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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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schönem Papier und mit glänzender Ausstattung. Alle diese Erfolge werden durch
die Unempfindlichkeit des Kritikers nicht verkümmert, und außerdem sind ja noch
die Buchhändleranzeigen da, in denen grade das Gegentheil gesagt werden kann,
nämlich, daß es seit Homer in der That keinen Dichter gibt, der dieser neuen
Erscheinung an die Seite gestellt werden dürfte. Im Ernst gesprochen, unsere
moderne lyrische Epidemie hat auch ihre unangenehmen Seiten. Daß jetzt alle
Welt, die sich Studirens halber ans der Universität aufgehalten hat, soweit vorge¬
bildet ist, um leidliche Empfindungen und leidliche Gedanken in leidlichen Reimen
auszudrücken, das ist ja recht gut, und daß der eine darin mehr Geschick hat als
der andere und in seiner Jugend statt zwanzig Lieder, wobei man gewöhnlich stehen
bleibt, hundert oder tausend verfaßt, je nach der größern oder geringern Frucht¬
barkeit, das ist ja auch recht schön. Aber daß man nun bei dieser Jugcndstimmuug
stehen bleibt und, wir wollen den besten Fall annehmen, Reminiscenzen an gute
Stunden -- (denn gewöhnlich sind es nur Stilübungen) deshalb für etwas Bedeu¬
tendes ansieht, weil sie einmal stattgefunden, das ist doch ein Zeichen großer
Schwäche, und die Ausdehnung derselben im deutscheu Volk, verbunden mit der
krankhaften, erregten Empfindlichkeit, die jeden Mann für einen Gottesleugner
ansieht, wenn er nicht in die gleiche Begeisterung .ausbricht -- das ist doch auch
eins von jenen Symptomen, die uns verrathen, daß nicht blos im politischen
Leben Deutschlands nicht alles so ist, wie es sein sollte. Wer die Gabe hat,
was ihn erfreut oder betrübt, in einer angenehmen Form abzurunden, soll diese
Gabe als einen Segen für sich selbst empfinden und es als eine dankenswerthe,
aber an sich gleichgiltige Zuthat betrachten, wenn andere dieselbe Freude an diesen
Bildern haben. Aber wer mit einer fortwährenden Angst sich nach Herrn X. U- und
Z. umsieht, und unglücklich und zornig darüber wird, wenn diese nicht ausrufen:
Ein zweiter Goethe! -- der wähle einen andern Beruf, denn diese Art 'der
Beschäftigung, statt seine Seele zu adeln, macht sie- kleinlich und verkümmert. --


Sämmtliche Dichtungen von Elisabeth Kullmann, herausgegeben von
Karl Friedr. v. Großheinrich,'.mit dem Leben, Bildniß und Denkmal
der Dichterin und einer Abbildung ihrer Wohnung. 6. vermehrte, Auflage.
Frankfurt, Brönner. --

Die Dichtungen des jungen Mädchens, dessen zu frühen Tod gewiß jeder
bedauern wird, der die interessanten Lebensnvtizen dieser Ausgabe durchliest, haben
in neuerer Zeit in Deutschland viel Anklang gefunden. Wenn wir nicht irren,
so war es Robert Schumann, der ihr gradezu den ersten Preis unter den neuem
lyrischen Dichtern zugestand. Dieser Meinung können wir nicht beipflichten. Wir
haben vielmehr unter den 600 enggedruckten Doppclspalten, die Elisabeth Kull¬
mann im Laufe weniger Jahre (sie war 1808 geboren und bereits 1823 gestorben),
mit Dichtungen angefüllt hat, kein einziges gefunden, das durch eine kräftig con-


schönem Papier und mit glänzender Ausstattung. Alle diese Erfolge werden durch
die Unempfindlichkeit des Kritikers nicht verkümmert, und außerdem sind ja noch
die Buchhändleranzeigen da, in denen grade das Gegentheil gesagt werden kann,
nämlich, daß es seit Homer in der That keinen Dichter gibt, der dieser neuen
Erscheinung an die Seite gestellt werden dürfte. Im Ernst gesprochen, unsere
moderne lyrische Epidemie hat auch ihre unangenehmen Seiten. Daß jetzt alle
Welt, die sich Studirens halber ans der Universität aufgehalten hat, soweit vorge¬
bildet ist, um leidliche Empfindungen und leidliche Gedanken in leidlichen Reimen
auszudrücken, das ist ja recht gut, und daß der eine darin mehr Geschick hat als
der andere und in seiner Jugend statt zwanzig Lieder, wobei man gewöhnlich stehen
bleibt, hundert oder tausend verfaßt, je nach der größern oder geringern Frucht¬
barkeit, das ist ja auch recht schön. Aber daß man nun bei dieser Jugcndstimmuug
stehen bleibt und, wir wollen den besten Fall annehmen, Reminiscenzen an gute
Stunden — (denn gewöhnlich sind es nur Stilübungen) deshalb für etwas Bedeu¬
tendes ansieht, weil sie einmal stattgefunden, das ist doch ein Zeichen großer
Schwäche, und die Ausdehnung derselben im deutscheu Volk, verbunden mit der
krankhaften, erregten Empfindlichkeit, die jeden Mann für einen Gottesleugner
ansieht, wenn er nicht in die gleiche Begeisterung .ausbricht — das ist doch auch
eins von jenen Symptomen, die uns verrathen, daß nicht blos im politischen
Leben Deutschlands nicht alles so ist, wie es sein sollte. Wer die Gabe hat,
was ihn erfreut oder betrübt, in einer angenehmen Form abzurunden, soll diese
Gabe als einen Segen für sich selbst empfinden und es als eine dankenswerthe,
aber an sich gleichgiltige Zuthat betrachten, wenn andere dieselbe Freude an diesen
Bildern haben. Aber wer mit einer fortwährenden Angst sich nach Herrn X. U- und
Z. umsieht, und unglücklich und zornig darüber wird, wenn diese nicht ausrufen:
Ein zweiter Goethe! — der wähle einen andern Beruf, denn diese Art 'der
Beschäftigung, statt seine Seele zu adeln, macht sie- kleinlich und verkümmert. —


Sämmtliche Dichtungen von Elisabeth Kullmann, herausgegeben von
Karl Friedr. v. Großheinrich,'.mit dem Leben, Bildniß und Denkmal
der Dichterin und einer Abbildung ihrer Wohnung. 6. vermehrte, Auflage.
Frankfurt, Brönner. —

Die Dichtungen des jungen Mädchens, dessen zu frühen Tod gewiß jeder
bedauern wird, der die interessanten Lebensnvtizen dieser Ausgabe durchliest, haben
in neuerer Zeit in Deutschland viel Anklang gefunden. Wenn wir nicht irren,
so war es Robert Schumann, der ihr gradezu den ersten Preis unter den neuem
lyrischen Dichtern zugestand. Dieser Meinung können wir nicht beipflichten. Wir
haben vielmehr unter den 600 enggedruckten Doppclspalten, die Elisabeth Kull¬
mann im Laufe weniger Jahre (sie war 1808 geboren und bereits 1823 gestorben),
mit Dichtungen angefüllt hat, kein einziges gefunden, das durch eine kräftig con-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/228>, abgerufen am 22.07.2024.