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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Commissionsantrag von der gesammten Kammer mit Ausnahme der specifisch rus¬
sischen Partei angenommen, so war das ein Erfolg, denn es erklärte der Krone,
nach welcher Seite hin anch die conservativen Ueberzeugungen sich neigten; ge¬
wann er aber nnr die Schwerinsche Majorität, so war er vollkommen werthlos,
denn seine rechtliche Wirkung blieb null mit nichtig, und eine Information für
die Krone war er auch nicht, da diese bereits vollständig darüber unterrichtet ist,
was die Opposition in dieser Frage wünscht.

Nun wurde die Lage der Dinge am Tage der Entscheidung durch die Er¬
klärung des Ministerpräsidenten, in Wien sei ein neues Protokoll von den Ab¬
geordneten der vier Mächte unterzeichnet, allerdings einigermaßen geändert, aber
nnr insofern das Gemüth derjenigen, die sich vor jedem entscheidenden Schritte
scheuen, dadurch bestimmt wurde, sich für den Augenblick durch eiuen raschen Rausch
der Illusion über ihre eigne Unschlüssigkeit zu entschuldigen. An den Thatsachen
wurde dadurch nichts geändert, so lange man nicht wußte, was jenes Protokoll
enthielt und wie weit sich Preußen dadurch gebunden hatte.

Es blieb also der Opposition, die auch für das Commissionsgutachten nnr eine
geringe Majorität voraussehen konnte-, nichts Anderes übrig, als sich einmüthig
dem Vinckeschen Antrag anzuschließen. Nun besteht allerdings der bei weitem
größere Theil ans Männern, deren schönes und gerechtes Pietätsgefühl gegen die
Krone, deren Wunsch, nie auch nur in den leisesten Conflict mit dem Königthum
zu kommen, durch kein starkes und durchgearbeitetes Gefühl ihrer eignen Pflicht
modificirt wird. Ein preußisches Gericht, ja unter Umständen selbst ein preußi¬
sches Regieruugscvllegium würde nicht den geringsten Anstand nehmen, innerhalb
des Kreises seiner Befugnisse eine selbstständige Entscheidung zu treffen, auch wenn
ihm anderseitige Wünsche von Seiten des Hofes angedeutet wären. Allein un-.
fere parlamentarische Opposition hat es sich noch nicht völlig klar gemacht, daß
sie gleichfalls ein Amt führt, welches mit der schwersten Verantwortlichkeit ver¬
bunden ist. Ein Ausdruck dieser Gemüthsstimmung war das Amendement Auers-
wald -- ein Name, an den sich die Erinnerung vieler unglückseligen Amendements
knüpft -- es war in seiner Form incorrecter als selbst das Commissionsgut¬
achten. Der Commissionsantrag hatte die Anleihe bewilligt, "in Erwägung",
daß die bisherige Politik Preußens, wenn man sie richtig auffaßte, eine ange-
messene weitere Haltung voraussehn ließ; diese "Erwägung" war eine freilich
sehr abgeschwächte und versteckte Bedingung. Nun erklärte der Minister¬
präsident, jede Bedingung als eine Ablehnung betrachten zu müssen; Herr von
Auerswald ließ also die "Erwägung" aus, und gab so erstens seine Bewilli¬
gung, zweitens ein garnicht provocirtes Lob der Mantenffelschen Politik, woraus
der Minister ganz folgerichtig bemerkte, er sei zwar mit diesem Lobe sehr zufrieden,
er halte es aber für überflüssig, da in der einfachen Bewilligung schon dasselbe


Grenjl'oder, II, ->8S-i', -15

Commissionsantrag von der gesammten Kammer mit Ausnahme der specifisch rus¬
sischen Partei angenommen, so war das ein Erfolg, denn es erklärte der Krone,
nach welcher Seite hin anch die conservativen Ueberzeugungen sich neigten; ge¬
wann er aber nnr die Schwerinsche Majorität, so war er vollkommen werthlos,
denn seine rechtliche Wirkung blieb null mit nichtig, und eine Information für
die Krone war er auch nicht, da diese bereits vollständig darüber unterrichtet ist,
was die Opposition in dieser Frage wünscht.

Nun wurde die Lage der Dinge am Tage der Entscheidung durch die Er¬
klärung des Ministerpräsidenten, in Wien sei ein neues Protokoll von den Ab¬
geordneten der vier Mächte unterzeichnet, allerdings einigermaßen geändert, aber
nnr insofern das Gemüth derjenigen, die sich vor jedem entscheidenden Schritte
scheuen, dadurch bestimmt wurde, sich für den Augenblick durch eiuen raschen Rausch
der Illusion über ihre eigne Unschlüssigkeit zu entschuldigen. An den Thatsachen
wurde dadurch nichts geändert, so lange man nicht wußte, was jenes Protokoll
enthielt und wie weit sich Preußen dadurch gebunden hatte.

Es blieb also der Opposition, die auch für das Commissionsgutachten nnr eine
geringe Majorität voraussehen konnte-, nichts Anderes übrig, als sich einmüthig
dem Vinckeschen Antrag anzuschließen. Nun besteht allerdings der bei weitem
größere Theil ans Männern, deren schönes und gerechtes Pietätsgefühl gegen die
Krone, deren Wunsch, nie auch nur in den leisesten Conflict mit dem Königthum
zu kommen, durch kein starkes und durchgearbeitetes Gefühl ihrer eignen Pflicht
modificirt wird. Ein preußisches Gericht, ja unter Umständen selbst ein preußi¬
sches Regieruugscvllegium würde nicht den geringsten Anstand nehmen, innerhalb
des Kreises seiner Befugnisse eine selbstständige Entscheidung zu treffen, auch wenn
ihm anderseitige Wünsche von Seiten des Hofes angedeutet wären. Allein un-.
fere parlamentarische Opposition hat es sich noch nicht völlig klar gemacht, daß
sie gleichfalls ein Amt führt, welches mit der schwersten Verantwortlichkeit ver¬
bunden ist. Ein Ausdruck dieser Gemüthsstimmung war das Amendement Auers-
wald — ein Name, an den sich die Erinnerung vieler unglückseligen Amendements
knüpft — es war in seiner Form incorrecter als selbst das Commissionsgut¬
achten. Der Commissionsantrag hatte die Anleihe bewilligt, „in Erwägung",
daß die bisherige Politik Preußens, wenn man sie richtig auffaßte, eine ange-
messene weitere Haltung voraussehn ließ; diese „Erwägung" war eine freilich
sehr abgeschwächte und versteckte Bedingung. Nun erklärte der Minister¬
präsident, jede Bedingung als eine Ablehnung betrachten zu müssen; Herr von
Auerswald ließ also die „Erwägung" aus, und gab so erstens seine Bewilli¬
gung, zweitens ein garnicht provocirtes Lob der Mantenffelschen Politik, woraus
der Minister ganz folgerichtig bemerkte, er sei zwar mit diesem Lobe sehr zufrieden,
er halte es aber für überflüssig, da in der einfachen Bewilligung schon dasselbe


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[0121] Commissionsantrag von der gesammten Kammer mit Ausnahme der specifisch rus¬ sischen Partei angenommen, so war das ein Erfolg, denn es erklärte der Krone, nach welcher Seite hin anch die conservativen Ueberzeugungen sich neigten; ge¬ wann er aber nnr die Schwerinsche Majorität, so war er vollkommen werthlos, denn seine rechtliche Wirkung blieb null mit nichtig, und eine Information für die Krone war er auch nicht, da diese bereits vollständig darüber unterrichtet ist, was die Opposition in dieser Frage wünscht. Nun wurde die Lage der Dinge am Tage der Entscheidung durch die Er¬ klärung des Ministerpräsidenten, in Wien sei ein neues Protokoll von den Ab¬ geordneten der vier Mächte unterzeichnet, allerdings einigermaßen geändert, aber nnr insofern das Gemüth derjenigen, die sich vor jedem entscheidenden Schritte scheuen, dadurch bestimmt wurde, sich für den Augenblick durch eiuen raschen Rausch der Illusion über ihre eigne Unschlüssigkeit zu entschuldigen. An den Thatsachen wurde dadurch nichts geändert, so lange man nicht wußte, was jenes Protokoll enthielt und wie weit sich Preußen dadurch gebunden hatte. Es blieb also der Opposition, die auch für das Commissionsgutachten nnr eine geringe Majorität voraussehen konnte-, nichts Anderes übrig, als sich einmüthig dem Vinckeschen Antrag anzuschließen. Nun besteht allerdings der bei weitem größere Theil ans Männern, deren schönes und gerechtes Pietätsgefühl gegen die Krone, deren Wunsch, nie auch nur in den leisesten Conflict mit dem Königthum zu kommen, durch kein starkes und durchgearbeitetes Gefühl ihrer eignen Pflicht modificirt wird. Ein preußisches Gericht, ja unter Umständen selbst ein preußi¬ sches Regieruugscvllegium würde nicht den geringsten Anstand nehmen, innerhalb des Kreises seiner Befugnisse eine selbstständige Entscheidung zu treffen, auch wenn ihm anderseitige Wünsche von Seiten des Hofes angedeutet wären. Allein un-. fere parlamentarische Opposition hat es sich noch nicht völlig klar gemacht, daß sie gleichfalls ein Amt führt, welches mit der schwersten Verantwortlichkeit ver¬ bunden ist. Ein Ausdruck dieser Gemüthsstimmung war das Amendement Auers- wald — ein Name, an den sich die Erinnerung vieler unglückseligen Amendements knüpft — es war in seiner Form incorrecter als selbst das Commissionsgut¬ achten. Der Commissionsantrag hatte die Anleihe bewilligt, „in Erwägung", daß die bisherige Politik Preußens, wenn man sie richtig auffaßte, eine ange- messene weitere Haltung voraussehn ließ; diese „Erwägung" war eine freilich sehr abgeschwächte und versteckte Bedingung. Nun erklärte der Minister¬ präsident, jede Bedingung als eine Ablehnung betrachten zu müssen; Herr von Auerswald ließ also die „Erwägung" aus, und gab so erstens seine Bewilli¬ gung, zweitens ein garnicht provocirtes Lob der Mantenffelschen Politik, woraus der Minister ganz folgerichtig bemerkte, er sei zwar mit diesem Lobe sehr zufrieden, er halte es aber für überflüssig, da in der einfachen Bewilligung schon dasselbe Grenjl'oder, II, ->8S-i', -15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/120>, abgerufen am 23.07.2024.