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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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mag, es ist mit einem ganz ^ außerordentlichen Theaterverstand eingerichtet.
Die Verwicklung und Spannung, wird von Scene zu Scene größer und man
kommt keinen Augenblick dazu, sich zu sammeln und zu besinnen. Die Cha¬
rakteristik und Moralität des Stückes ist freilich ebenso liederlich, als die in
den rührenden Dramen. Aphanasia, die Tochter des Gouverneurs, ist mit
ihrer Sentimentalität und Gemüthstiefe weiter nichts, als eine verkappte
Guru, und die Schlußscene, wo BenjowSky, obgleich er schon verheirathet ist,
diese neue Geliebte, die sich ihm frech an den Hals wirft, dennoch entführen
will, sich aber durch die jämmerlichen Bitten des verlassenen Vaters endlich
bewegen läßt, sie ihm wieder zuzuwerfen, ist über alle Beschreibung lächerlich
und widerwärtig. -- Der "Graf von Burgund" (1797) ist nur dadurch
merkwürdig, daß das Gurlithum, die Stimme der Natur und der Kampf gegen
die Vorurtheile schon ins Mittelalter verlegt wird. -- Einen höheren Flug
nahm "Johanna von Montfaucon" (1800). Dieses romantische Ge¬
mälde kam ein Jahr vor der "Jungfrau von Orleans" auf das Berliner
Theater. Die Wirkung, die es machte, war ebenso groß. Alle Bühnen wett¬
eiferten, es mit glänzender Ausstattung aufzuführen, und in der Hauptrolle
machte Friederike Unzelmann selbst bei den Steffens und Solger> einen gewal¬
tigen Eindruck/ Wenn wir ganz ehrlich sein wollen, so werden wir zuge¬
stehen müssen, daß der Grund dieses Gefallens bei beiden Stücken ein ähn¬
licher war. Von der tiefen Poesie in Schillers Stück verstand das damalige
Publicum im allgemeinen ebensowenig, wie das jetzige, und was die thea¬
tralischen Wirkungen betrifft, so wird sich nicht leicht eine Rolle denken lassen,
in der so viele dankbare Momente zu finden wären, als die Johanna von
Montfaucon. Im 1. Acte zeichnet sie sich freilich nach gewohnter Kotzebuescher
Art dadurch aus, daß sie viel Almosen gibt, daß sie eben eine gefährliche
Krankheit überstanden hat und deswegen die Gratulationen ihrer treuen Unter¬
thanen empfängt, und daß sie einem schändlichen Verführer gegenüber eine
edle Gesinnung entwickelt. Aber schon im A. Act geht die Wirkung ins Große.
Zum Beweise wollen wir die ganze erste Scene abschreiben, was uns um so
leichter wird, da sie ganz aus Parenthesen besteht.


"Waffensaal in der Burg mit verschiedenen Thüre", dnrch eine Lampe sparsam erleuchtet.
--' Nacht. Man hört in der Ferne verwirrtes Getöse und Schwertgeklirre. Während sol->
ge"der ersten, stummen Scene dauert eine rauschende Musik im Orchester fort.

Johanna, von Schrecken und Angst gejagt, kommt aus der Mitte, sie horcht, flieht,
steht, horcht wieder, und als der Lärm sich zu nähern scheint, flicht sie durch eine Seiten-'
thiir-rechts, -- das Gefecht zieht sich indessen hinter der Bühne rechts herum. Johanna
kommt zurück, ringt die Hände und stürzt zur Seiteuthiir links hinein. Das Getöse ver¬
liert sich "ach und nach."

Diese Tragik, steigert sich noch in den folgenden Scenen. Der Räuber,
der Burg will in ihr Cabinet eindringen, sie springt ihm mit gezücktem Dolch
entgegen und treibt ihn zurück. Da gibt er ihr die falsche Nachricht vom Tode


mag, es ist mit einem ganz ^ außerordentlichen Theaterverstand eingerichtet.
Die Verwicklung und Spannung, wird von Scene zu Scene größer und man
kommt keinen Augenblick dazu, sich zu sammeln und zu besinnen. Die Cha¬
rakteristik und Moralität des Stückes ist freilich ebenso liederlich, als die in
den rührenden Dramen. Aphanasia, die Tochter des Gouverneurs, ist mit
ihrer Sentimentalität und Gemüthstiefe weiter nichts, als eine verkappte
Guru, und die Schlußscene, wo BenjowSky, obgleich er schon verheirathet ist,
diese neue Geliebte, die sich ihm frech an den Hals wirft, dennoch entführen
will, sich aber durch die jämmerlichen Bitten des verlassenen Vaters endlich
bewegen läßt, sie ihm wieder zuzuwerfen, ist über alle Beschreibung lächerlich
und widerwärtig. — Der „Graf von Burgund" (1797) ist nur dadurch
merkwürdig, daß das Gurlithum, die Stimme der Natur und der Kampf gegen
die Vorurtheile schon ins Mittelalter verlegt wird. — Einen höheren Flug
nahm „Johanna von Montfaucon" (1800). Dieses romantische Ge¬
mälde kam ein Jahr vor der „Jungfrau von Orleans" auf das Berliner
Theater. Die Wirkung, die es machte, war ebenso groß. Alle Bühnen wett¬
eiferten, es mit glänzender Ausstattung aufzuführen, und in der Hauptrolle
machte Friederike Unzelmann selbst bei den Steffens und Solger> einen gewal¬
tigen Eindruck/ Wenn wir ganz ehrlich sein wollen, so werden wir zuge¬
stehen müssen, daß der Grund dieses Gefallens bei beiden Stücken ein ähn¬
licher war. Von der tiefen Poesie in Schillers Stück verstand das damalige
Publicum im allgemeinen ebensowenig, wie das jetzige, und was die thea¬
tralischen Wirkungen betrifft, so wird sich nicht leicht eine Rolle denken lassen,
in der so viele dankbare Momente zu finden wären, als die Johanna von
Montfaucon. Im 1. Acte zeichnet sie sich freilich nach gewohnter Kotzebuescher
Art dadurch aus, daß sie viel Almosen gibt, daß sie eben eine gefährliche
Krankheit überstanden hat und deswegen die Gratulationen ihrer treuen Unter¬
thanen empfängt, und daß sie einem schändlichen Verführer gegenüber eine
edle Gesinnung entwickelt. Aber schon im A. Act geht die Wirkung ins Große.
Zum Beweise wollen wir die ganze erste Scene abschreiben, was uns um so
leichter wird, da sie ganz aus Parenthesen besteht.


„Waffensaal in der Burg mit verschiedenen Thüre», dnrch eine Lampe sparsam erleuchtet.
—' Nacht. Man hört in der Ferne verwirrtes Getöse und Schwertgeklirre. Während sol->
ge»der ersten, stummen Scene dauert eine rauschende Musik im Orchester fort.

Johanna, von Schrecken und Angst gejagt, kommt aus der Mitte, sie horcht, flieht,
steht, horcht wieder, und als der Lärm sich zu nähern scheint, flicht sie durch eine Seiten-'
thiir-rechts, — das Gefecht zieht sich indessen hinter der Bühne rechts herum. Johanna
kommt zurück, ringt die Hände und stürzt zur Seiteuthiir links hinein. Das Getöse ver¬
liert sich »ach und nach."

Diese Tragik, steigert sich noch in den folgenden Scenen. Der Räuber,
der Burg will in ihr Cabinet eindringen, sie springt ihm mit gezücktem Dolch
entgegen und treibt ihn zurück. Da gibt er ihr die falsche Nachricht vom Tode


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/342>, abgerufen am 22.12.2024.