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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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möglich abschneiden. Herr Hinrichs wendet ein, daß Wagner vorzugsweise wegen
seines subjectiven künstlerischen Idealismus und wegen der Energie, mit der er
alle seine Bestrebungen dahin richtete, Achtung und Anerkennung verdiene. Die¬
sen Idealismus hätten wir verkannt; er selber könne ihn zwar nicht beweisen,
aber er lege sein subjectives Zeugniß für ihn in die Wagschale. -- Es bedarf
dieses Zeugnisses nicht. Wir haben jenen Idealismus vollkommen begriffen und
ihn früher schon ausführlich besprochen; aber wir leugnen die Folgerung. Ein
subjectives Interesse wird ein Maun von bedeutender Willenskraft allerdings
immer erregen, sein Object sei welches es wolle; aber dieses Interesse wird sich
in Bedauern verwandeln, sobald wir jene Willenskraft auf ein unfruchtbares Ob¬
ject gerichtet sehen, und es wird sich in offene und entschiedene Opposition ver¬
wandeln, wenn das Object ein durchführbares, aber ein schädliches ist. In ar¬
tistischen Dingen ist es mit der Kritik grade wie in politischen. Auch der po¬
litische Schriftsteller, der für das Beste seines Landes besorgt ist, mag von Zeit
zu Zeit dem Idealismus eines Robespierre seine subjective Anerkennung zu Theil
werden lassen; die Hauptsache wird aber sein, ihn so energisch als möglich zu
bekämpfen. -- Wenn also Wagners Idealismus, wie wir behaupten, in einer
falschen und schädlichen Richtung fortgeht, so wird uns der Idealismus an sich
nicht abhalten, auf das rücksichtsloseste dagegen aufzutreten. --

Was uns vorzugsweise bestimmt, gegen Wagner mit soviel Ausdauer zu
Felde zu ziehen, ist die große Uebereinstimmung seiner ästhetisch-moralischen Rich¬
tung mit den schlechten Neigungen der Zeit, aus der auch der Erfolg seiner
Stücke zu erklären ist.

In ästhetischer Beziehung sehen wir in ihm den vollständigsten Ausdruck jenes
künstlerischen Dilettantismus, der in allen Gattungen unsere Kunst zu untergraben
droht. Ueber diesen Begriff haben wir uns schon öfters ausgesprochen. Wir
verstehen darunter nicht den Mangel an gründlicher Bildung, sondern den Man¬
gel an schöpferischer Kraft, verbunden mit einem lebhaften Trieb zu produciren,
der nothwendigerweise zur Charlatanerie führt, weil er dnrch Reflexion und
Combination äußerlicher Motive den mangelnden Gehalt zu ersetzen sucht. Unser
Referent hat zwar nachgewiesen, daß dieser Dilettantismus sich auch auf die Bil¬
dung erstreckt, daß Wagner, der sich nach allen Seiten hin mit lebhafter Erreg¬
barkeit und mit offenem Verständniß bemüht hat, in seiner eignen Kunst nur die
niedern Seiten der Technik, namentlich die Jnstrumentation wirklich beherrscht, die
höheren aber, den Contrapunkt, die Harmoniefolge und den Periodenbau schülerhaft
behandelt. Aber dieser Vorwurf selbst ist nur secundär; in seiner Poesie wie in seiner
Komposition sehen wir ein ängstliches, rastloses Umhergreisen nach allen möglichen
Mitteln, um den äußern Erfolg zu sichern, da die innere Schöpferkraft fehlt. Herr
Hinrichs selbst ist dnrch die peinliche Aengstlichkeit, mit der Wagner der Theaterdirec-
tion das kleinste Detail vorschreibt, stutzig geworden; er bemerkt vollkommen richtig,


möglich abschneiden. Herr Hinrichs wendet ein, daß Wagner vorzugsweise wegen
seines subjectiven künstlerischen Idealismus und wegen der Energie, mit der er
alle seine Bestrebungen dahin richtete, Achtung und Anerkennung verdiene. Die¬
sen Idealismus hätten wir verkannt; er selber könne ihn zwar nicht beweisen,
aber er lege sein subjectives Zeugniß für ihn in die Wagschale. — Es bedarf
dieses Zeugnisses nicht. Wir haben jenen Idealismus vollkommen begriffen und
ihn früher schon ausführlich besprochen; aber wir leugnen die Folgerung. Ein
subjectives Interesse wird ein Maun von bedeutender Willenskraft allerdings
immer erregen, sein Object sei welches es wolle; aber dieses Interesse wird sich
in Bedauern verwandeln, sobald wir jene Willenskraft auf ein unfruchtbares Ob¬
ject gerichtet sehen, und es wird sich in offene und entschiedene Opposition ver¬
wandeln, wenn das Object ein durchführbares, aber ein schädliches ist. In ar¬
tistischen Dingen ist es mit der Kritik grade wie in politischen. Auch der po¬
litische Schriftsteller, der für das Beste seines Landes besorgt ist, mag von Zeit
zu Zeit dem Idealismus eines Robespierre seine subjective Anerkennung zu Theil
werden lassen; die Hauptsache wird aber sein, ihn so energisch als möglich zu
bekämpfen. — Wenn also Wagners Idealismus, wie wir behaupten, in einer
falschen und schädlichen Richtung fortgeht, so wird uns der Idealismus an sich
nicht abhalten, auf das rücksichtsloseste dagegen aufzutreten. —

Was uns vorzugsweise bestimmt, gegen Wagner mit soviel Ausdauer zu
Felde zu ziehen, ist die große Uebereinstimmung seiner ästhetisch-moralischen Rich¬
tung mit den schlechten Neigungen der Zeit, aus der auch der Erfolg seiner
Stücke zu erklären ist.

In ästhetischer Beziehung sehen wir in ihm den vollständigsten Ausdruck jenes
künstlerischen Dilettantismus, der in allen Gattungen unsere Kunst zu untergraben
droht. Ueber diesen Begriff haben wir uns schon öfters ausgesprochen. Wir
verstehen darunter nicht den Mangel an gründlicher Bildung, sondern den Man¬
gel an schöpferischer Kraft, verbunden mit einem lebhaften Trieb zu produciren,
der nothwendigerweise zur Charlatanerie führt, weil er dnrch Reflexion und
Combination äußerlicher Motive den mangelnden Gehalt zu ersetzen sucht. Unser
Referent hat zwar nachgewiesen, daß dieser Dilettantismus sich auch auf die Bil¬
dung erstreckt, daß Wagner, der sich nach allen Seiten hin mit lebhafter Erreg¬
barkeit und mit offenem Verständniß bemüht hat, in seiner eignen Kunst nur die
niedern Seiten der Technik, namentlich die Jnstrumentation wirklich beherrscht, die
höheren aber, den Contrapunkt, die Harmoniefolge und den Periodenbau schülerhaft
behandelt. Aber dieser Vorwurf selbst ist nur secundär; in seiner Poesie wie in seiner
Komposition sehen wir ein ängstliches, rastloses Umhergreisen nach allen möglichen
Mitteln, um den äußern Erfolg zu sichern, da die innere Schöpferkraft fehlt. Herr
Hinrichs selbst ist dnrch die peinliche Aengstlichkeit, mit der Wagner der Theaterdirec-
tion das kleinste Detail vorschreibt, stutzig geworden; er bemerkt vollkommen richtig,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/346>, abgerufen am 22.07.2024.