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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Aufführung zu bringen und dadurch nicht mir den Einfluß der Gewandhauscon-
certe aus Erhaltung und Fortbildung unsres gesammten musikalischen Kunstlebens
immer mehr erweitern, sondern auch den wohlverdiente" Ruf derselben, sowie die
Achtung, welche das Kunsturtheil unsers Publicums genießt, immer fester begründen
zu helfen." Leider ist aber diese Hoffnung unerfüllt geblieben. In der Reihe
der gewöhnlichen Concerte ist Mendelssohns Paulus das einzige größere
Werk, das zur Aufführung kam, zu welchem in außerordentlichen Concerten
Schumanns Paradies und Perl und Handels Israel kamen. Außer¬
dem sind für gemischten Chor Gades Frühlingsphantasie, eine Can-
tate von Bach, ein Psalm von Fr. Schneider, das Finale aus der Lo-
reley, der Schlußsatz der neunten Symphonie und die Kompositionen von
Berlioz zu nennen, für Männerstimmen Schlachtgesang von Rietz, Der-
wischchvr aus den Ruinen von Athen, Terzett ans Euryanthe, für
Frauenstimmen die Einleitung aus Iphigenie in Tauris anzuführen. Daß
dies keine bewußte Auswahl sei, liegt auf der Hand; leider muß man hinzufü¬
gen, daß die Ausführung ebensowenig gerechten Anforderungen entsprach. Leip¬
zig besitzt ein Conservatorinm, eine Singakademie, den Thomanerchor, Singvcr-
eine und zahllose gesangsfrohe Dilettanten, in der That "ausgezeichnete Kunst-
mittel" um einen starken und vortrefflichen Chor aufzustellen. Allerdings sind
diese Mittel zerstreut, sie müssen dnrch eine überlegene geistige Kraft zu einem
Ganzen vereinigt und organisirt werden, und diese ist es, die man vermißt. Ob es
an Fleiß und Sorgfalt beim Einstudiren fehle^ vermögen wir nicht zu sagen;
gewiß ist es, daß die Chöre durchgehends weder rein, noch präcis und sicher gingen
und, was bei diesen Voraussetzungen freilich nicht anders sein kaun, namentlich
die Frische und Lebendigkeit vermissen ließen, welche allein auf einem bewußten
Verständniß und einer innern Betheiligung der Mitwirkenden beruhen. Diese
Mängel kommen zum überwiegend größten Theil ans die Rechnung des Dirigenten.
Seine Aufgabe ist es, nicht allein durch unausgesetztes und strenges Studiren
die technischen Schwierigkeiten zu überwinden, sondern auch das geistige Verständ¬
niß zu eröffnen und dadurch die Ausführung zu beleben; die Mittel sind da, es
kommt nur darauf an sie mit Einsicht, Geist und Feuer zu benutzen. Daß
leichtere Sachen leidlich gehen, daß in Opernensembles die so besetzten Chöre
etwas besser klingen als gewöhnlich auf dem Theater, das sind keine Erfolge,
deren sich das Gewaudhauscvncert zu rühmen hat; aber ein schwerer Vorwurf. ist
es, wenn die großen Aufgaben, in denen es sich bewähren soll, mißlingen. Und
wie mißlang der Schlußsatz der neunten Symphonie! Allerdings sind die techni¬
schen Schwierigkeiten hier außerordentlich groß, alleip, daß sie zu überwinden sind
ist an andern Orten und auch hier bewiesen worden. Sei es indessen, daß es
hier jetzt an geeigneten Stimmen gefehlt, daß weder Zeit noch Neigung aus¬
gereicht, das schwierige Werk mit der Sorgfalt einzustudiren, welche es erfor-


Aufführung zu bringen und dadurch nicht mir den Einfluß der Gewandhauscon-
certe aus Erhaltung und Fortbildung unsres gesammten musikalischen Kunstlebens
immer mehr erweitern, sondern auch den wohlverdiente» Ruf derselben, sowie die
Achtung, welche das Kunsturtheil unsers Publicums genießt, immer fester begründen
zu helfen." Leider ist aber diese Hoffnung unerfüllt geblieben. In der Reihe
der gewöhnlichen Concerte ist Mendelssohns Paulus das einzige größere
Werk, das zur Aufführung kam, zu welchem in außerordentlichen Concerten
Schumanns Paradies und Perl und Handels Israel kamen. Außer¬
dem sind für gemischten Chor Gades Frühlingsphantasie, eine Can-
tate von Bach, ein Psalm von Fr. Schneider, das Finale aus der Lo-
reley, der Schlußsatz der neunten Symphonie und die Kompositionen von
Berlioz zu nennen, für Männerstimmen Schlachtgesang von Rietz, Der-
wischchvr aus den Ruinen von Athen, Terzett ans Euryanthe, für
Frauenstimmen die Einleitung aus Iphigenie in Tauris anzuführen. Daß
dies keine bewußte Auswahl sei, liegt auf der Hand; leider muß man hinzufü¬
gen, daß die Ausführung ebensowenig gerechten Anforderungen entsprach. Leip¬
zig besitzt ein Conservatorinm, eine Singakademie, den Thomanerchor, Singvcr-
eine und zahllose gesangsfrohe Dilettanten, in der That „ausgezeichnete Kunst-
mittel" um einen starken und vortrefflichen Chor aufzustellen. Allerdings sind
diese Mittel zerstreut, sie müssen dnrch eine überlegene geistige Kraft zu einem
Ganzen vereinigt und organisirt werden, und diese ist es, die man vermißt. Ob es
an Fleiß und Sorgfalt beim Einstudiren fehle^ vermögen wir nicht zu sagen;
gewiß ist es, daß die Chöre durchgehends weder rein, noch präcis und sicher gingen
und, was bei diesen Voraussetzungen freilich nicht anders sein kaun, namentlich
die Frische und Lebendigkeit vermissen ließen, welche allein auf einem bewußten
Verständniß und einer innern Betheiligung der Mitwirkenden beruhen. Diese
Mängel kommen zum überwiegend größten Theil ans die Rechnung des Dirigenten.
Seine Aufgabe ist es, nicht allein durch unausgesetztes und strenges Studiren
die technischen Schwierigkeiten zu überwinden, sondern auch das geistige Verständ¬
niß zu eröffnen und dadurch die Ausführung zu beleben; die Mittel sind da, es
kommt nur darauf an sie mit Einsicht, Geist und Feuer zu benutzen. Daß
leichtere Sachen leidlich gehen, daß in Opernensembles die so besetzten Chöre
etwas besser klingen als gewöhnlich auf dem Theater, das sind keine Erfolge,
deren sich das Gewaudhauscvncert zu rühmen hat; aber ein schwerer Vorwurf. ist
es, wenn die großen Aufgaben, in denen es sich bewähren soll, mißlingen. Und
wie mißlang der Schlußsatz der neunten Symphonie! Allerdings sind die techni¬
schen Schwierigkeiten hier außerordentlich groß, alleip, daß sie zu überwinden sind
ist an andern Orten und auch hier bewiesen worden. Sei es indessen, daß es
hier jetzt an geeigneten Stimmen gefehlt, daß weder Zeit noch Neigung aus¬
gereicht, das schwierige Werk mit der Sorgfalt einzustudiren, welche es erfor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/212>, abgerufen am 23.07.2024.