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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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wünschte das außerordentliche Talent desselben in so schweren Zeitverhältnissen
zum Wohle des Staates wieder in Thätigkeit zu versetzen, und übertrug ihm die
Führung der auf die orientalische Frage bezüglichen Geschäfte, natürlich unter der
Direction des Ministerpräsidenten. Nicht zweifelhaft, ans welcher Seite das Recht
und Preußens Interesse lag, hat Graf Pourtales mit Glück die Aufgabe ver¬
folgt, die principielle Uebereinstimmung Preußens mit den andern bei der Wiener
Conferenz betheiligten Mächten durch den Anschluß an deren diplomatische Acte
zu bekunden. Er war sich dessen bewußt, daß, falls die Friedensverhandlungen
scheiterten, Preußen früher oder später berufen wäre, als europäische Großmacht
und Mitglied der großen Quadrupelallianz das europäische Recht mit den Waffen
zu vertheidigen. Aus seiner Ansicht über die Frage des Rechts und der In¬
teressen folgte die Ablehnung der russischen Allianz, aus derselben Ansicht und
der Erinnerung an Preußens Stellung als Großmacht folgte die Ablehnung der
Neutralitätserklärung. Als die Westmächte nach dem Scheitern der Friedens-
verhandlungen zur Activität übergingen, blieb uns für den Fall, daß unsere
thätige Mitwirkung erforderlich sein sollte, nur die Aufgabe übrig, den Moment
zu ergreifen, in dem Preußens militärisches Einschreiten den preußischen und
europäischen Interessen am meisten entsprach. Preußens actives Vorgehen würde
ganz Centraleuropa in die Kriegsbahn reißen; und ehe man diese Verantwortlich¬
keit übernahm, war vor allem vonnöthen, daß die alliirten Mächte dem euro¬
päischen Kriege ein großes Ziel gesteckt hatten: den definitiven Sturz der russischen
Präponderanz, das Zurückwerfen Rußlands in seine mittelalterliche Bedeutungs¬
losigkeit.

Diese Erkenntniß konnte möglicherweise lange auf sich warten lassen; es war
wenigstens nicht vorauszusehen, daß sie trotz des alten Aberdeen sich so schnell
siegreich ausbreiten würde, als es wirklich der Fall ist; und es lag auf der Hand,
daß die Seemächte vornämlich ihr eignes Interesse ins Auge fassen und alle
Mittel anwenden würden, Preußen sobald als möglich zu kriegerischem Auf¬
treten zu drängen; nicht bloß, weil sie dann die Hauptlast des Krieges auf die
Landmacht wälzen konnten, sondern hauptsächlich, weil sie Preußen untrennbar
in die Quadrupelallianz einfügen mußten. Dies Streben fand die stärkste Nah¬
rung in dem Mißtrauen gegen die für alle Wendepunkte geeignete Persönlichkeit
des Herrn v. Manteuffel, -- und es mußte auch in Berlin die Ueberzeugung
Platz greifen, daß Preußen die freie Wahl des Moments für seinen Uebergang
zur Activität nicht gegönnt werden würde, so lange Herr v. Manteuffel im
Amt war, -- daß also die Dimission des letztem nothwendig ans der natürlichen
Entwickelung der Situation resultiren müsse, wenn man das preußische Interesse
wirklich wahren wollte.

Es wird uns versichert, daß Herr v. Manteuffel vor der Betheiligung des
Grafen Pourtales an den Geschäften auf dem besten Wege gewesen ist, die prcn-


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wünschte das außerordentliche Talent desselben in so schweren Zeitverhältnissen
zum Wohle des Staates wieder in Thätigkeit zu versetzen, und übertrug ihm die
Führung der auf die orientalische Frage bezüglichen Geschäfte, natürlich unter der
Direction des Ministerpräsidenten. Nicht zweifelhaft, ans welcher Seite das Recht
und Preußens Interesse lag, hat Graf Pourtales mit Glück die Aufgabe ver¬
folgt, die principielle Uebereinstimmung Preußens mit den andern bei der Wiener
Conferenz betheiligten Mächten durch den Anschluß an deren diplomatische Acte
zu bekunden. Er war sich dessen bewußt, daß, falls die Friedensverhandlungen
scheiterten, Preußen früher oder später berufen wäre, als europäische Großmacht
und Mitglied der großen Quadrupelallianz das europäische Recht mit den Waffen
zu vertheidigen. Aus seiner Ansicht über die Frage des Rechts und der In¬
teressen folgte die Ablehnung der russischen Allianz, aus derselben Ansicht und
der Erinnerung an Preußens Stellung als Großmacht folgte die Ablehnung der
Neutralitätserklärung. Als die Westmächte nach dem Scheitern der Friedens-
verhandlungen zur Activität übergingen, blieb uns für den Fall, daß unsere
thätige Mitwirkung erforderlich sein sollte, nur die Aufgabe übrig, den Moment
zu ergreifen, in dem Preußens militärisches Einschreiten den preußischen und
europäischen Interessen am meisten entsprach. Preußens actives Vorgehen würde
ganz Centraleuropa in die Kriegsbahn reißen; und ehe man diese Verantwortlich¬
keit übernahm, war vor allem vonnöthen, daß die alliirten Mächte dem euro¬
päischen Kriege ein großes Ziel gesteckt hatten: den definitiven Sturz der russischen
Präponderanz, das Zurückwerfen Rußlands in seine mittelalterliche Bedeutungs¬
losigkeit.

Diese Erkenntniß konnte möglicherweise lange auf sich warten lassen; es war
wenigstens nicht vorauszusehen, daß sie trotz des alten Aberdeen sich so schnell
siegreich ausbreiten würde, als es wirklich der Fall ist; und es lag auf der Hand,
daß die Seemächte vornämlich ihr eignes Interesse ins Auge fassen und alle
Mittel anwenden würden, Preußen sobald als möglich zu kriegerischem Auf¬
treten zu drängen; nicht bloß, weil sie dann die Hauptlast des Krieges auf die
Landmacht wälzen konnten, sondern hauptsächlich, weil sie Preußen untrennbar
in die Quadrupelallianz einfügen mußten. Dies Streben fand die stärkste Nah¬
rung in dem Mißtrauen gegen die für alle Wendepunkte geeignete Persönlichkeit
des Herrn v. Manteuffel, — und es mußte auch in Berlin die Ueberzeugung
Platz greifen, daß Preußen die freie Wahl des Moments für seinen Uebergang
zur Activität nicht gegönnt werden würde, so lange Herr v. Manteuffel im
Amt war, — daß also die Dimission des letztem nothwendig ans der natürlichen
Entwickelung der Situation resultiren müsse, wenn man das preußische Interesse
wirklich wahren wollte.

Es wird uns versichert, daß Herr v. Manteuffel vor der Betheiligung des
Grafen Pourtales an den Geschäften auf dem besten Wege gewesen ist, die prcn-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/475>, abgerufen am 22.07.2024.