Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lraotion cku xubUe) fest überzeugt von der Existenz des Gral, seiner Ritter
und seiner himmlischen Freuden wären, so läßt sich freilich in unserer Zeit des
Tischrückens und Geisterklopfens das erecto cMg. absuräum "Le nicht ganz
leugnen, allein eine ganze Partei Don Quirotes des heiligen Gral -- nein,
das kann man selbst Wagners Musik, nicht einmal seinen Verehrern zutrauen.

Wagner, der den Charakter und die Situation des Lohengrin "als den
Typus deö eigentlich einzigen tragischen Stoffes, überhaupt der Tragik des
Lebensclementes der modernen Gegenwart" erkennt, hat auch offenbar die Noth¬
wendigkeit eingesehen, diesen Stoff in einer dem modernen Bewußtsein entsprechen¬
den Weise zu motiviren. Lohengrin ist ihm das Symbol des Menschen, der
sich aus der Verderbtheit der modernen Welt gerettet hat aus die Höhe des
Reinen, Keuschen, in ein klares heiliges Aetherelement, der unter den wollüstigen
Schauern und in der Verzückung seiner seligen Einsamkeit eine neue unsäglich
bewältigende Sehnsucht aus der Höhe nach der Tiefe, aus dem sonnigsten
Glänze der keuschester Reine nach dem trauten Schatten der menschlichsten
Liebeöumarmung empfindet. Lohengrin sucht das Weib, das an ihn glaubt,
nicht fragt wer er sei und woher er komme, sondern ihn unbedingt liebt, wie
er ist, weil er so ist, wie er ihr erscheint. Er muß deshalb sein erhöhtes
Wesen verbergen, weil darin die einzige Gewähr liegt, daß er nicht um dessen-
willen bewundert und angebetet, sondern geliebt und durch die Liebe verstanden
werde. Er will mit seinen höchsten Sinnen, mit seinem wissendsten Bewußt¬
sein nichts Anderes sein und werden als voller, ganzer, warm empfindender und
empfundener Mensch, also überhaupt Mensch, nicht Gott d. h. absoluter Kunst-,
ter. So ersehnt er sich das Weib, d. h. das menschliche Herz, und steigt herab
aus seiner wonnigsten Einsamkeit, als er den Hilferuf dieses Weibes, dieses
Herzens, mitten aus der Menschheit vernahm. Aber an ihm haftet unab-
streifbar der verräterische Heiligenschein der erhöhten Natur; er kann nicht
anders als wunderbar erscheinen; das Staunen der Geldeinheit, das Geifern
des Neides wirft seine Schatten bis in das Herz des liebenden Weibes, Zweifel
und Eifersucht bezeugen ihm, daß er nicht verstanden, sondern nur angebetet
wurde, und entreißen ihm das Gestandniß seiner Göttlichkeit, mit dem er ver¬
nichtet in seine Einsamkeit zurückkehrt.

Je weiter diese. Auffassung der Sage von dem Sinne abweicht, der als
der ursprüngliche gedacht werden kann, um so sicherer bezeugt sie die von Wagner
empfundene Nothwendigkeit, dem Geist der alten Sage einen neuen Geist zu
verleihen. Indessen gestehe ich, daß mir in dieser Auseinandersetzung -- die
etwas abgekürzt, übrigens mit Wagners eigenen Worten gegeben ist -- nicht
alles klar ist. So muß ich bekennen, nicht mit Sicherheit zu verstehen, ob
Gott der absolute Künstler ist oder der Mensch, und ob Lohengrin absoluter
Künstler werden will oder nicht; gegen beides hätte ich meine Bedenken. Aber


lraotion cku xubUe) fest überzeugt von der Existenz des Gral, seiner Ritter
und seiner himmlischen Freuden wären, so läßt sich freilich in unserer Zeit des
Tischrückens und Geisterklopfens das erecto cMg. absuräum «Le nicht ganz
leugnen, allein eine ganze Partei Don Quirotes des heiligen Gral — nein,
das kann man selbst Wagners Musik, nicht einmal seinen Verehrern zutrauen.

Wagner, der den Charakter und die Situation des Lohengrin „als den
Typus deö eigentlich einzigen tragischen Stoffes, überhaupt der Tragik des
Lebensclementes der modernen Gegenwart" erkennt, hat auch offenbar die Noth¬
wendigkeit eingesehen, diesen Stoff in einer dem modernen Bewußtsein entsprechen¬
den Weise zu motiviren. Lohengrin ist ihm das Symbol des Menschen, der
sich aus der Verderbtheit der modernen Welt gerettet hat aus die Höhe des
Reinen, Keuschen, in ein klares heiliges Aetherelement, der unter den wollüstigen
Schauern und in der Verzückung seiner seligen Einsamkeit eine neue unsäglich
bewältigende Sehnsucht aus der Höhe nach der Tiefe, aus dem sonnigsten
Glänze der keuschester Reine nach dem trauten Schatten der menschlichsten
Liebeöumarmung empfindet. Lohengrin sucht das Weib, das an ihn glaubt,
nicht fragt wer er sei und woher er komme, sondern ihn unbedingt liebt, wie
er ist, weil er so ist, wie er ihr erscheint. Er muß deshalb sein erhöhtes
Wesen verbergen, weil darin die einzige Gewähr liegt, daß er nicht um dessen-
willen bewundert und angebetet, sondern geliebt und durch die Liebe verstanden
werde. Er will mit seinen höchsten Sinnen, mit seinem wissendsten Bewußt¬
sein nichts Anderes sein und werden als voller, ganzer, warm empfindender und
empfundener Mensch, also überhaupt Mensch, nicht Gott d. h. absoluter Kunst-,
ter. So ersehnt er sich das Weib, d. h. das menschliche Herz, und steigt herab
aus seiner wonnigsten Einsamkeit, als er den Hilferuf dieses Weibes, dieses
Herzens, mitten aus der Menschheit vernahm. Aber an ihm haftet unab-
streifbar der verräterische Heiligenschein der erhöhten Natur; er kann nicht
anders als wunderbar erscheinen; das Staunen der Geldeinheit, das Geifern
des Neides wirft seine Schatten bis in das Herz des liebenden Weibes, Zweifel
und Eifersucht bezeugen ihm, daß er nicht verstanden, sondern nur angebetet
wurde, und entreißen ihm das Gestandniß seiner Göttlichkeit, mit dem er ver¬
nichtet in seine Einsamkeit zurückkehrt.

Je weiter diese. Auffassung der Sage von dem Sinne abweicht, der als
der ursprüngliche gedacht werden kann, um so sicherer bezeugt sie die von Wagner
empfundene Nothwendigkeit, dem Geist der alten Sage einen neuen Geist zu
verleihen. Indessen gestehe ich, daß mir in dieser Auseinandersetzung — die
etwas abgekürzt, übrigens mit Wagners eigenen Worten gegeben ist — nicht
alles klar ist. So muß ich bekennen, nicht mit Sicherheit zu verstehen, ob
Gott der absolute Künstler ist oder der Mensch, und ob Lohengrin absoluter
Künstler werden will oder nicht; gegen beides hätte ich meine Bedenken. Aber


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97338"/>
          <p xml:id="ID_211" prev="#ID_210"> lraotion cku xubUe) fest überzeugt von der Existenz des Gral, seiner Ritter<lb/>
und seiner himmlischen Freuden wären, so läßt sich freilich in unserer Zeit des<lb/>
Tischrückens und Geisterklopfens das erecto cMg. absuräum «Le nicht ganz<lb/>
leugnen, allein eine ganze Partei Don Quirotes des heiligen Gral &#x2014; nein,<lb/>
das kann man selbst Wagners Musik, nicht einmal seinen Verehrern zutrauen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_212"> Wagner, der den Charakter und die Situation des Lohengrin &#x201E;als den<lb/>
Typus deö eigentlich einzigen tragischen Stoffes, überhaupt der Tragik des<lb/>
Lebensclementes der modernen Gegenwart" erkennt, hat auch offenbar die Noth¬<lb/>
wendigkeit eingesehen, diesen Stoff in einer dem modernen Bewußtsein entsprechen¬<lb/>
den Weise zu motiviren. Lohengrin ist ihm das Symbol des Menschen, der<lb/>
sich aus der Verderbtheit der modernen Welt gerettet hat aus die Höhe des<lb/>
Reinen, Keuschen, in ein klares heiliges Aetherelement, der unter den wollüstigen<lb/>
Schauern und in der Verzückung seiner seligen Einsamkeit eine neue unsäglich<lb/>
bewältigende Sehnsucht aus der Höhe nach der Tiefe, aus dem sonnigsten<lb/>
Glänze der keuschester Reine nach dem trauten Schatten der menschlichsten<lb/>
Liebeöumarmung empfindet. Lohengrin sucht das Weib, das an ihn glaubt,<lb/>
nicht fragt wer er sei und woher er komme, sondern ihn unbedingt liebt, wie<lb/>
er ist, weil er so ist, wie er ihr erscheint. Er muß deshalb sein erhöhtes<lb/>
Wesen verbergen, weil darin die einzige Gewähr liegt, daß er nicht um dessen-<lb/>
willen bewundert und angebetet, sondern geliebt und durch die Liebe verstanden<lb/>
werde. Er will mit seinen höchsten Sinnen, mit seinem wissendsten Bewußt¬<lb/>
sein nichts Anderes sein und werden als voller, ganzer, warm empfindender und<lb/>
empfundener Mensch, also überhaupt Mensch, nicht Gott d. h. absoluter Kunst-,<lb/>
ter. So ersehnt er sich das Weib, d. h. das menschliche Herz, und steigt herab<lb/>
aus seiner wonnigsten Einsamkeit, als er den Hilferuf dieses Weibes, dieses<lb/>
Herzens, mitten aus der Menschheit vernahm. Aber an ihm haftet unab-<lb/>
streifbar der verräterische Heiligenschein der erhöhten Natur; er kann nicht<lb/>
anders als wunderbar erscheinen; das Staunen der Geldeinheit, das Geifern<lb/>
des Neides wirft seine Schatten bis in das Herz des liebenden Weibes, Zweifel<lb/>
und Eifersucht bezeugen ihm, daß er nicht verstanden, sondern nur angebetet<lb/>
wurde, und entreißen ihm das Gestandniß seiner Göttlichkeit, mit dem er ver¬<lb/>
nichtet in seine Einsamkeit zurückkehrt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_213" next="#ID_214"> Je weiter diese. Auffassung der Sage von dem Sinne abweicht, der als<lb/>
der ursprüngliche gedacht werden kann, um so sicherer bezeugt sie die von Wagner<lb/>
empfundene Nothwendigkeit, dem Geist der alten Sage einen neuen Geist zu<lb/>
verleihen. Indessen gestehe ich, daß mir in dieser Auseinandersetzung &#x2014; die<lb/>
etwas abgekürzt, übrigens mit Wagners eigenen Worten gegeben ist &#x2014; nicht<lb/>
alles klar ist. So muß ich bekennen, nicht mit Sicherheit zu verstehen, ob<lb/>
Gott der absolute Künstler ist oder der Mensch, und ob Lohengrin absoluter<lb/>
Künstler werden will oder nicht; gegen beides hätte ich meine Bedenken. Aber</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0092] lraotion cku xubUe) fest überzeugt von der Existenz des Gral, seiner Ritter und seiner himmlischen Freuden wären, so läßt sich freilich in unserer Zeit des Tischrückens und Geisterklopfens das erecto cMg. absuräum «Le nicht ganz leugnen, allein eine ganze Partei Don Quirotes des heiligen Gral — nein, das kann man selbst Wagners Musik, nicht einmal seinen Verehrern zutrauen. Wagner, der den Charakter und die Situation des Lohengrin „als den Typus deö eigentlich einzigen tragischen Stoffes, überhaupt der Tragik des Lebensclementes der modernen Gegenwart" erkennt, hat auch offenbar die Noth¬ wendigkeit eingesehen, diesen Stoff in einer dem modernen Bewußtsein entsprechen¬ den Weise zu motiviren. Lohengrin ist ihm das Symbol des Menschen, der sich aus der Verderbtheit der modernen Welt gerettet hat aus die Höhe des Reinen, Keuschen, in ein klares heiliges Aetherelement, der unter den wollüstigen Schauern und in der Verzückung seiner seligen Einsamkeit eine neue unsäglich bewältigende Sehnsucht aus der Höhe nach der Tiefe, aus dem sonnigsten Glänze der keuschester Reine nach dem trauten Schatten der menschlichsten Liebeöumarmung empfindet. Lohengrin sucht das Weib, das an ihn glaubt, nicht fragt wer er sei und woher er komme, sondern ihn unbedingt liebt, wie er ist, weil er so ist, wie er ihr erscheint. Er muß deshalb sein erhöhtes Wesen verbergen, weil darin die einzige Gewähr liegt, daß er nicht um dessen- willen bewundert und angebetet, sondern geliebt und durch die Liebe verstanden werde. Er will mit seinen höchsten Sinnen, mit seinem wissendsten Bewußt¬ sein nichts Anderes sein und werden als voller, ganzer, warm empfindender und empfundener Mensch, also überhaupt Mensch, nicht Gott d. h. absoluter Kunst-, ter. So ersehnt er sich das Weib, d. h. das menschliche Herz, und steigt herab aus seiner wonnigsten Einsamkeit, als er den Hilferuf dieses Weibes, dieses Herzens, mitten aus der Menschheit vernahm. Aber an ihm haftet unab- streifbar der verräterische Heiligenschein der erhöhten Natur; er kann nicht anders als wunderbar erscheinen; das Staunen der Geldeinheit, das Geifern des Neides wirft seine Schatten bis in das Herz des liebenden Weibes, Zweifel und Eifersucht bezeugen ihm, daß er nicht verstanden, sondern nur angebetet wurde, und entreißen ihm das Gestandniß seiner Göttlichkeit, mit dem er ver¬ nichtet in seine Einsamkeit zurückkehrt. Je weiter diese. Auffassung der Sage von dem Sinne abweicht, der als der ursprüngliche gedacht werden kann, um so sicherer bezeugt sie die von Wagner empfundene Nothwendigkeit, dem Geist der alten Sage einen neuen Geist zu verleihen. Indessen gestehe ich, daß mir in dieser Auseinandersetzung — die etwas abgekürzt, übrigens mit Wagners eigenen Worten gegeben ist — nicht alles klar ist. So muß ich bekennen, nicht mit Sicherheit zu verstehen, ob Gott der absolute Künstler ist oder der Mensch, und ob Lohengrin absoluter Künstler werden will oder nicht; gegen beides hätte ich meine Bedenken. Aber

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/92
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/92>, abgerufen am 22.07.2024.