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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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seit langer Zeit die Orchestermusik, vor allem die Symph ville. Hier har sich das
Princip her Auswahl im wesentlichen wie von selbst festgesetzt. Beethoven do-
minirt natürlich, und seine Symphonien von der dritten an werden jährlich auf¬
geführt, außerdem von Mozart die in Laur und KmoU, etwa auch, die in 158, eine
und die andre von Haydn; von neuern kommen regelmäßig daran die Schnbertsch e
in catur, mehre von Mendelssohn, Schumann und Gelde; was übrigbleibt an
Platz, wird ausgefüllt durch einzelne Symphonien älterer Meister und einige neue
Versuche. Hiergegen läßt sich im wesentlichen nichts einwenden; und wenn man viel¬
leicht eine etwas reichere Abwechslung, ein aufmerksameres Aufspüren interessanter
Nettigkeiten, die nicht grade der neuesten Zeit anzugehören brauchen, hier und
da wünschen möchte, so- trifft das doch mir Einzelnheiten, über die sich streiten
läßt. Am wenigsten dürfte man es der Direction zum Vorwurf macheu, wenn
nicht alle neuesten Productionen beim Publicum Auszeichnung und Interesse finden oder
verdienen, auch vielleicht einmal ein Mißgriff geschieht. Im Gegentheil verdient es
die dankbarste Anerkennung, daß die Direction fortwährend bemüht ist, ernst ge¬
meinten Bestrebungen der Gegenwart Geltung zu verschaffen, und der Takt, mit
welchem sie verhütet, daß das Concert nicht zu einer Experimentirschule jugendlicher
Talente werde, sondern die Tradition der besten Werke früherer Zeit im Be¬
wußtsein des Publicums wie der Künstler als den wahren Ausgangspunkt neuer
Bestrebungen lebendig und klar hält, ist ungemein lobenswert!) und die beste Bürg¬
schaft für Erhaltung und Fortpflanzung des künstlerischen Geistes. Dasselbe gilt
von den Ouvertüren, welche den Symphonien zur Seite gehen. Im wesentlichen
hat sich auch hier ein bestimmtes Repertoir festgesetzt, das aber natürlich eine
größere Dehnbarkeit und reicheren Wechsel im einzelnen zuläßt, als dies bei den
Symphonien möglich ist. Beethoven, Cherubini, Weber, Mendelssohn,
Schumann sind statarisch, es fehlt nicht an älteren, neueren und neuesten Kompo¬
sitionen, welche sich daneben geltend zu machen suchen; einzelne Wünsche mögen
dabei hier und da noch ausgesprochen werden können, wesentliche Forderungen
schwerlich.

Es wäre sehr erfreulich, dürfte man von der Ausführung der Orchestcrwerke
mit derselben Zuversicht behaupten, daß sie sich auf einer gleichen Höhe erhalten
haben. Der Ruhm der Leistungen des Leipziger Orchesters wurde zu eiuer Zeit
begründet, wo die ernsten größeren Gattungen der Instrumentalmusik an andern
Orten wenig Theilnahme fanden und namentlich in den Hauptstädten Deutsch¬
lands ganz vernachlässigt wurden. Mit einer Consequenz, die Bewunderung ver¬
dient, wurde dieser Zweig der deutschen Musik in den Abonnementconcertcn unaus-
gesetzt gepflegt, und man behauptet nicht zu viel, wenn man sagt, daß hier der,
Grund gelegt worden ist zu jenem allgemeinen Verständniß der Meister¬
werke deutscher Instrumentalmusik, dessen unsre Zeit sich rühmen darf, und zugleich
zu dem Ruf des Geschmacks und Urtheils in musikalischen Dingen, ans welchen der


seit langer Zeit die Orchestermusik, vor allem die Symph ville. Hier har sich das
Princip her Auswahl im wesentlichen wie von selbst festgesetzt. Beethoven do-
minirt natürlich, und seine Symphonien von der dritten an werden jährlich auf¬
geführt, außerdem von Mozart die in Laur und KmoU, etwa auch, die in 158, eine
und die andre von Haydn; von neuern kommen regelmäßig daran die Schnbertsch e
in catur, mehre von Mendelssohn, Schumann und Gelde; was übrigbleibt an
Platz, wird ausgefüllt durch einzelne Symphonien älterer Meister und einige neue
Versuche. Hiergegen läßt sich im wesentlichen nichts einwenden; und wenn man viel¬
leicht eine etwas reichere Abwechslung, ein aufmerksameres Aufspüren interessanter
Nettigkeiten, die nicht grade der neuesten Zeit anzugehören brauchen, hier und
da wünschen möchte, so- trifft das doch mir Einzelnheiten, über die sich streiten
läßt. Am wenigsten dürfte man es der Direction zum Vorwurf macheu, wenn
nicht alle neuesten Productionen beim Publicum Auszeichnung und Interesse finden oder
verdienen, auch vielleicht einmal ein Mißgriff geschieht. Im Gegentheil verdient es
die dankbarste Anerkennung, daß die Direction fortwährend bemüht ist, ernst ge¬
meinten Bestrebungen der Gegenwart Geltung zu verschaffen, und der Takt, mit
welchem sie verhütet, daß das Concert nicht zu einer Experimentirschule jugendlicher
Talente werde, sondern die Tradition der besten Werke früherer Zeit im Be¬
wußtsein des Publicums wie der Künstler als den wahren Ausgangspunkt neuer
Bestrebungen lebendig und klar hält, ist ungemein lobenswert!) und die beste Bürg¬
schaft für Erhaltung und Fortpflanzung des künstlerischen Geistes. Dasselbe gilt
von den Ouvertüren, welche den Symphonien zur Seite gehen. Im wesentlichen
hat sich auch hier ein bestimmtes Repertoir festgesetzt, das aber natürlich eine
größere Dehnbarkeit und reicheren Wechsel im einzelnen zuläßt, als dies bei den
Symphonien möglich ist. Beethoven, Cherubini, Weber, Mendelssohn,
Schumann sind statarisch, es fehlt nicht an älteren, neueren und neuesten Kompo¬
sitionen, welche sich daneben geltend zu machen suchen; einzelne Wünsche mögen
dabei hier und da noch ausgesprochen werden können, wesentliche Forderungen
schwerlich.

Es wäre sehr erfreulich, dürfte man von der Ausführung der Orchestcrwerke
mit derselben Zuversicht behaupten, daß sie sich auf einer gleichen Höhe erhalten
haben. Der Ruhm der Leistungen des Leipziger Orchesters wurde zu eiuer Zeit
begründet, wo die ernsten größeren Gattungen der Instrumentalmusik an andern
Orten wenig Theilnahme fanden und namentlich in den Hauptstädten Deutsch¬
lands ganz vernachlässigt wurden. Mit einer Consequenz, die Bewunderung ver¬
dient, wurde dieser Zweig der deutschen Musik in den Abonnementconcertcn unaus-
gesetzt gepflegt, und man behauptet nicht zu viel, wenn man sagt, daß hier der,
Grund gelegt worden ist zu jenem allgemeinen Verständniß der Meister¬
werke deutscher Instrumentalmusik, dessen unsre Zeit sich rühmen darf, und zugleich
zu dem Ruf des Geschmacks und Urtheils in musikalischen Dingen, ans welchen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/218>, abgerufen am 23.07.2024.