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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Action der Westmächte durch das Anerkenntnis daß sie im europäischen Interesse
handeln, noch mehr moralischen Nachdruck zu leihen, und für den Fall weiterer
Berwickeluugeu einem principlosen, bloßen Zufälligkeiten unterworfenen Würfelspiel
mit Allianzen vorzubeugen. Innerhalb dieser Convention blieb den deutsche" Mäch¬
te" die Freiheit, de" Moment für einen etwaigen Uebergang zur Activität zu
wähle"; doch erlangten die Westmächtc eine größere Sicherheit, als die in den
bisherigen Wiener Protocvllen gebotene, daß weder Preuße" noch Oestreich für
Rußland auftreten würden.

Oestreich war geneigt, einer solchen Convention beizutreten und hatte an
unser Cabinet einen darauf bezügliche" Antrag gestellt. Dieser ist in Berlin ab¬
gelehnt und dadurch die Convention, welche der europäische" Politik eine feste
Form gegeben hätte, vereitelt worden. Zu gleicher Zeit sind der Graf v. d. Grobe"
"ach London, der Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen "ach Paris gesandt wor¬
den, -- nach Einige", "in ans Grund der letzten russischen Propositionen neue
Verhandlungen anzuknüpfen, nach Andern, um über die gegenwärtige Stellung
Preußens Aufklärungen zu geben.

Es ist somit ein Act vollzogen worden, durch deu der bisherige Einklang
der vier Mächte gestört ist, und es fragt sich nu", ob durch den Riß nur Preu¬
ßen isolirt, oder auch die Annäherung Oestreichs an den Westen vereitelt wer¬
den wird.

Das Letztere scheint nicht der Fall zu sein. Es wird uns wiederholt ver¬
sichert, daß Oestreich ein Separatabkommcn mit den Westmächtcu getroffen habe,
-- man will hier sogar einige Stipulationen desselben kennen, -- und die Nach¬
richt hat bei der Lage des Kaiserstaates "ut bei der in Wien sich immer mehr
befestigenden Ueberzeugung, daß Oestreich eine dauernde Neutralität nicht behaup¬
ten könne, unleugbar einen hohen Grad innerer Wahrscheinlichkeit. Nach einer
hente eingetroffenen Depesche bezeichnet das offiziöse Organ des Wiener Cabinets
die Besorgnisse über eine Divergenz Preußens und Oestreichs als unbegründet;
aber das angeführte Motiv, die Interessen Oestreichs, Preußens und Deutschlands
seien identisch, ist ohne deu Zusatz, daß diese Identität der Interessen überall an¬
erkannt werde und daß aus ihr überall die gleiche" Folger""ge" hergeleitet werde",
nicht ausreichend, und deutet an, daß da,S vfficiöse Organ mehr einen Wunsch
als eine Thatsache ausdrückt. Es dürfte darin mit Recht lediglich eine politische
Taktik erkannt werden, welche für neue Verständiguugöversnche die Wege offen,
Preußen aus der bisherigen gemeinsamen Basis festhalten will, während sich Oest¬
reich, dem Drauge der Ereignisse und dem Gebote seiner Interessen folgend,
an fernern Schritten seinerseits nicht behindern läßt.

Der Erfolg des letzten Wendepunktes in unserer Politik ist also zunächst
Preußens Isolirung. Es hat das diplomatische Auftreten der Großmächte mit¬
wirkend und zustimmend begleitet, scheidet plötzlich ohne Motiv aus ihrer Gemein-


Krenzbvlm, I. >!8^>. !)9

Action der Westmächte durch das Anerkenntnis daß sie im europäischen Interesse
handeln, noch mehr moralischen Nachdruck zu leihen, und für den Fall weiterer
Berwickeluugeu einem principlosen, bloßen Zufälligkeiten unterworfenen Würfelspiel
mit Allianzen vorzubeugen. Innerhalb dieser Convention blieb den deutsche» Mäch¬
te» die Freiheit, de» Moment für einen etwaigen Uebergang zur Activität zu
wähle»; doch erlangten die Westmächtc eine größere Sicherheit, als die in den
bisherigen Wiener Protocvllen gebotene, daß weder Preuße» noch Oestreich für
Rußland auftreten würden.

Oestreich war geneigt, einer solchen Convention beizutreten und hatte an
unser Cabinet einen darauf bezügliche» Antrag gestellt. Dieser ist in Berlin ab¬
gelehnt und dadurch die Convention, welche der europäische» Politik eine feste
Form gegeben hätte, vereitelt worden. Zu gleicher Zeit sind der Graf v. d. Grobe»
»ach London, der Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen »ach Paris gesandt wor¬
den, — nach Einige», »in ans Grund der letzten russischen Propositionen neue
Verhandlungen anzuknüpfen, nach Andern, um über die gegenwärtige Stellung
Preußens Aufklärungen zu geben.

Es ist somit ein Act vollzogen worden, durch deu der bisherige Einklang
der vier Mächte gestört ist, und es fragt sich nu», ob durch den Riß nur Preu¬
ßen isolirt, oder auch die Annäherung Oestreichs an den Westen vereitelt wer¬
den wird.

Das Letztere scheint nicht der Fall zu sein. Es wird uns wiederholt ver¬
sichert, daß Oestreich ein Separatabkommcn mit den Westmächtcu getroffen habe,
— man will hier sogar einige Stipulationen desselben kennen, — und die Nach¬
richt hat bei der Lage des Kaiserstaates »ut bei der in Wien sich immer mehr
befestigenden Ueberzeugung, daß Oestreich eine dauernde Neutralität nicht behaup¬
ten könne, unleugbar einen hohen Grad innerer Wahrscheinlichkeit. Nach einer
hente eingetroffenen Depesche bezeichnet das offiziöse Organ des Wiener Cabinets
die Besorgnisse über eine Divergenz Preußens und Oestreichs als unbegründet;
aber das angeführte Motiv, die Interessen Oestreichs, Preußens und Deutschlands
seien identisch, ist ohne deu Zusatz, daß diese Identität der Interessen überall an¬
erkannt werde und daß aus ihr überall die gleiche» Folger»»ge» hergeleitet werde»,
nicht ausreichend, und deutet an, daß da,S vfficiöse Organ mehr einen Wunsch
als eine Thatsache ausdrückt. Es dürfte darin mit Recht lediglich eine politische
Taktik erkannt werden, welche für neue Verständiguugöversnche die Wege offen,
Preußen aus der bisherigen gemeinsamen Basis festhalten will, während sich Oest¬
reich, dem Drauge der Ereignisse und dem Gebote seiner Interessen folgend,
an fernern Schritten seinerseits nicht behindern läßt.

Der Erfolg des letzten Wendepunktes in unserer Politik ist also zunächst
Preußens Isolirung. Es hat das diplomatische Auftreten der Großmächte mit¬
wirkend und zustimmend begleitet, scheidet plötzlich ohne Motiv aus ihrer Gemein-


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[0473] Action der Westmächte durch das Anerkenntnis daß sie im europäischen Interesse handeln, noch mehr moralischen Nachdruck zu leihen, und für den Fall weiterer Berwickeluugeu einem principlosen, bloßen Zufälligkeiten unterworfenen Würfelspiel mit Allianzen vorzubeugen. Innerhalb dieser Convention blieb den deutsche» Mäch¬ te» die Freiheit, de» Moment für einen etwaigen Uebergang zur Activität zu wähle»; doch erlangten die Westmächtc eine größere Sicherheit, als die in den bisherigen Wiener Protocvllen gebotene, daß weder Preuße» noch Oestreich für Rußland auftreten würden. Oestreich war geneigt, einer solchen Convention beizutreten und hatte an unser Cabinet einen darauf bezügliche» Antrag gestellt. Dieser ist in Berlin ab¬ gelehnt und dadurch die Convention, welche der europäische» Politik eine feste Form gegeben hätte, vereitelt worden. Zu gleicher Zeit sind der Graf v. d. Grobe» »ach London, der Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen »ach Paris gesandt wor¬ den, — nach Einige», »in ans Grund der letzten russischen Propositionen neue Verhandlungen anzuknüpfen, nach Andern, um über die gegenwärtige Stellung Preußens Aufklärungen zu geben. Es ist somit ein Act vollzogen worden, durch deu der bisherige Einklang der vier Mächte gestört ist, und es fragt sich nu», ob durch den Riß nur Preu¬ ßen isolirt, oder auch die Annäherung Oestreichs an den Westen vereitelt wer¬ den wird. Das Letztere scheint nicht der Fall zu sein. Es wird uns wiederholt ver¬ sichert, daß Oestreich ein Separatabkommcn mit den Westmächtcu getroffen habe, — man will hier sogar einige Stipulationen desselben kennen, — und die Nach¬ richt hat bei der Lage des Kaiserstaates »ut bei der in Wien sich immer mehr befestigenden Ueberzeugung, daß Oestreich eine dauernde Neutralität nicht behaup¬ ten könne, unleugbar einen hohen Grad innerer Wahrscheinlichkeit. Nach einer hente eingetroffenen Depesche bezeichnet das offiziöse Organ des Wiener Cabinets die Besorgnisse über eine Divergenz Preußens und Oestreichs als unbegründet; aber das angeführte Motiv, die Interessen Oestreichs, Preußens und Deutschlands seien identisch, ist ohne deu Zusatz, daß diese Identität der Interessen überall an¬ erkannt werde und daß aus ihr überall die gleiche» Folger»»ge» hergeleitet werde», nicht ausreichend, und deutet an, daß da,S vfficiöse Organ mehr einen Wunsch als eine Thatsache ausdrückt. Es dürfte darin mit Recht lediglich eine politische Taktik erkannt werden, welche für neue Verständiguugöversnche die Wege offen, Preußen aus der bisherigen gemeinsamen Basis festhalten will, während sich Oest¬ reich, dem Drauge der Ereignisse und dem Gebote seiner Interessen folgend, an fernern Schritten seinerseits nicht behindern läßt. Der Erfolg des letzten Wendepunktes in unserer Politik ist also zunächst Preußens Isolirung. Es hat das diplomatische Auftreten der Großmächte mit¬ wirkend und zustimmend begleitet, scheidet plötzlich ohne Motiv aus ihrer Gemein- Krenzbvlm, I. >!8^>. !)9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/473>, abgerufen am 25.08.2024.