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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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mäßigen Schlendrian schon überall als unerfüllbar aufgeschrien waren; dabei die
praktische Ausführung um so schwieriger, als die administrative Thätigkeit nicht
blos schöpferisch aufzutreten, sondern grade mit der Vernichtung mancher süßen
Gewohnheit unbrauchbaren Daseins zu beginnen hatte. Dies alles zuerst noch
im Noththeater; Aufräumen gleichzeitig mit Schaffen, Sichtung der vorhandenen
Kräfte gleichzeitig mit Beschaffung neuer, Aufstellung eines würdigen Repertoirs
gleichzeitig mit den Vorstudien eines noch nicht znsammengewöhnten Personals --
ein .landfremder Mann, beargwöhnt von den Habitue's des alten Regimes,
bezweifelt vom Handwerkssinn, angefeindet von einer ganzen Kaste, welcher sich
die angenehme Jntendanteuaussicht verschloß, verdächtigt und verlacht von Pre߬
organen, welche den schlechten Geschmack, virtuose Routine und leichte Flitterwaare
ans der Bühne unter der Maske volkstümlichen Maubads, frommer Pietät,
patriotischer Empfindungen oder gar künstlerischer Principien verfochten. Dem
gegenüber blieb er ganz allein auf das Vertrauen des Fürsten gestützt, der ihn
berufen, und er hat in dem einen Jahre dieses Vertrauen durch ein Werk
gerechtfertigt, welches durch sein fröhliches Gedeihen die Gegner besiegte, um in
seinem vollendeten Ausbau eine Freude aller Deutschen zu werden.

Je weniger Bühnen den höhern Ansprüchen ihres Berufes und den Er¬
wartungen entsprechen, welche namentlich an den akademischen Geist ihrer Mit¬
glieder und den Organismus ihrer Gesammtleistung zu stellen sind, desto
interessanter ist eine nähere Betrachtung der Karlsruher Bühne uuter der neuen
Leitung. Vorzüglich hat sich -- und nicht mit Unrecht im einzelnen -- der
Glaube festgestellt, unseren heutigen Künstlern fehle jener Eifer für das Ganze,
jene Hingebung an dessen Gesammtinteresse, wodurch allein ein großartig angelegter
Directionsplan seine Jntentionen verwirklichen kann. Ueberall hinterlassen aller¬
dings die geistig geschlagenen Zustände zahlreiche Marodeurs -- warum nicht
beim Theater? Die Vertreter erster Fächer sind es ja anch so gewohnt, das
Ganze für sich allein vorhanden, ihren Launen geschmeichelt, ihren Eigenwillen
gehätschelt zu sehe". Wer jedoch das Theater näher kennt, weiß trotzdem, wie
mit gefälligen Formen, die der Energie nur größeren Nachdruck geben, selbst
die verwöhnteste Theatcrroutine der wirklichen Ueberlegenheit leicht unter¬
geordnet und gehorsam gemacht wird. Ja, man kaun sagen, daß ein verständig
strenges Theaterregiment den Bühnenkünstlern selbst willkommen ist, wenn sie
dasselbe allseitig consequent befinden. Anfangs mag in solchem Falle manche
Primadvnncnthränc fließen, wenn ihrer Laune nicht die kleinste Concession
zugestanden ist. Allmälig entwickelt sich dagegen selbst in dem Befangensten die
Erkenntniß, daß mit dem ehrlichen, principiell durchgeführten Abweise jeder Be¬
einträchtigung des allgemeinen Interesses des Kuustiustituts, auch seine
persönliche Stellung und Geltung als Theil des Organismus an Bedeutung
gewinnt. Diese Hebung des richtigen Selbstgefühles ist die Grundlage unbcrechen-


mäßigen Schlendrian schon überall als unerfüllbar aufgeschrien waren; dabei die
praktische Ausführung um so schwieriger, als die administrative Thätigkeit nicht
blos schöpferisch aufzutreten, sondern grade mit der Vernichtung mancher süßen
Gewohnheit unbrauchbaren Daseins zu beginnen hatte. Dies alles zuerst noch
im Noththeater; Aufräumen gleichzeitig mit Schaffen, Sichtung der vorhandenen
Kräfte gleichzeitig mit Beschaffung neuer, Aufstellung eines würdigen Repertoirs
gleichzeitig mit den Vorstudien eines noch nicht znsammengewöhnten Personals —
ein .landfremder Mann, beargwöhnt von den Habitue's des alten Regimes,
bezweifelt vom Handwerkssinn, angefeindet von einer ganzen Kaste, welcher sich
die angenehme Jntendanteuaussicht verschloß, verdächtigt und verlacht von Pre߬
organen, welche den schlechten Geschmack, virtuose Routine und leichte Flitterwaare
ans der Bühne unter der Maske volkstümlichen Maubads, frommer Pietät,
patriotischer Empfindungen oder gar künstlerischer Principien verfochten. Dem
gegenüber blieb er ganz allein auf das Vertrauen des Fürsten gestützt, der ihn
berufen, und er hat in dem einen Jahre dieses Vertrauen durch ein Werk
gerechtfertigt, welches durch sein fröhliches Gedeihen die Gegner besiegte, um in
seinem vollendeten Ausbau eine Freude aller Deutschen zu werden.

Je weniger Bühnen den höhern Ansprüchen ihres Berufes und den Er¬
wartungen entsprechen, welche namentlich an den akademischen Geist ihrer Mit¬
glieder und den Organismus ihrer Gesammtleistung zu stellen sind, desto
interessanter ist eine nähere Betrachtung der Karlsruher Bühne uuter der neuen
Leitung. Vorzüglich hat sich — und nicht mit Unrecht im einzelnen — der
Glaube festgestellt, unseren heutigen Künstlern fehle jener Eifer für das Ganze,
jene Hingebung an dessen Gesammtinteresse, wodurch allein ein großartig angelegter
Directionsplan seine Jntentionen verwirklichen kann. Ueberall hinterlassen aller¬
dings die geistig geschlagenen Zustände zahlreiche Marodeurs — warum nicht
beim Theater? Die Vertreter erster Fächer sind es ja anch so gewohnt, das
Ganze für sich allein vorhanden, ihren Launen geschmeichelt, ihren Eigenwillen
gehätschelt zu sehe». Wer jedoch das Theater näher kennt, weiß trotzdem, wie
mit gefälligen Formen, die der Energie nur größeren Nachdruck geben, selbst
die verwöhnteste Theatcrroutine der wirklichen Ueberlegenheit leicht unter¬
geordnet und gehorsam gemacht wird. Ja, man kaun sagen, daß ein verständig
strenges Theaterregiment den Bühnenkünstlern selbst willkommen ist, wenn sie
dasselbe allseitig consequent befinden. Anfangs mag in solchem Falle manche
Primadvnncnthränc fließen, wenn ihrer Laune nicht die kleinste Concession
zugestanden ist. Allmälig entwickelt sich dagegen selbst in dem Befangensten die
Erkenntniß, daß mit dem ehrlichen, principiell durchgeführten Abweise jeder Be¬
einträchtigung des allgemeinen Interesses des Kuustiustituts, auch seine
persönliche Stellung und Geltung als Theil des Organismus an Bedeutung
gewinnt. Diese Hebung des richtigen Selbstgefühles ist die Grundlage unbcrechen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/306>, abgerufen am 22.07.2024.