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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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kritisch gegenüber, er nimmt ihn niemals in sich auf. Carlyle hat in seiner Dar¬
stellung Cromwells dieZ Talent sehr glänzend entwickelt, aber es fehlt seinem
Geist jene Ordnung und Folgerichtigkeit, die für ein Geschichtswerk ebenso noth¬
wendig ist, als die Empfängnis). Unter- allen uus bekannten Historikern ist
Macaulay der einzige, der beide Eigenschaften in gleich hohem Grade besitzt, und
wenn er nicht jede Zeit gleich meisterhaft behandelte, so würden wir bei" ihm be¬
dauern, daß er sich in der Geschichte der englischen Republik auf eine bloße
Skizze beschränkt hat.,

Wie dem auch sei, Guizots Werk füllt eine Lücke aus. Vor den englischen
Historikern hat er den Vorzug, daß er den Thatsachen frei gegenübersteht, daß
er bei dem Urtheil nicht durch jene traditionellen Voraussetzungen bedingt wird,
deren sich kein Engländer entschlagen kann. Sein Werk gibt keinen befriedigenden
Abschluß, aber es gibt einen reichen Stoff für das Nachdenken und ein mit gro¬
ßem Verstand gesichtetes und geordnetes Material, und wir sehen der Fortsetzung
mit nicht geringen Erwartungen entgegen. --

, Lromwoll par Il,amarl,1ne. Lruxolles et I^eipiiiF, liiesslmg ol. (^omp.

Herr v. Lamartine hat sich auf eine bedenkliche Weise der Vielschreibcrci
ergeben. Das gegenwärtige Buch ist weiter nichts als eine Verherrlichung des
Eindrucks, den das geistvolle nud höchst bedeutende Werk von Carlyle auf ihn
gemacht hat. Ein anderer begnügt sich in solchen Fällen mit einer Recension,
in der er auf die Vorzüge eiues solchen Buchs verweist und auf etwaige Aus-
stellungen aufmerksam macht. Herr v. Lamartine macht ein ganzes Buch daraus.
Er besitzt eine rasche und zuweilen glänzende Intuition, einen scharfen Jnsttuct für
anziehende und charakteristische Züge, aber seine historischen Vorkenntnisse sind sehr
dürftig, selbst für einen Franzosen, und seine Arbeit trägt stets die Spuren zu
großer Eilfertigkeit an sich. Seine Rednergabe zeigt sich freilich überall. Wer
Carlyle nicht kennt, wird auch an diesem Buch großes Interesse finden, indeß
das Gute, was darin steht, ist lediglich aus Carlyle, und Lamartincs Zuthaten
, sind gänzlich werthlos. Er hat die tiefsinnige Analyse, der Carlyle diesen großen
Charakter unterzogen hat, ganz oberflächlich aufgefaßt und aus Cromwell wieder
einen abstracten Begriff gemacht, während Carlyle grade davor gewarnt hatte,
die verschiedenen Zeiten aus' dem Leben eines großen Mannes ineinandevzu-,
wirren und ihn wie ein Rechenexempel zu construiren. Cromwell ist grade ein
Charakter, wie ihn die spähende Philosophie Carlyles bedarf, unerschöpflich an
Widersprüchen' und doch von einer gewaltigen Einheit, ein dunkler Grübler und
doch ein klarer Mann der That, kalt und verschlagen und doch inspirirt. Für
die Franzosen ist so, ein Charakter nicht, und für Lamartine, den Franzosen i>"r
exoMgneiz am wenigsten. --


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kritisch gegenüber, er nimmt ihn niemals in sich auf. Carlyle hat in seiner Dar¬
stellung Cromwells dieZ Talent sehr glänzend entwickelt, aber es fehlt seinem
Geist jene Ordnung und Folgerichtigkeit, die für ein Geschichtswerk ebenso noth¬
wendig ist, als die Empfängnis). Unter- allen uus bekannten Historikern ist
Macaulay der einzige, der beide Eigenschaften in gleich hohem Grade besitzt, und
wenn er nicht jede Zeit gleich meisterhaft behandelte, so würden wir bei" ihm be¬
dauern, daß er sich in der Geschichte der englischen Republik auf eine bloße
Skizze beschränkt hat.,

Wie dem auch sei, Guizots Werk füllt eine Lücke aus. Vor den englischen
Historikern hat er den Vorzug, daß er den Thatsachen frei gegenübersteht, daß
er bei dem Urtheil nicht durch jene traditionellen Voraussetzungen bedingt wird,
deren sich kein Engländer entschlagen kann. Sein Werk gibt keinen befriedigenden
Abschluß, aber es gibt einen reichen Stoff für das Nachdenken und ein mit gro¬
ßem Verstand gesichtetes und geordnetes Material, und wir sehen der Fortsetzung
mit nicht geringen Erwartungen entgegen. —

, Lromwoll par Il,amarl,1ne. Lruxolles et I^eipiiiF, liiesslmg ol. (^omp.

Herr v. Lamartine hat sich auf eine bedenkliche Weise der Vielschreibcrci
ergeben. Das gegenwärtige Buch ist weiter nichts als eine Verherrlichung des
Eindrucks, den das geistvolle nud höchst bedeutende Werk von Carlyle auf ihn
gemacht hat. Ein anderer begnügt sich in solchen Fällen mit einer Recension,
in der er auf die Vorzüge eiues solchen Buchs verweist und auf etwaige Aus-
stellungen aufmerksam macht. Herr v. Lamartine macht ein ganzes Buch daraus.
Er besitzt eine rasche und zuweilen glänzende Intuition, einen scharfen Jnsttuct für
anziehende und charakteristische Züge, aber seine historischen Vorkenntnisse sind sehr
dürftig, selbst für einen Franzosen, und seine Arbeit trägt stets die Spuren zu
großer Eilfertigkeit an sich. Seine Rednergabe zeigt sich freilich überall. Wer
Carlyle nicht kennt, wird auch an diesem Buch großes Interesse finden, indeß
das Gute, was darin steht, ist lediglich aus Carlyle, und Lamartincs Zuthaten
, sind gänzlich werthlos. Er hat die tiefsinnige Analyse, der Carlyle diesen großen
Charakter unterzogen hat, ganz oberflächlich aufgefaßt und aus Cromwell wieder
einen abstracten Begriff gemacht, während Carlyle grade davor gewarnt hatte,
die verschiedenen Zeiten aus' dem Leben eines großen Mannes ineinandevzu-,
wirren und ihn wie ein Rechenexempel zu construiren. Cromwell ist grade ein
Charakter, wie ihn die spähende Philosophie Carlyles bedarf, unerschöpflich an
Widersprüchen' und doch von einer gewaltigen Einheit, ein dunkler Grübler und
doch ein klarer Mann der That, kalt und verschlagen und doch inspirirt. Für
die Franzosen ist so, ein Charakter nicht, und für Lamartine, den Franzosen i>»r
exoMgneiz am wenigsten. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/178>, abgerufen am 23.07.2024.