in einem dieser Spectakelstücke, in welchem ein großartiger Aufwand von Feuer-
und Wasserproben, unterirdischen Gefängnissen, Versenkungen, Amazonen und
Vermummter u. s. w, angewandt werden, der Maschinist, der nur seinen
Schwiegersohn hat prüfen wollen, zuletzt sogar die Kosten seiner Maschinerie
beschreibt. Bei diesen Kosten muß man übrigens, die damalige Theaterein¬
richtung in Anschlag bringen, die im Schauspiel noch viel naiver war,
während die Oper mit einem sehr bedeutenden Prunk ausgestattet wurde.
Denn Kotzebues Stücke empfahlen sich unter anderm auch dadurch, daß sie
leicht zu geben waren, obgleich er Donner und Blitz, Dolch und Schwert,
Vermummungen und dergleichen nicht spart. Er wetteifert darin mit jedem
Melodramendichter und hat die Errungenschaften der Krästperiode, die Zeiten
der "Räuber" und des "Fiesco" wol zu benutzen verstanden.

Wir haben Kotzebue als eifrigen Anhänger der classischen Schule verfolgt;
wir finden ihn -am Ende seiner Wirksamkeit auch als Romantiker. Sehr merk¬
würdig ist darin das Drama "Gisela." Es ist so viel Genoveva und Tieck
überhaupt darin, als ein routinirter Schauspieldichter nur irgend über sich ge¬
winnen kann. Das Stück fängt.mit einer Betrachtung über die Blumen an:


'--Der Blume Dust ist ihre Klage,
Ihre Sehnsucht nach dem hellen Tage:
Weinend muß der Morgen sie begrüßen,
Denn der Strahl der Sonne nur
Kann den Thau von ihren Blättern küssen.

. Die Ritter ziehen ganz gegen die Kotzebuesche Art "träumend durch die fin¬
stern Wälder", sie küssen den Ort, der durch den Fuß ihrer Geliebten geheiligt
ist, kurz sie benehmen sich mit einer Courtoisie gegen die Damen, an die man
bei den Gurlis und des andern Kotzebueschen Prinzessinnen durchaus nicht ge¬
wohnt ist. Sie tragen sich mit Gedanken über die Mystik des Lebens, und
wenn sie in Leidenschaft gerathen, so> drücken sie sich poetisch aus: sie fühlen,
daß Wellen und Flammen über ihnen zusammenschlagen. > Gisela selbst ist zwar
zum Theil eine Kotzebuesche deutsche Hausfrau, aber auch etwas Genoveva.
Sie unterhält sich beim Spinnrad mit ihren Mägden im altdeutschen Ton über
vaterländische Sagen und Geschichten, sie ist fromm und sittsam und'hat nie¬
mals die Gedanken einer Nähmamsell. Noch mehr aber zeigt sich der Tiecksche
Einfluß in der vollständig verwirrten Komposition, der bei einem so routinirten
Fabrikanten höchst seltsam auffällt. Gisela ist die Gemahlin Konrad des
Saliers, der eben zum deutschen Kaiser gewählt wird, sie wird zugleich von
seinem Vetter, dem jüngern Konrad, geliebt und diese drei Personen wetteifern


leider alle von rationalistischen Scheidewasser zersetzt; die Wunder sind keine
wirklichen Wunder, die Priesterschaft keine wirkliche Priesterschaft u. s. w., im
Grunde ist der Unterschied nicht so groß. Es ist unaussprechlich komisch, wie
in einem dieser Spectakelstücke, in welchem ein großartiger Aufwand von Feuer-
und Wasserproben, unterirdischen Gefängnissen, Versenkungen, Amazonen und
Vermummter u. s. w, angewandt werden, der Maschinist, der nur seinen
Schwiegersohn hat prüfen wollen, zuletzt sogar die Kosten seiner Maschinerie
beschreibt. Bei diesen Kosten muß man übrigens, die damalige Theaterein¬
richtung in Anschlag bringen, die im Schauspiel noch viel naiver war,
während die Oper mit einem sehr bedeutenden Prunk ausgestattet wurde.
Denn Kotzebues Stücke empfahlen sich unter anderm auch dadurch, daß sie
leicht zu geben waren, obgleich er Donner und Blitz, Dolch und Schwert,
Vermummungen und dergleichen nicht spart. Er wetteifert darin mit jedem
Melodramendichter und hat die Errungenschaften der Krästperiode, die Zeiten
der „Räuber" und des „Fiesco" wol zu benutzen verstanden.

Wir haben Kotzebue als eifrigen Anhänger der classischen Schule verfolgt;
wir finden ihn -am Ende seiner Wirksamkeit auch als Romantiker. Sehr merk¬
würdig ist darin das Drama „Gisela." Es ist so viel Genoveva und Tieck
überhaupt darin, als ein routinirter Schauspieldichter nur irgend über sich ge¬
winnen kann. Das Stück fängt.mit einer Betrachtung über die Blumen an:


'--Der Blume Dust ist ihre Klage,
Ihre Sehnsucht nach dem hellen Tage:
Weinend muß der Morgen sie begrüßen,
Denn der Strahl der Sonne nur
Kann den Thau von ihren Blättern küssen.

. Die Ritter ziehen ganz gegen die Kotzebuesche Art „träumend durch die fin¬
stern Wälder", sie küssen den Ort, der durch den Fuß ihrer Geliebten geheiligt
ist, kurz sie benehmen sich mit einer Courtoisie gegen die Damen, an die man
bei den Gurlis und des andern Kotzebueschen Prinzessinnen durchaus nicht ge¬
wohnt ist. Sie tragen sich mit Gedanken über die Mystik des Lebens, und
wenn sie in Leidenschaft gerathen, so> drücken sie sich poetisch aus: sie fühlen,
daß Wellen und Flammen über ihnen zusammenschlagen. > Gisela selbst ist zwar
zum Theil eine Kotzebuesche deutsche Hausfrau, aber auch etwas Genoveva.
Sie unterhält sich beim Spinnrad mit ihren Mägden im altdeutschen Ton über
vaterländische Sagen und Geschichten, sie ist fromm und sittsam und'hat nie¬
mals die Gedanken einer Nähmamsell. Noch mehr aber zeigt sich der Tiecksche
Einfluß in der vollständig verwirrten Komposition, der bei einem so routinirten
Fabrikanten höchst seltsam auffällt. Gisela ist die Gemahlin Konrad des
Saliers, der eben zum deutschen Kaiser gewählt wird, sie wird zugleich von
seinem Vetter, dem jüngern Konrad, geliebt und diese drei Personen wetteifern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/349>, abgerufen am 23.07.2024.