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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Zweck eines wahrhaften Kunstinstituts, sondern die vollkommenste Darstellung
der Gesammtheit durch richtiges Eingreifen des Einzelnen. So nur kann der
Zuschauer in die Idee eines Kunstwerks eingeführt, so nur in unmittel¬
baren Rapport mit der Handlung gesetzt werden, so nur wird ihm von
der sinnlichen Erscheinung die innere Nothwendigkeit einer organischen Kunst-
schöpfung erschlossen. Je weiter sich die Theaterbildung verbreitet und je wich-
tigere Principien der Bühneuleitung sich verallgemeinen, desto mehr wird der
meistens verderbliche Luxus mit sogenannten Celebritäten verschwinden. Aber
freilich -- aller Anfang ist schwer; um so schwerer, wenn er aus der einen
Seite persönlichen Eitelkeiten nahetreten, auf der andern alte Gewohnheiten un¬
berücksichtigt lassen muß. Dennoch ist auch dieser Schritt aus dem Karlsruher
Theater unternommen. Der Blick des bühnengewandten und kunstverständige
Praktikers wird allerdings den zu seiner Verfügung gestellten Talenten bald ab¬
merken, wohin ihr natürlicher Beruf sie führt. Die Nollenvertheilung in diesem
Sinne stellt natürlich den Einzelnen immer im günstigsten Lichte hin. Und so selten
solche Bühnenleiter, so fördernd wirken sie. Ueberraschend, in einzelnen Fällen
ans unglaubliche grenzend, sind nun in Karlsruhe die Fortschritte der theils an¬
erkannt, theils unbekannt herangetretencn Talente seit Devrients Direction. Eben
dadurch, daß selbst die Träger erster Fächer, wenn -es künstlerisch nöthig,
zu untergeordneten Rollen herangezogen werden, gelingt die Erzielung jenes
harmonischen Tons, jener organischen Stimmung der Darstellungen, welche durch
keinen Mißlaut und keine Taktlosigkeit in Nebendingen den Zauber der Total¬
wirkung beeinträchtigen läßt. Zugleich erhöht sich auch das Selbstgefühl der
untergeordneteren Kunstjünger; das Bewußtsein dramatischer Nothwendigkeit und
Bedeutung geht durch alle Schichten des Personals; so sehen wir hier in der
Oper, wie in Massendarstellungen selbst den Chor mitlebend, geschickt, natürlich,
aus eine Weise eingreifen, daß heute schwerlich ein deutsches Theater mit weit
unbeschränkteren Mitteln Aehnliches leisten mag.

Solches Zusammenstimmen der Darstellung, solches Reguliren in Ton und
Haltung ist nicht äußerlich eiuzuexercireu. Auch dafür macht sich ein organi¬
scher Bildungsgang nothwendig. Das Studium des einzelnen Talents muß
aus der dem Künstler im Alltagsleben erkennbaren Natur zum Ideale
aufsteigen. Ebenso die Bildung des Ensembles. Noch im Noththeater wurde
dieser Weg mit dem leichteren Lustspiel betreten, dem die Spieloper entsprach,
während im ernsten Schauspiel und der Tragödie das bürgerliche Element die
Grundlage bildete. Benedix' Liebesbrief, Eigensinn, das Lügen und die Phreno-
logen, Molisres Tartüffe, Freitags Journalisten, das Glas Wasser, Helene von
Seglisres, viel Lärmen um nichts; daneben Lortziugs beide Schützen, Mehuls
beide Füchse und Wasserträger; dann Dienstpflicht, Naupachs Geschwister, Sie
ist wahnsinnig -- dies Alles sind Stationen des Wegs. Emilia Galotti trat als


Zweck eines wahrhaften Kunstinstituts, sondern die vollkommenste Darstellung
der Gesammtheit durch richtiges Eingreifen des Einzelnen. So nur kann der
Zuschauer in die Idee eines Kunstwerks eingeführt, so nur in unmittel¬
baren Rapport mit der Handlung gesetzt werden, so nur wird ihm von
der sinnlichen Erscheinung die innere Nothwendigkeit einer organischen Kunst-
schöpfung erschlossen. Je weiter sich die Theaterbildung verbreitet und je wich-
tigere Principien der Bühneuleitung sich verallgemeinen, desto mehr wird der
meistens verderbliche Luxus mit sogenannten Celebritäten verschwinden. Aber
freilich — aller Anfang ist schwer; um so schwerer, wenn er aus der einen
Seite persönlichen Eitelkeiten nahetreten, auf der andern alte Gewohnheiten un¬
berücksichtigt lassen muß. Dennoch ist auch dieser Schritt aus dem Karlsruher
Theater unternommen. Der Blick des bühnengewandten und kunstverständige
Praktikers wird allerdings den zu seiner Verfügung gestellten Talenten bald ab¬
merken, wohin ihr natürlicher Beruf sie führt. Die Nollenvertheilung in diesem
Sinne stellt natürlich den Einzelnen immer im günstigsten Lichte hin. Und so selten
solche Bühnenleiter, so fördernd wirken sie. Ueberraschend, in einzelnen Fällen
ans unglaubliche grenzend, sind nun in Karlsruhe die Fortschritte der theils an¬
erkannt, theils unbekannt herangetretencn Talente seit Devrients Direction. Eben
dadurch, daß selbst die Träger erster Fächer, wenn -es künstlerisch nöthig,
zu untergeordneten Rollen herangezogen werden, gelingt die Erzielung jenes
harmonischen Tons, jener organischen Stimmung der Darstellungen, welche durch
keinen Mißlaut und keine Taktlosigkeit in Nebendingen den Zauber der Total¬
wirkung beeinträchtigen läßt. Zugleich erhöht sich auch das Selbstgefühl der
untergeordneteren Kunstjünger; das Bewußtsein dramatischer Nothwendigkeit und
Bedeutung geht durch alle Schichten des Personals; so sehen wir hier in der
Oper, wie in Massendarstellungen selbst den Chor mitlebend, geschickt, natürlich,
aus eine Weise eingreifen, daß heute schwerlich ein deutsches Theater mit weit
unbeschränkteren Mitteln Aehnliches leisten mag.

Solches Zusammenstimmen der Darstellung, solches Reguliren in Ton und
Haltung ist nicht äußerlich eiuzuexercireu. Auch dafür macht sich ein organi¬
scher Bildungsgang nothwendig. Das Studium des einzelnen Talents muß
aus der dem Künstler im Alltagsleben erkennbaren Natur zum Ideale
aufsteigen. Ebenso die Bildung des Ensembles. Noch im Noththeater wurde
dieser Weg mit dem leichteren Lustspiel betreten, dem die Spieloper entsprach,
während im ernsten Schauspiel und der Tragödie das bürgerliche Element die
Grundlage bildete. Benedix' Liebesbrief, Eigensinn, das Lügen und die Phreno-
logen, Molisres Tartüffe, Freitags Journalisten, das Glas Wasser, Helene von
Seglisres, viel Lärmen um nichts; daneben Lortziugs beide Schützen, Mehuls
beide Füchse und Wasserträger; dann Dienstpflicht, Naupachs Geschwister, Sie
ist wahnsinnig — dies Alles sind Stationen des Wegs. Emilia Galotti trat als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/308>, abgerufen am 22.07.2024.