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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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denn die Westmächte, England mit eingeschlossen, würden alsdann ein solidarisches
Interesse dabei haben, die Machtsphäre des Ostens dnrch Rückwerfnng Preußens
aus seiner Position am Rhein enger zu umgrenzen. -Hält dagegen dieses sich
vom russischen Einfluß frei, so ist jenes Interesse nicht nur nicht vorhanden'
sondern es entsteht, Frankreich etwa allein ausgenommen, in allen Weststaaten
das Gegeninteresse, Preußen mittelst der Rheinlands auf die andere Seite
hinüberzuziehen.

Mehr noch! Preußen ist im wesentlichen, und ganz besonders im Gegen¬
satz zu Oestreich, ein Weststaat. Es würde diesen Charakter, der dnrch seine
Lage, dnrch die Richtung seiner Ströme, dnrch seine Landcommunicationen bedingt
ist, selbst nicht verlieren, wenn infolge von Ereignissen, an deren Schwelle wir
stehen, die oberen Weichsellande, die jetzt unter Rußlands Scepter stehen, ihm zu¬
fallen sollten.

Mir scheint, daß hiermit der Punkt berührt ist, welcher die Stelle andeutet,
in der Preußens Politik mit derjenigen der Westmächte in Betreff der Kriegs¬
frage sich einigen und eine Allianz zu Stande gebracht werden konnte. Ein Krieg,
welcher dem Staate Friedrichs des Große" im Osten die unentbehrlichen Er¬
gänzungen hinzufügte, sein Stromsystem vervollständigte, nicht nur das ihm zurück¬
gäbe, was vormals sein eigen gewesen, sondern seine Grenzen noch darüber hinaus
ausdehnte, -- ein solcher Krieg würde eine neue Aera für Preußen begründen,
es dem Umfange nach zu dem machen, was es vordem nur in Ansehung seiner
Militärkräfte gewesen und außerdem eine große Frage zur Lösung bringen: ich
meine die endliche Feststellung des Geschicks von Polen.

Kaum bezweifelt noch jemand, daß eine Wiederherstellung des polnischen
Staates zu den politischen Unmöglichkeiten gehört. Aber man wird, auch wenn
man allen Hoffnungen auf eine Neugestaltung der alten Republik entsagt hat,
darum nicht minder das Geschick eines Volkes bedauern, dessen größerer Theil
hente in den Klauen des russischen Despotismus liegt und infolge dessen außer
Stande ist, Antheil an der großen Culturbewegung zu nehmen, welche im Westen
vor sich geht. Ich weiß sehr wohl, welcher heftige Widerwille in den slawischen
Völkern gegen das germanische Element vorherrscht, und daß eine Einverleibung
Polens, ganz Polens in den preußischen Staat, namentlich unter der sarmatischen
"Aristokratie nicht eben freudig begrüßt werden würde. Dagegen bedarf es kaum
eines nur oberflächlichen Beschauers der Zustände, in welchen sich die polnische
Bevölkerung auf preußischem Gebiet, im Gegensatz zu der ans russischem, befindet,
um die Größe des reellen Gewinns der letzteren bei einem derartigen Wechsel
zu ahnen.

Eine solche Einverleibung Polens in Preußen geschähe aber ganz im In¬
teresse der westlichen Staaten. Für immer wäre damit nicht nnr die Möglichkeit
einer preußisch-russischen Allianz gebannt, sondern der Zarenstaat wäre anch der-


denn die Westmächte, England mit eingeschlossen, würden alsdann ein solidarisches
Interesse dabei haben, die Machtsphäre des Ostens dnrch Rückwerfnng Preußens
aus seiner Position am Rhein enger zu umgrenzen. -Hält dagegen dieses sich
vom russischen Einfluß frei, so ist jenes Interesse nicht nur nicht vorhanden'
sondern es entsteht, Frankreich etwa allein ausgenommen, in allen Weststaaten
das Gegeninteresse, Preußen mittelst der Rheinlands auf die andere Seite
hinüberzuziehen.

Mehr noch! Preußen ist im wesentlichen, und ganz besonders im Gegen¬
satz zu Oestreich, ein Weststaat. Es würde diesen Charakter, der dnrch seine
Lage, dnrch die Richtung seiner Ströme, dnrch seine Landcommunicationen bedingt
ist, selbst nicht verlieren, wenn infolge von Ereignissen, an deren Schwelle wir
stehen, die oberen Weichsellande, die jetzt unter Rußlands Scepter stehen, ihm zu¬
fallen sollten.

Mir scheint, daß hiermit der Punkt berührt ist, welcher die Stelle andeutet,
in der Preußens Politik mit derjenigen der Westmächte in Betreff der Kriegs¬
frage sich einigen und eine Allianz zu Stande gebracht werden konnte. Ein Krieg,
welcher dem Staate Friedrichs des Große» im Osten die unentbehrlichen Er¬
gänzungen hinzufügte, sein Stromsystem vervollständigte, nicht nur das ihm zurück¬
gäbe, was vormals sein eigen gewesen, sondern seine Grenzen noch darüber hinaus
ausdehnte, — ein solcher Krieg würde eine neue Aera für Preußen begründen,
es dem Umfange nach zu dem machen, was es vordem nur in Ansehung seiner
Militärkräfte gewesen und außerdem eine große Frage zur Lösung bringen: ich
meine die endliche Feststellung des Geschicks von Polen.

Kaum bezweifelt noch jemand, daß eine Wiederherstellung des polnischen
Staates zu den politischen Unmöglichkeiten gehört. Aber man wird, auch wenn
man allen Hoffnungen auf eine Neugestaltung der alten Republik entsagt hat,
darum nicht minder das Geschick eines Volkes bedauern, dessen größerer Theil
hente in den Klauen des russischen Despotismus liegt und infolge dessen außer
Stande ist, Antheil an der großen Culturbewegung zu nehmen, welche im Westen
vor sich geht. Ich weiß sehr wohl, welcher heftige Widerwille in den slawischen
Völkern gegen das germanische Element vorherrscht, und daß eine Einverleibung
Polens, ganz Polens in den preußischen Staat, namentlich unter der sarmatischen
"Aristokratie nicht eben freudig begrüßt werden würde. Dagegen bedarf es kaum
eines nur oberflächlichen Beschauers der Zustände, in welchen sich die polnische
Bevölkerung auf preußischem Gebiet, im Gegensatz zu der ans russischem, befindet,
um die Größe des reellen Gewinns der letzteren bei einem derartigen Wechsel
zu ahnen.

Eine solche Einverleibung Polens in Preußen geschähe aber ganz im In¬
teresse der westlichen Staaten. Für immer wäre damit nicht nnr die Möglichkeit
einer preußisch-russischen Allianz gebannt, sondern der Zarenstaat wäre anch der-


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[0143] denn die Westmächte, England mit eingeschlossen, würden alsdann ein solidarisches Interesse dabei haben, die Machtsphäre des Ostens dnrch Rückwerfnng Preußens aus seiner Position am Rhein enger zu umgrenzen. -Hält dagegen dieses sich vom russischen Einfluß frei, so ist jenes Interesse nicht nur nicht vorhanden' sondern es entsteht, Frankreich etwa allein ausgenommen, in allen Weststaaten das Gegeninteresse, Preußen mittelst der Rheinlands auf die andere Seite hinüberzuziehen. Mehr noch! Preußen ist im wesentlichen, und ganz besonders im Gegen¬ satz zu Oestreich, ein Weststaat. Es würde diesen Charakter, der dnrch seine Lage, dnrch die Richtung seiner Ströme, dnrch seine Landcommunicationen bedingt ist, selbst nicht verlieren, wenn infolge von Ereignissen, an deren Schwelle wir stehen, die oberen Weichsellande, die jetzt unter Rußlands Scepter stehen, ihm zu¬ fallen sollten. Mir scheint, daß hiermit der Punkt berührt ist, welcher die Stelle andeutet, in der Preußens Politik mit derjenigen der Westmächte in Betreff der Kriegs¬ frage sich einigen und eine Allianz zu Stande gebracht werden konnte. Ein Krieg, welcher dem Staate Friedrichs des Große» im Osten die unentbehrlichen Er¬ gänzungen hinzufügte, sein Stromsystem vervollständigte, nicht nur das ihm zurück¬ gäbe, was vormals sein eigen gewesen, sondern seine Grenzen noch darüber hinaus ausdehnte, — ein solcher Krieg würde eine neue Aera für Preußen begründen, es dem Umfange nach zu dem machen, was es vordem nur in Ansehung seiner Militärkräfte gewesen und außerdem eine große Frage zur Lösung bringen: ich meine die endliche Feststellung des Geschicks von Polen. Kaum bezweifelt noch jemand, daß eine Wiederherstellung des polnischen Staates zu den politischen Unmöglichkeiten gehört. Aber man wird, auch wenn man allen Hoffnungen auf eine Neugestaltung der alten Republik entsagt hat, darum nicht minder das Geschick eines Volkes bedauern, dessen größerer Theil hente in den Klauen des russischen Despotismus liegt und infolge dessen außer Stande ist, Antheil an der großen Culturbewegung zu nehmen, welche im Westen vor sich geht. Ich weiß sehr wohl, welcher heftige Widerwille in den slawischen Völkern gegen das germanische Element vorherrscht, und daß eine Einverleibung Polens, ganz Polens in den preußischen Staat, namentlich unter der sarmatischen "Aristokratie nicht eben freudig begrüßt werden würde. Dagegen bedarf es kaum eines nur oberflächlichen Beschauers der Zustände, in welchen sich die polnische Bevölkerung auf preußischem Gebiet, im Gegensatz zu der ans russischem, befindet, um die Größe des reellen Gewinns der letzteren bei einem derartigen Wechsel zu ahnen. Eine solche Einverleibung Polens in Preußen geschähe aber ganz im In¬ teresse der westlichen Staaten. Für immer wäre damit nicht nnr die Möglichkeit einer preußisch-russischen Allianz gebannt, sondern der Zarenstaat wäre anch der-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/142>, abgerufen am 23.07.2024.