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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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und Oestreich, um von der Türkei, Sardinien, Belgien n. s. w. gar nicht zu
reden, an eine Niederlage der verbündeten Mächte nicht zu denken ist, dafür ist
es wol nicht erst'nöthig, Beweismittel anzuführen.

, Aber grade Preußen hat an dem Kriege gegen Rußland das nächste In¬
teresse. Wenn sich Preußen als europäische Großmacht, ja nur als selbstständiger
Staat behaupten wollte, so mußte es auf die Länge unvermeidlich zu einem Kriege
mit Rußland kommen. Die politische Conjunctur, die eS Jahrelang in seinen
schweren, nothvollen Anstrengungen herbeiwünschen mußte, wird ihm unerwartet
von freien Stücken geboten, und es wäre eine ans Unglaubliche grenzende Ver¬
blendung, wenn es diese Gunst des Augenblicks nicht freudig benutzen wollte.

Lord Rüssel hat mit einer uuter Staatsmännern allerdings ungewöhnlichen
Freimüthigkeit und Bestimmtheit ausgesprochen, daß Preußen bis jetzt in größerer
Abhängigkeit von Rußland gestanden habe, als es zu wünschen wäre. Es ist
von ofstciöser Seite zwar dieser Behauptung mit der angemessenen sittlichen Ent¬
rüstung widersprochen worden, allein eigentlich hat Lord Rüssel nichts Neues er¬
zählt. Den letzten Schatten eines Zweifels mußten die letzten Ereignisse weg¬
nehmen. Daß sich in Preußen in den höchsten Cirkeln eine Partei findet, die,
weil sie in dem Kaiser von Rußland das Haupt und die Stütze der Conservativen
sieht, die Interessen ihres eignen Staates den russische" Interessen nachsetzt, daß
die Entwürfe der Armeemobilistrnng, daß selbst die preußischen Gesandtschaftö-
bcrichte an Rußland verrathen werden tonnen, das dentet ein Verhältniß an, für
welches der Ausdruck Abhängigkeit noch ein viel zu glimpflicher ist. Allein diese
Abhängigkeit beruht noch auf andern Gründen, als ans der Existenz einer fana¬
tischen Partei, als auf den alten Traditionen und verwandtschaftlichen Verbin-
dungen, sie beruht auf der gegenseitigen Lage der beiden Staaten. Es
ist nicht die Persönlichkeit des Kaisers Nikolaus, die den russischen Staat
zu der doppelten Politik veranlaßt, Preußen unter dem Vorgebe" der ge¬
meinsamen conservativen Interessen i>n seinen Dienst zu ziehen und Preußens
Kraft für alle größeren Unternehmungen zu lähmen. Die Vernichtung der
ostpreußischen Industrie und des ostpreußischen Handels dnrch den strengen
Abschluß der russischen Grenzen, die Unterstützung Dänemarks gegen Preußen,
die Warschauer Konferenz, auf die Dllniütz mit Nothwendigkeit folgte, das alles
sind nicht Acte einer willkürlichen Politik, sie gehören zum Wesen des russischen
Staats, der einerseits in Deutschland ebenso herrsche" muß, wie in der Türkei,
und der andrerseits die deutsche Cultur so fern als möglich vou sich zu halten
hat. Es ist das unabweisbare Schicksal des russische" Reichs wie ehemals des
römische", dnrch allmälige Abschwächung aller Nachbarstaaten fortwährend zu
wachse". Die Bildung eines unabhängigen deutschen Staats wäre der Todes¬
stoß für seine Politik, und es weiß sehr wohl, daß uur Preußen im Stande ist,
einen solchen Staat ins Lebe" zu rufen. Darum muß ihm alles tara" gelegen


und Oestreich, um von der Türkei, Sardinien, Belgien n. s. w. gar nicht zu
reden, an eine Niederlage der verbündeten Mächte nicht zu denken ist, dafür ist
es wol nicht erst'nöthig, Beweismittel anzuführen.

, Aber grade Preußen hat an dem Kriege gegen Rußland das nächste In¬
teresse. Wenn sich Preußen als europäische Großmacht, ja nur als selbstständiger
Staat behaupten wollte, so mußte es auf die Länge unvermeidlich zu einem Kriege
mit Rußland kommen. Die politische Conjunctur, die eS Jahrelang in seinen
schweren, nothvollen Anstrengungen herbeiwünschen mußte, wird ihm unerwartet
von freien Stücken geboten, und es wäre eine ans Unglaubliche grenzende Ver¬
blendung, wenn es diese Gunst des Augenblicks nicht freudig benutzen wollte.

Lord Rüssel hat mit einer uuter Staatsmännern allerdings ungewöhnlichen
Freimüthigkeit und Bestimmtheit ausgesprochen, daß Preußen bis jetzt in größerer
Abhängigkeit von Rußland gestanden habe, als es zu wünschen wäre. Es ist
von ofstciöser Seite zwar dieser Behauptung mit der angemessenen sittlichen Ent¬
rüstung widersprochen worden, allein eigentlich hat Lord Rüssel nichts Neues er¬
zählt. Den letzten Schatten eines Zweifels mußten die letzten Ereignisse weg¬
nehmen. Daß sich in Preußen in den höchsten Cirkeln eine Partei findet, die,
weil sie in dem Kaiser von Rußland das Haupt und die Stütze der Conservativen
sieht, die Interessen ihres eignen Staates den russische» Interessen nachsetzt, daß
die Entwürfe der Armeemobilistrnng, daß selbst die preußischen Gesandtschaftö-
bcrichte an Rußland verrathen werden tonnen, das dentet ein Verhältniß an, für
welches der Ausdruck Abhängigkeit noch ein viel zu glimpflicher ist. Allein diese
Abhängigkeit beruht noch auf andern Gründen, als ans der Existenz einer fana¬
tischen Partei, als auf den alten Traditionen und verwandtschaftlichen Verbin-
dungen, sie beruht auf der gegenseitigen Lage der beiden Staaten. Es
ist nicht die Persönlichkeit des Kaisers Nikolaus, die den russischen Staat
zu der doppelten Politik veranlaßt, Preußen unter dem Vorgebe» der ge¬
meinsamen conservativen Interessen i>n seinen Dienst zu ziehen und Preußens
Kraft für alle größeren Unternehmungen zu lähmen. Die Vernichtung der
ostpreußischen Industrie und des ostpreußischen Handels dnrch den strengen
Abschluß der russischen Grenzen, die Unterstützung Dänemarks gegen Preußen,
die Warschauer Konferenz, auf die Dllniütz mit Nothwendigkeit folgte, das alles
sind nicht Acte einer willkürlichen Politik, sie gehören zum Wesen des russischen
Staats, der einerseits in Deutschland ebenso herrsche» muß, wie in der Türkei,
und der andrerseits die deutsche Cultur so fern als möglich vou sich zu halten
hat. Es ist das unabweisbare Schicksal des russische» Reichs wie ehemals des
römische», dnrch allmälige Abschwächung aller Nachbarstaaten fortwährend zu
wachse». Die Bildung eines unabhängigen deutschen Staats wäre der Todes¬
stoß für seine Politik, und es weiß sehr wohl, daß uur Preußen im Stande ist,
einen solchen Staat ins Lebe» zu rufen. Darum muß ihm alles tara» gelegen


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[0510] und Oestreich, um von der Türkei, Sardinien, Belgien n. s. w. gar nicht zu reden, an eine Niederlage der verbündeten Mächte nicht zu denken ist, dafür ist es wol nicht erst'nöthig, Beweismittel anzuführen. , Aber grade Preußen hat an dem Kriege gegen Rußland das nächste In¬ teresse. Wenn sich Preußen als europäische Großmacht, ja nur als selbstständiger Staat behaupten wollte, so mußte es auf die Länge unvermeidlich zu einem Kriege mit Rußland kommen. Die politische Conjunctur, die eS Jahrelang in seinen schweren, nothvollen Anstrengungen herbeiwünschen mußte, wird ihm unerwartet von freien Stücken geboten, und es wäre eine ans Unglaubliche grenzende Ver¬ blendung, wenn es diese Gunst des Augenblicks nicht freudig benutzen wollte. Lord Rüssel hat mit einer uuter Staatsmännern allerdings ungewöhnlichen Freimüthigkeit und Bestimmtheit ausgesprochen, daß Preußen bis jetzt in größerer Abhängigkeit von Rußland gestanden habe, als es zu wünschen wäre. Es ist von ofstciöser Seite zwar dieser Behauptung mit der angemessenen sittlichen Ent¬ rüstung widersprochen worden, allein eigentlich hat Lord Rüssel nichts Neues er¬ zählt. Den letzten Schatten eines Zweifels mußten die letzten Ereignisse weg¬ nehmen. Daß sich in Preußen in den höchsten Cirkeln eine Partei findet, die, weil sie in dem Kaiser von Rußland das Haupt und die Stütze der Conservativen sieht, die Interessen ihres eignen Staates den russische» Interessen nachsetzt, daß die Entwürfe der Armeemobilistrnng, daß selbst die preußischen Gesandtschaftö- bcrichte an Rußland verrathen werden tonnen, das dentet ein Verhältniß an, für welches der Ausdruck Abhängigkeit noch ein viel zu glimpflicher ist. Allein diese Abhängigkeit beruht noch auf andern Gründen, als ans der Existenz einer fana¬ tischen Partei, als auf den alten Traditionen und verwandtschaftlichen Verbin- dungen, sie beruht auf der gegenseitigen Lage der beiden Staaten. Es ist nicht die Persönlichkeit des Kaisers Nikolaus, die den russischen Staat zu der doppelten Politik veranlaßt, Preußen unter dem Vorgebe» der ge¬ meinsamen conservativen Interessen i>n seinen Dienst zu ziehen und Preußens Kraft für alle größeren Unternehmungen zu lähmen. Die Vernichtung der ostpreußischen Industrie und des ostpreußischen Handels dnrch den strengen Abschluß der russischen Grenzen, die Unterstützung Dänemarks gegen Preußen, die Warschauer Konferenz, auf die Dllniütz mit Nothwendigkeit folgte, das alles sind nicht Acte einer willkürlichen Politik, sie gehören zum Wesen des russischen Staats, der einerseits in Deutschland ebenso herrsche» muß, wie in der Türkei, und der andrerseits die deutsche Cultur so fern als möglich vou sich zu halten hat. Es ist das unabweisbare Schicksal des russische» Reichs wie ehemals des römische», dnrch allmälige Abschwächung aller Nachbarstaaten fortwährend zu wachse». Die Bildung eines unabhängigen deutschen Staats wäre der Todes¬ stoß für seine Politik, und es weiß sehr wohl, daß uur Preußen im Stande ist, einen solchen Staat ins Lebe» zu rufen. Darum muß ihm alles tara» gelegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/510>, abgerufen am 22.07.2024.