Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.Aus Konstantinopel Weiße Ostern in Stambul! So In den letzten Tagen sind verschiedene Steamer hier eingelaufen, darunter In einem meiner letzten Briefe drückte ich Ihnen mein Befremden darüber Je mehr es mein inniger Wunsch ist, daß die Maßregeln für den englisch¬ Aus Konstantinopel Weiße Ostern in Stambul! So In den letzten Tagen sind verschiedene Steamer hier eingelaufen, darunter In einem meiner letzten Briefe drückte ich Ihnen mein Befremden darüber Je mehr es mein inniger Wunsch ist, daß die Maßregeln für den englisch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98025"/> </div> <div n="2"> <head> Aus Konstantinopel </head> <p xml:id="ID_759"> Weiße Ostern in Stambul! So<lb/> oft ich in den letzten Tagen früh Morgens' erwachte, waren Straßen und Dächer<lb/> mit Schnee bedeckt, der anch geraume Zeit liegen blieb und oft um Mittag noch<lb/> nicht ganz verschwunden war. Sie sehen daraus, daß wir diesmal hier ganz besonders<lb/> hart vom Winter heimgesucht werden, und daß meine frohen Frühlingshoffnnngcn,<lb/> die ich Ihnen vor zwei oder drei Wochen schrieb, und welche mit mir die ganze<lb/> hiesige Bevölkerung theilte, unerfüllt geblieben sind. Es ist wieder kothig in den<lb/> Gassen; die Damen schreiten aufs neue auf hohem Kothurn einher, d. h. auf jenen<lb/> Holzschuhen mit doppelten Ab- oder Untersetzer, die man hier Paulinen auch wol<lb/> Kalenzen nennt und vermöge deren allein es möglich ist, durch den tiefen Koth mit<lb/> gelben Pantöffelchen zu passiren.</p><lb/> <p xml:id="ID_760"> In den letzten Tagen sind verschiedene Steamer hier eingelaufen, darunter<lb/> zwei, denen eine höhere Bedeutung, als den andern beizulegen ist. Der eine brachte<lb/> einen Theil der von der Pforte geliehenen dreihundert Millionen Piaster, wie man<lb/> sagt, im Belaufe von 10 Millionen Franken; der andere war ein Truppenschiff und<lb/> hatte 2000 Mann, zumei-se Hochländer, am Bord. Letzteres Schiff langte am Freitag<lb/> hier an, indeß war es außer Stande, die. Mannschaften noch an demselben Tage<lb/> ans Land zu setzen, da die See hoch ging und Unglücksfälle befürchtet wurden.<lb/> Die Ausschiffung fand deshalb erst am Sonnabend mittelst eines kleinen Dampfers<lb/> statt. Wie man mir sagt, sind diese ersten britischen Ankömmlinge in der Kaserne<lb/> von Haydcr-Pascha, zwischen.Skutari und dem Dorfe Kadiköj untergebracht worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_761"> In einem meiner letzten Briefe drückte ich Ihnen mein Befremden darüber<lb/> aus, daß seitens der verbündeten Seemächte noch keine Maßregeln ergriffen worden<lb/> seien , um Varna, d.en wichtigsten Ausschiffungspunkt aus der ganzen bulgarischen<lb/> Küste, zu decken, > und schon früher, bei Gelegenheit der Erörterung der nächsten<lb/> Folgen des Donanübergangs bezeichnete ich Ihnen ebendenselben Platz als wahr¬<lb/> scheinliches nächstes Operätionsobject der russischen Armee. Die Wichtigkeit Varuas<lb/> liegt dermaßen auf der Hand, daß dieselbe von dem hiesigen, nicht militärischen<lb/> Publicum klar herausgefühlt wird, und in diesen Tagen konnte man ganz dieselben<lb/> Ansichten und Befürchtungen auf der Gasse und in Kaffeehäusern vernehmen. End¬<lb/> lich verlautete gestern, man habe von Gallipoli direct Truppen nach Varna dirigirt.<lb/> Dieselben müßten den Bospor nothwendig,passirt haben, und da von einem Durch¬<lb/> gehen irgend welches bedeutenderen Dampfers durch die Meerenge nichts verlautet,<lb/> so wird die Sache damit ziemlich ungewiß und dürfte sich letztlich auf ein leeres<lb/> Gerücht reduciren.</p><lb/> <p xml:id="ID_762"> Je mehr es mein inniger Wunsch ist, daß die Maßregeln für den englisch¬<lb/> französischen Hilfskrieg gut getroffen werden möchten, desto schmerzlicher ist es mir,<lb/> gleich anfangs so eclatanten Fehlern begegnen zu müssen. Die Gefahr, welche<lb/> Varna in diesem Augenblick länft, ist so unzweifelhaft, die Mittel, es zu decken, sind<lb/> so reichlich schon vorhanden, es ist dieser Punkt so unwidersprechlich der beste Ans-<lb/> schiffuugsplatz l,ängs des ganzen bulgarischen Gestades, daß es blindsein heißt, ><lb/> wenn, man die Nothwendigkeit verkennt, so schnell es möglich zu machen ist, eine<lb/> starke Hand auf ihn zu legen. Man hat die Flotte hingesendet, und damit ist<lb/> etwas geschehen, indeß nicht genug, zumal wenn es sich bestätigen sollte, daß der<lb/> größere Theil derselben gen Odessa steuerte.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0245]
Aus Konstantinopel Weiße Ostern in Stambul! So
oft ich in den letzten Tagen früh Morgens' erwachte, waren Straßen und Dächer
mit Schnee bedeckt, der anch geraume Zeit liegen blieb und oft um Mittag noch
nicht ganz verschwunden war. Sie sehen daraus, daß wir diesmal hier ganz besonders
hart vom Winter heimgesucht werden, und daß meine frohen Frühlingshoffnnngcn,
die ich Ihnen vor zwei oder drei Wochen schrieb, und welche mit mir die ganze
hiesige Bevölkerung theilte, unerfüllt geblieben sind. Es ist wieder kothig in den
Gassen; die Damen schreiten aufs neue auf hohem Kothurn einher, d. h. auf jenen
Holzschuhen mit doppelten Ab- oder Untersetzer, die man hier Paulinen auch wol
Kalenzen nennt und vermöge deren allein es möglich ist, durch den tiefen Koth mit
gelben Pantöffelchen zu passiren.
In den letzten Tagen sind verschiedene Steamer hier eingelaufen, darunter
zwei, denen eine höhere Bedeutung, als den andern beizulegen ist. Der eine brachte
einen Theil der von der Pforte geliehenen dreihundert Millionen Piaster, wie man
sagt, im Belaufe von 10 Millionen Franken; der andere war ein Truppenschiff und
hatte 2000 Mann, zumei-se Hochländer, am Bord. Letzteres Schiff langte am Freitag
hier an, indeß war es außer Stande, die. Mannschaften noch an demselben Tage
ans Land zu setzen, da die See hoch ging und Unglücksfälle befürchtet wurden.
Die Ausschiffung fand deshalb erst am Sonnabend mittelst eines kleinen Dampfers
statt. Wie man mir sagt, sind diese ersten britischen Ankömmlinge in der Kaserne
von Haydcr-Pascha, zwischen.Skutari und dem Dorfe Kadiköj untergebracht worden.
In einem meiner letzten Briefe drückte ich Ihnen mein Befremden darüber
aus, daß seitens der verbündeten Seemächte noch keine Maßregeln ergriffen worden
seien , um Varna, d.en wichtigsten Ausschiffungspunkt aus der ganzen bulgarischen
Küste, zu decken, > und schon früher, bei Gelegenheit der Erörterung der nächsten
Folgen des Donanübergangs bezeichnete ich Ihnen ebendenselben Platz als wahr¬
scheinliches nächstes Operätionsobject der russischen Armee. Die Wichtigkeit Varuas
liegt dermaßen auf der Hand, daß dieselbe von dem hiesigen, nicht militärischen
Publicum klar herausgefühlt wird, und in diesen Tagen konnte man ganz dieselben
Ansichten und Befürchtungen auf der Gasse und in Kaffeehäusern vernehmen. End¬
lich verlautete gestern, man habe von Gallipoli direct Truppen nach Varna dirigirt.
Dieselben müßten den Bospor nothwendig,passirt haben, und da von einem Durch¬
gehen irgend welches bedeutenderen Dampfers durch die Meerenge nichts verlautet,
so wird die Sache damit ziemlich ungewiß und dürfte sich letztlich auf ein leeres
Gerücht reduciren.
Je mehr es mein inniger Wunsch ist, daß die Maßregeln für den englisch¬
französischen Hilfskrieg gut getroffen werden möchten, desto schmerzlicher ist es mir,
gleich anfangs so eclatanten Fehlern begegnen zu müssen. Die Gefahr, welche
Varna in diesem Augenblick länft, ist so unzweifelhaft, die Mittel, es zu decken, sind
so reichlich schon vorhanden, es ist dieser Punkt so unwidersprechlich der beste Ans-
schiffuugsplatz l,ängs des ganzen bulgarischen Gestades, daß es blindsein heißt, >
wenn, man die Nothwendigkeit verkennt, so schnell es möglich zu machen ist, eine
starke Hand auf ihn zu legen. Man hat die Flotte hingesendet, und damit ist
etwas geschehen, indeß nicht genug, zumal wenn es sich bestätigen sollte, daß der
größere Theil derselben gen Odessa steuerte.
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