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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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hübsche ästhetische und literarhistorische Bemerkungen darin, die übrigens zum
Theil auch uicht neu waren, aber auch nicht einmal den Versuch, irgend eines dieser
Stücke von der technischen, künstlerischen Seite aufzufassen und seine Vorzüge dar-
zuthun. Wenn Schlegel dagegen das französische Theater, um es zu verwerfen,
und das englische, um es zu loben, sehr ausführlich behandelt hatte, so war das
nach den Arbeiten von Lessing kein so ungeheurer Gewinn, denn Lesstng hatte
dasselbe zwar nicht so vollständig, aber weit gründlicher gethan. Aber A. W. Schle¬
gel, der im Grunde der Seele sehr nüchtern und verständig war, fühlte sich hier
wol befangen, er wußte nicht recht, was er sagen sollte. Es so zu machen, wie
es in neuerer Zeit von sogenannten Philosophen geschieht, d. h. allerlei generelle
Ideen, die ihnen bei der Lectüre eines Stücks einfallen, in eine gewisse Combi¬
nation zu bringen und auf diese Art vermeintlich das Kunstwerk ins Metaphysische
zu übersetzen, dazu war er uoch immer zu unbefangen und hatte ein noch zu un¬
mittelbares Gefühl für das Poetische.

Sein Bruder Friedrich, der glücklich in den Hafen der alleinseligmachenden
Kirche eingelaufen war, kannte diese Bedenken nicht. In seiner Geschichte der
Literatur steht Calderon hoch über Shakespeare, er ist der ganz göttliche Dichter,
von dem nnr bemerkt wird, er sei vielleicht zu göttlich, zu wenig menschlich, wäh¬
rend Shakespeare als der zwar sehr talentvolle, aber ungläubige "ut skeptische
Dichter in die zweite Classe gesetzt wird. Fr. Schlegel hat wahrscheinlich Calderon
sehr wenig gelesen, sonst würde er wohl bemerkt haben, daß Calderon neben
den religiöse" Stücken, in denen er die vorgeschriebene hoffähige Bigotterie in
ihrem allerwildesten Ausdruck verherrlichte, auch noch andere Stücke geschrieben
hat, in denen er dieselben Gegenstände mit einer höchst bedenklichen Frivolität
behandelt, daß sein Talent und seine Phantasie sich an den heidnischen, mytho¬
logischen Stoffen ebenso glänzend entfaltet, als an den christlichen.

Sehr merkwürdig ist es, wie Tieck mit Calderon brach. In den ersten
Jahren dieser Geschichte hatte er es an Sonetten zur Verherrlichung Calderons
ebenso wenig fehlen lassen, als die Gebrüder Schlegel. Dagegen ist in seinen
kritischen Schriften ans der Dresdner Periode die Polemik gegen Calderon und
seinen Einfluß in Deutschland sast der durchgehende Grundgedanke. Wenn wir
Tiecks poetisches Wesen ins Auge fassen, werden wir das auch sehr wohl begreifen.
Tieck kam zwar in vielen einzelnen Punkten in seinen Gedanken und Empfin¬
dungen mit den Doctrinärs seiner Schule überein, in andern unterwarf er sich
ihrem Einfluß, aber im Grunde feines Wesens war er ihnen entgegengesetzt. Er
war ein geborner Naturalist und Realist, während jene nicht blos aus Doctrin,
sondern auch aus Natur das absolute Kuustprincip verfochten, und was damit
unmittelbar zusammenhängt, er hatte eine entschiedene Neigung für das deutsche,
oder weiter ausgedrückt, sür das germanische Wesen. Es war nicht blos die Schick¬
salsidee, nicht blos der Katholicismus, was ihm Calderon bedenklich machte,


hübsche ästhetische und literarhistorische Bemerkungen darin, die übrigens zum
Theil auch uicht neu waren, aber auch nicht einmal den Versuch, irgend eines dieser
Stücke von der technischen, künstlerischen Seite aufzufassen und seine Vorzüge dar-
zuthun. Wenn Schlegel dagegen das französische Theater, um es zu verwerfen,
und das englische, um es zu loben, sehr ausführlich behandelt hatte, so war das
nach den Arbeiten von Lessing kein so ungeheurer Gewinn, denn Lesstng hatte
dasselbe zwar nicht so vollständig, aber weit gründlicher gethan. Aber A. W. Schle¬
gel, der im Grunde der Seele sehr nüchtern und verständig war, fühlte sich hier
wol befangen, er wußte nicht recht, was er sagen sollte. Es so zu machen, wie
es in neuerer Zeit von sogenannten Philosophen geschieht, d. h. allerlei generelle
Ideen, die ihnen bei der Lectüre eines Stücks einfallen, in eine gewisse Combi¬
nation zu bringen und auf diese Art vermeintlich das Kunstwerk ins Metaphysische
zu übersetzen, dazu war er uoch immer zu unbefangen und hatte ein noch zu un¬
mittelbares Gefühl für das Poetische.

Sein Bruder Friedrich, der glücklich in den Hafen der alleinseligmachenden
Kirche eingelaufen war, kannte diese Bedenken nicht. In seiner Geschichte der
Literatur steht Calderon hoch über Shakespeare, er ist der ganz göttliche Dichter,
von dem nnr bemerkt wird, er sei vielleicht zu göttlich, zu wenig menschlich, wäh¬
rend Shakespeare als der zwar sehr talentvolle, aber ungläubige »ut skeptische
Dichter in die zweite Classe gesetzt wird. Fr. Schlegel hat wahrscheinlich Calderon
sehr wenig gelesen, sonst würde er wohl bemerkt haben, daß Calderon neben
den religiöse« Stücken, in denen er die vorgeschriebene hoffähige Bigotterie in
ihrem allerwildesten Ausdruck verherrlichte, auch noch andere Stücke geschrieben
hat, in denen er dieselben Gegenstände mit einer höchst bedenklichen Frivolität
behandelt, daß sein Talent und seine Phantasie sich an den heidnischen, mytho¬
logischen Stoffen ebenso glänzend entfaltet, als an den christlichen.

Sehr merkwürdig ist es, wie Tieck mit Calderon brach. In den ersten
Jahren dieser Geschichte hatte er es an Sonetten zur Verherrlichung Calderons
ebenso wenig fehlen lassen, als die Gebrüder Schlegel. Dagegen ist in seinen
kritischen Schriften ans der Dresdner Periode die Polemik gegen Calderon und
seinen Einfluß in Deutschland sast der durchgehende Grundgedanke. Wenn wir
Tiecks poetisches Wesen ins Auge fassen, werden wir das auch sehr wohl begreifen.
Tieck kam zwar in vielen einzelnen Punkten in seinen Gedanken und Empfin¬
dungen mit den Doctrinärs seiner Schule überein, in andern unterwarf er sich
ihrem Einfluß, aber im Grunde feines Wesens war er ihnen entgegengesetzt. Er
war ein geborner Naturalist und Realist, während jene nicht blos aus Doctrin,
sondern auch aus Natur das absolute Kuustprincip verfochten, und was damit
unmittelbar zusammenhängt, er hatte eine entschiedene Neigung für das deutsche,
oder weiter ausgedrückt, sür das germanische Wesen. Es war nicht blos die Schick¬
salsidee, nicht blos der Katholicismus, was ihm Calderon bedenklich machte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/52>, abgerufen am 22.07.2024.