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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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retteten sollen dort in einem Grauen erregenden Zustande angelangt sein. Einige
hatten große Fleischwunde", andere Knochcubrüche, noch andern endlich fehlten
ganze Gliedmaßen. Inzwischen waren an verschiedenen Punkten der Stadt
Feuersbrünste ausgebrochen. Zahlreiche Geschosse waren hineingefallen, und die
crepirenden Bomben hatten fünfzehn oder zwanzig Einwohner getödtet, worunter
anch die Magd des östreichischen Lloyd^Agenten Pirizantz.

Von den Griechen heißt es, daß sie nicht gewagt hätten, ihre Hänser zu
verlassen, indem sie nicht minder als die russischen Kugeln den Fanatismus der
zur Verzweiflung gebrachten türkischen Einwohner fürchteten. Sie suchten Schutz,
wo er sich zunächst bot, in Kellern und hinter Düngerhaufen.

Der erwähnte Augenzeuge bezweifelt es, daß die Führer einiger türkischen
Schiffe sich freiwillig in die Luft sprengten,. Nur vom Capitän einer ägyptischen
Fregatte dürfe dies angenommen werden. Wie dem indeß auch sei, gewiß ist es,
daß die Ehre der türkischen Flagge in einer würdigen Weise an diesem Tage
vertheidigt wurde. Maugel an Einsicht mag die Katastrophe türkischerseits be¬
schleunigt haben, aber die bewiesene Tapferkeit war eines bessern Ausgangs
würdig.




Wochenbericht.
Stambul im Schnee

-- Was würden Sie sagen, wenn ein
Zauberspruch Sie plötzlich vom Strande der Pleiße an den Bosporus versetzte, welcher
nach dem Sprichwort "ewig vor Wonne lachen soll", und Sie die Kuppel der Moschee
Aga Sophia ebenso dick mit Schnee bedeckt sehen, wie zu Hause die Kirchdächer, und
ein Blick über Stambul hin Sie nichts Anderes unterscheiden ließe, als weiße Dächer!?
Der Winter ist diesmal mit einer Strenge zu Constantinopel ausgetreten, wie man sie
in diesem Jahrhundert hier selten kennen lernte. Das Meer und der Himmel mit ihrer
grauen Farbe stechen düster gegen den weißen Mantel ab, der weithin alles überdeckt
und selbst auf de" schlanken Cypresse" lastet, welche die hiesigen Kirchhöfe überragen.
Ungelegener wie diesmal konnte der rauhe Gast aus Nord kaum jemals hier einkehre".
Wie ich in meinen früheren Briefen bereits zu mehren Malen angemerkt, ist die
Theuerung im Laufe der letzten fünf Mouate in Stambul zu einer enormen Höhe ge¬
stiegen und sie wächst noch immer mehr. Der Arme hatte "ach und nach ans die ihm
sonst unentbehrlich geschienenen Genüsse, ans den Tschibuck, den Pillaw, den Kaffee,
verzichten müssen, um uur ausreichend Brod kaufen zu können; er mußte dabei in
manchen Quartieren sogar das Wasser kaufen, weil die Brunnen nicht mehr den Be¬
darf decke" und Zufuhr oder vielmehr Zutrage" ans Packpferden unerläßlich ist; jetzt
entsteht el" neues, früher wenig gekanntes Bedürfniß: die Feuerung, um es in den
kleinen, vom Winde durchsausten, schlecht eingedeckten, schlecht init Fenstern versehene",
vo" undichten Thüren verwahrten Holzhäuser" ertrage" zu könne"; de"" der Pelz, der
unter andere" Umständen sür die ärmere Klasse eine Ergänzung der mangelhafte" Woh-


retteten sollen dort in einem Grauen erregenden Zustande angelangt sein. Einige
hatten große Fleischwunde», andere Knochcubrüche, noch andern endlich fehlten
ganze Gliedmaßen. Inzwischen waren an verschiedenen Punkten der Stadt
Feuersbrünste ausgebrochen. Zahlreiche Geschosse waren hineingefallen, und die
crepirenden Bomben hatten fünfzehn oder zwanzig Einwohner getödtet, worunter
anch die Magd des östreichischen Lloyd^Agenten Pirizantz.

Von den Griechen heißt es, daß sie nicht gewagt hätten, ihre Hänser zu
verlassen, indem sie nicht minder als die russischen Kugeln den Fanatismus der
zur Verzweiflung gebrachten türkischen Einwohner fürchteten. Sie suchten Schutz,
wo er sich zunächst bot, in Kellern und hinter Düngerhaufen.

Der erwähnte Augenzeuge bezweifelt es, daß die Führer einiger türkischen
Schiffe sich freiwillig in die Luft sprengten,. Nur vom Capitän einer ägyptischen
Fregatte dürfe dies angenommen werden. Wie dem indeß auch sei, gewiß ist es,
daß die Ehre der türkischen Flagge in einer würdigen Weise an diesem Tage
vertheidigt wurde. Maugel an Einsicht mag die Katastrophe türkischerseits be¬
schleunigt haben, aber die bewiesene Tapferkeit war eines bessern Ausgangs
würdig.




Wochenbericht.
Stambul im Schnee

— Was würden Sie sagen, wenn ein
Zauberspruch Sie plötzlich vom Strande der Pleiße an den Bosporus versetzte, welcher
nach dem Sprichwort „ewig vor Wonne lachen soll", und Sie die Kuppel der Moschee
Aga Sophia ebenso dick mit Schnee bedeckt sehen, wie zu Hause die Kirchdächer, und
ein Blick über Stambul hin Sie nichts Anderes unterscheiden ließe, als weiße Dächer!?
Der Winter ist diesmal mit einer Strenge zu Constantinopel ausgetreten, wie man sie
in diesem Jahrhundert hier selten kennen lernte. Das Meer und der Himmel mit ihrer
grauen Farbe stechen düster gegen den weißen Mantel ab, der weithin alles überdeckt
und selbst auf de» schlanken Cypresse» lastet, welche die hiesigen Kirchhöfe überragen.
Ungelegener wie diesmal konnte der rauhe Gast aus Nord kaum jemals hier einkehre».
Wie ich in meinen früheren Briefen bereits zu mehren Malen angemerkt, ist die
Theuerung im Laufe der letzten fünf Mouate in Stambul zu einer enormen Höhe ge¬
stiegen und sie wächst noch immer mehr. Der Arme hatte »ach und nach ans die ihm
sonst unentbehrlich geschienenen Genüsse, ans den Tschibuck, den Pillaw, den Kaffee,
verzichten müssen, um uur ausreichend Brod kaufen zu können; er mußte dabei in
manchen Quartieren sogar das Wasser kaufen, weil die Brunnen nicht mehr den Be¬
darf decke» und Zufuhr oder vielmehr Zutrage» ans Packpferden unerläßlich ist; jetzt
entsteht el» neues, früher wenig gekanntes Bedürfniß: die Feuerung, um es in den
kleinen, vom Winde durchsausten, schlecht eingedeckten, schlecht init Fenstern versehene»,
vo» undichten Thüren verwahrten Holzhäuser» ertrage» zu könne»; de»» der Pelz, der
unter andere» Umständen sür die ärmere Klasse eine Ergänzung der mangelhafte» Woh-


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[0439] retteten sollen dort in einem Grauen erregenden Zustande angelangt sein. Einige hatten große Fleischwunde», andere Knochcubrüche, noch andern endlich fehlten ganze Gliedmaßen. Inzwischen waren an verschiedenen Punkten der Stadt Feuersbrünste ausgebrochen. Zahlreiche Geschosse waren hineingefallen, und die crepirenden Bomben hatten fünfzehn oder zwanzig Einwohner getödtet, worunter anch die Magd des östreichischen Lloyd^Agenten Pirizantz. Von den Griechen heißt es, daß sie nicht gewagt hätten, ihre Hänser zu verlassen, indem sie nicht minder als die russischen Kugeln den Fanatismus der zur Verzweiflung gebrachten türkischen Einwohner fürchteten. Sie suchten Schutz, wo er sich zunächst bot, in Kellern und hinter Düngerhaufen. Der erwähnte Augenzeuge bezweifelt es, daß die Führer einiger türkischen Schiffe sich freiwillig in die Luft sprengten,. Nur vom Capitän einer ägyptischen Fregatte dürfe dies angenommen werden. Wie dem indeß auch sei, gewiß ist es, daß die Ehre der türkischen Flagge in einer würdigen Weise an diesem Tage vertheidigt wurde. Maugel an Einsicht mag die Katastrophe türkischerseits be¬ schleunigt haben, aber die bewiesene Tapferkeit war eines bessern Ausgangs würdig. Wochenbericht. Stambul im Schnee — Was würden Sie sagen, wenn ein Zauberspruch Sie plötzlich vom Strande der Pleiße an den Bosporus versetzte, welcher nach dem Sprichwort „ewig vor Wonne lachen soll", und Sie die Kuppel der Moschee Aga Sophia ebenso dick mit Schnee bedeckt sehen, wie zu Hause die Kirchdächer, und ein Blick über Stambul hin Sie nichts Anderes unterscheiden ließe, als weiße Dächer!? Der Winter ist diesmal mit einer Strenge zu Constantinopel ausgetreten, wie man sie in diesem Jahrhundert hier selten kennen lernte. Das Meer und der Himmel mit ihrer grauen Farbe stechen düster gegen den weißen Mantel ab, der weithin alles überdeckt und selbst auf de» schlanken Cypresse» lastet, welche die hiesigen Kirchhöfe überragen. Ungelegener wie diesmal konnte der rauhe Gast aus Nord kaum jemals hier einkehre». Wie ich in meinen früheren Briefen bereits zu mehren Malen angemerkt, ist die Theuerung im Laufe der letzten fünf Mouate in Stambul zu einer enormen Höhe ge¬ stiegen und sie wächst noch immer mehr. Der Arme hatte »ach und nach ans die ihm sonst unentbehrlich geschienenen Genüsse, ans den Tschibuck, den Pillaw, den Kaffee, verzichten müssen, um uur ausreichend Brod kaufen zu können; er mußte dabei in manchen Quartieren sogar das Wasser kaufen, weil die Brunnen nicht mehr den Be¬ darf decke» und Zufuhr oder vielmehr Zutrage» ans Packpferden unerläßlich ist; jetzt entsteht el» neues, früher wenig gekanntes Bedürfniß: die Feuerung, um es in den kleinen, vom Winde durchsausten, schlecht eingedeckten, schlecht init Fenstern versehene», vo» undichten Thüren verwahrten Holzhäuser» ertrage» zu könne»; de»» der Pelz, der unter andere» Umständen sür die ärmere Klasse eine Ergänzung der mangelhafte» Woh-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/439>, abgerufen am 22.07.2024.