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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Castellvon erbaut ist. Castellvon war früher die Hauptstadt des Arcmer Gebietes
-- jetzt gibt nur noch eine zerfallende Warte von ihrem Dasein Kunde.

Bei Las Bordes vereinigen sich die Gewässer von Artigna Telline mit den
Quellen der oberen Garonne, die am Port de Peyreblanque entsprungen von
der Höhe des Aranerthales niederstömeu. Am linken Ufer des wasserreichen
Flusses, den sie bilden, zieht sich unser Weg zwischen Wiesen und Waldungen hin.
Am jenseitigen Ufer steigen gut bebaute Felder bis zur Mitte der Bergabhänge
empor; die Gipfel sind theils bewaldet, theils mit Haide und Steingeröll bedeckt.
Dörfer und Weiler, an Kirchen reich, liegen hoch oben an den Bergen, dann
und wann blickt ein altes Schloß oder ein Kloster aus schattigen Baumgruppen
hervor.

Zuweilen begegnet uns ein catalonischer Bauer mit der langherabhängenden
rothwollenen Zipfelmütze, oder eine hübsche Frau mit seidnem Mieder und nackten
Füßen, oder ein Mönch in schmuziger Kutte, mit widerlich kriechender Geberde
-- oder bettelnde Kinder umschwärmen uns tanzend, springend, singend und
betend. Auf den Wiesen am Flusse weiden herrliche Pferde und Maulthiere --
ihre Hüter liegen rauchend im Grase, und am jenseitigen User wandelt eine Pro¬
cession mit Fahnen und Kreuzen, deren Gesänge die mildbewegte Abendluft zu
uns herüberträgt.

Aber wir müssen das schöne Thal verlassen -- der Weg zieht sich am west¬
lichen AbHange aufwärts zur Höhe des Portillon. Hier ist Frankreichs jetzige
Grenze und von hieraus übersteht man einen großen Theil des. Weges, den wir
zurückgelegt haben und verfolgt den weiteren Lauf des Flusses bis zum Pont du
Roi, wo er sich zwischen mächtigen Felsenpfeilem durchdrängt, um auf französischem
Gebiet nach Se. Beat hinabzneilen. Zu unsern Füßen liegen dis Schieferdächer,
die Obstgärten und Felder von Bosost, überragt von dem Höhenzuge, der die
Thäler von Luchon und Aram scheidet; weiterhin schimmern die Bäder von Sss;
auf hohem Felsplateau zeigt sich der Weiler Canejan, zu dessen Füßen sich ein
waldreiches Nebenthal öffnet -- und jenseit der Porta von Aram erheben sich,
alle umliegeyden Berggruppen beherrschend, die Häupter des Tentenade, des Cra-
b"re, des Bocanöre und Pic de Gard, deren Felsenkuppen im Abendschein wun¬
derbar glänzen.

Das Thal von Aram, das sich vom nördlichen AbHange der Centralkette des
Gebirges herabsenkt, gehört seiner Lage nach unstreitig zu Frankreich -- anch
war es als Bestandtheil der Grafschaft Comminges Lehen der französischen Krone,
bis es zu Ende des 12. Jahrhunderts durch Verheirathung der Erbgräfin Bea¬
trix von Commiuges mit einem Prinzen von Aragonien an Spanien fiel. Zwar
hat es Napoleon dem französischen Kaisetreiche "aus ewige Zeiten" wieder ein¬
verleibt, aber schon nach wenigen Jahren fiel es durch die Verträge von 1816-
an Spanien zurück -- und wol mit Recht. Es ist zuviel von spanischem Blute,


Castellvon erbaut ist. Castellvon war früher die Hauptstadt des Arcmer Gebietes
— jetzt gibt nur noch eine zerfallende Warte von ihrem Dasein Kunde.

Bei Las Bordes vereinigen sich die Gewässer von Artigna Telline mit den
Quellen der oberen Garonne, die am Port de Peyreblanque entsprungen von
der Höhe des Aranerthales niederstömeu. Am linken Ufer des wasserreichen
Flusses, den sie bilden, zieht sich unser Weg zwischen Wiesen und Waldungen hin.
Am jenseitigen Ufer steigen gut bebaute Felder bis zur Mitte der Bergabhänge
empor; die Gipfel sind theils bewaldet, theils mit Haide und Steingeröll bedeckt.
Dörfer und Weiler, an Kirchen reich, liegen hoch oben an den Bergen, dann
und wann blickt ein altes Schloß oder ein Kloster aus schattigen Baumgruppen
hervor.

Zuweilen begegnet uns ein catalonischer Bauer mit der langherabhängenden
rothwollenen Zipfelmütze, oder eine hübsche Frau mit seidnem Mieder und nackten
Füßen, oder ein Mönch in schmuziger Kutte, mit widerlich kriechender Geberde
— oder bettelnde Kinder umschwärmen uns tanzend, springend, singend und
betend. Auf den Wiesen am Flusse weiden herrliche Pferde und Maulthiere —
ihre Hüter liegen rauchend im Grase, und am jenseitigen User wandelt eine Pro¬
cession mit Fahnen und Kreuzen, deren Gesänge die mildbewegte Abendluft zu
uns herüberträgt.

Aber wir müssen das schöne Thal verlassen — der Weg zieht sich am west¬
lichen AbHange aufwärts zur Höhe des Portillon. Hier ist Frankreichs jetzige
Grenze und von hieraus übersteht man einen großen Theil des. Weges, den wir
zurückgelegt haben und verfolgt den weiteren Lauf des Flusses bis zum Pont du
Roi, wo er sich zwischen mächtigen Felsenpfeilem durchdrängt, um auf französischem
Gebiet nach Se. Beat hinabzneilen. Zu unsern Füßen liegen dis Schieferdächer,
die Obstgärten und Felder von Bosost, überragt von dem Höhenzuge, der die
Thäler von Luchon und Aram scheidet; weiterhin schimmern die Bäder von Sss;
auf hohem Felsplateau zeigt sich der Weiler Canejan, zu dessen Füßen sich ein
waldreiches Nebenthal öffnet — und jenseit der Porta von Aram erheben sich,
alle umliegeyden Berggruppen beherrschend, die Häupter des Tentenade, des Cra-
b«re, des Bocanöre und Pic de Gard, deren Felsenkuppen im Abendschein wun¬
derbar glänzen.

Das Thal von Aram, das sich vom nördlichen AbHange der Centralkette des
Gebirges herabsenkt, gehört seiner Lage nach unstreitig zu Frankreich — anch
war es als Bestandtheil der Grafschaft Comminges Lehen der französischen Krone,
bis es zu Ende des 12. Jahrhunderts durch Verheirathung der Erbgräfin Bea¬
trix von Commiuges mit einem Prinzen von Aragonien an Spanien fiel. Zwar
hat es Napoleon dem französischen Kaisetreiche „aus ewige Zeiten" wieder ein¬
verleibt, aber schon nach wenigen Jahren fiel es durch die Verträge von 1816-
an Spanien zurück — und wol mit Recht. Es ist zuviel von spanischem Blute,


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[0198] Castellvon erbaut ist. Castellvon war früher die Hauptstadt des Arcmer Gebietes — jetzt gibt nur noch eine zerfallende Warte von ihrem Dasein Kunde. Bei Las Bordes vereinigen sich die Gewässer von Artigna Telline mit den Quellen der oberen Garonne, die am Port de Peyreblanque entsprungen von der Höhe des Aranerthales niederstömeu. Am linken Ufer des wasserreichen Flusses, den sie bilden, zieht sich unser Weg zwischen Wiesen und Waldungen hin. Am jenseitigen Ufer steigen gut bebaute Felder bis zur Mitte der Bergabhänge empor; die Gipfel sind theils bewaldet, theils mit Haide und Steingeröll bedeckt. Dörfer und Weiler, an Kirchen reich, liegen hoch oben an den Bergen, dann und wann blickt ein altes Schloß oder ein Kloster aus schattigen Baumgruppen hervor. Zuweilen begegnet uns ein catalonischer Bauer mit der langherabhängenden rothwollenen Zipfelmütze, oder eine hübsche Frau mit seidnem Mieder und nackten Füßen, oder ein Mönch in schmuziger Kutte, mit widerlich kriechender Geberde — oder bettelnde Kinder umschwärmen uns tanzend, springend, singend und betend. Auf den Wiesen am Flusse weiden herrliche Pferde und Maulthiere — ihre Hüter liegen rauchend im Grase, und am jenseitigen User wandelt eine Pro¬ cession mit Fahnen und Kreuzen, deren Gesänge die mildbewegte Abendluft zu uns herüberträgt. Aber wir müssen das schöne Thal verlassen — der Weg zieht sich am west¬ lichen AbHange aufwärts zur Höhe des Portillon. Hier ist Frankreichs jetzige Grenze und von hieraus übersteht man einen großen Theil des. Weges, den wir zurückgelegt haben und verfolgt den weiteren Lauf des Flusses bis zum Pont du Roi, wo er sich zwischen mächtigen Felsenpfeilem durchdrängt, um auf französischem Gebiet nach Se. Beat hinabzneilen. Zu unsern Füßen liegen dis Schieferdächer, die Obstgärten und Felder von Bosost, überragt von dem Höhenzuge, der die Thäler von Luchon und Aram scheidet; weiterhin schimmern die Bäder von Sss; auf hohem Felsplateau zeigt sich der Weiler Canejan, zu dessen Füßen sich ein waldreiches Nebenthal öffnet — und jenseit der Porta von Aram erheben sich, alle umliegeyden Berggruppen beherrschend, die Häupter des Tentenade, des Cra- b«re, des Bocanöre und Pic de Gard, deren Felsenkuppen im Abendschein wun¬ derbar glänzen. Das Thal von Aram, das sich vom nördlichen AbHange der Centralkette des Gebirges herabsenkt, gehört seiner Lage nach unstreitig zu Frankreich — anch war es als Bestandtheil der Grafschaft Comminges Lehen der französischen Krone, bis es zu Ende des 12. Jahrhunderts durch Verheirathung der Erbgräfin Bea¬ trix von Commiuges mit einem Prinzen von Aragonien an Spanien fiel. Zwar hat es Napoleon dem französischen Kaisetreiche „aus ewige Zeiten" wieder ein¬ verleibt, aber schon nach wenigen Jahren fiel es durch die Verträge von 1816- an Spanien zurück — und wol mit Recht. Es ist zuviel von spanischem Blute,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/197>, abgerufen am 23.07.2024.