Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und administrativer Technik auch einen feinen Sinn für die höheren Bedürfnisse
des Publicums verbinden, vollends diese ans ihrem Werkeltagsschlummer zu wecken
verstehen.

Einen leichteren Stand als in Mannheim hat das Theater kaum irgendwo.
Bedeutende Zuschüsse, von der Stadt und dem Staate (31,600 si. und 8000 si.),
lebenslängliche Anstellungen, alles behaglich eingerichtet und ein Publicum, welches,
stolz auf seine Bühne, ohne dieselbe nicht leben kann, sie cajolirt, mit ihr koket-
tirt -- wer kann es besser wünschen? Dennoch zeigt sich auch hier in vielen
Stücken kein befriedigendes Ergebniß. Das Publicum ist des Schauspielers Spie¬
gel; das Publicum bildet den einzelnen Darsteller, die Bühne als Ganzes das
Publicum. Wo aber diese Wechselwirkungen fortwährend principlos enthusiastisch
sind, da scheitern beide nnr allzu leicht. Mannheim und das Mannheimer Theater
genügen sich gegenseitig über die Maßen -- darum nur eben sich, nicht den hö¬
heren und weiteren Anforderungen, wie es einer Stadt geziemen würde, die sich
so gern als geistigen Centralpunkt relativ weiter Landesstrecken ansteht. Der tie¬
fere Ernst ist verloren gegangen, die sinnlich wirkende Oper in ungerechtfertigten
Ueberg^ewicht, im Drama fast nur das moderne Lustspiel (und davon das
leichtere Genre) neben dem bürgerlichen Schauspiel fortschreitend vertreten.

Was aus der Ferne als lebhaftes Theaterbedürsniß Heidelbergs erscheinen
könnte, der Ban eines neuen Schauspielhauses, das gewinnt unter den bekannten
localen Bedürfnissen eine für Mannheim vorwurfsvolle Bedeutung. Weil dieses
das höhere Drama und classische Trauerspiel verabsäumte, konnte das Heidel¬
berger Theater mit lauter Anfängern, auf ein fast ausschließend classisches Reper-
toir und bei sehr mittelmäßiger Lösung schwerster Aufgaben während der ersten
Monate seines Bestehens fortwährend reichbesejzte Häuser erzielen. Aber schon
ist dies Repertoir nicht mehr durchführbar, nachdem das erste Sehnen nach le¬
bendiger Vorführung der classischen Schöpfungen gesättigt ist; schon muß daS
Naudcville und leichtes Spiel die Kasse nähren. Welche Aufgabe läßt Mannheim,
dem zu ihrer Lösung Mittel und Wege gegeben wären, ungelöst bei Seite liegen!
Sogar ein Sommertheater drängt sich jenseits des Rheins (in Ludwigshafen) riva-
lisirend, nicht ohne Zulauf der Mannheimer heran, während die früheren Theater¬
besucher Mannheims ans Heidelberg, Worms, Frankenthal, Speier, Landau, Türk¬
heim ausbleiben. Ist diese Umwandlung nicht ein Beweis, daß Mannheim die
Bilduugsmacht uicht übte, deren Uebung ihm bei der Empfänglichkeit seines
Publicums so leicht gelingen würde? Dem guten Alten sein Recht und seine
Würdigung; aber auch dem Neuen Prüfung und Gerechtigkeit. Nur in der Ue¬
bung und dem Kampfe erproben sich die Kräfte, nur im systematischen Wechsel
entwickelt sich eine Wechselwirkung zwischen Bühne und Publicum.

So treten wir an das Karlsruher Theater. Im südwestlichsten Winkel
Deutschlands ist es als wichtigster Posten vorgeschoben. Seine nationale Aufgabe


und administrativer Technik auch einen feinen Sinn für die höheren Bedürfnisse
des Publicums verbinden, vollends diese ans ihrem Werkeltagsschlummer zu wecken
verstehen.

Einen leichteren Stand als in Mannheim hat das Theater kaum irgendwo.
Bedeutende Zuschüsse, von der Stadt und dem Staate (31,600 si. und 8000 si.),
lebenslängliche Anstellungen, alles behaglich eingerichtet und ein Publicum, welches,
stolz auf seine Bühne, ohne dieselbe nicht leben kann, sie cajolirt, mit ihr koket-
tirt — wer kann es besser wünschen? Dennoch zeigt sich auch hier in vielen
Stücken kein befriedigendes Ergebniß. Das Publicum ist des Schauspielers Spie¬
gel; das Publicum bildet den einzelnen Darsteller, die Bühne als Ganzes das
Publicum. Wo aber diese Wechselwirkungen fortwährend principlos enthusiastisch
sind, da scheitern beide nnr allzu leicht. Mannheim und das Mannheimer Theater
genügen sich gegenseitig über die Maßen — darum nur eben sich, nicht den hö¬
heren und weiteren Anforderungen, wie es einer Stadt geziemen würde, die sich
so gern als geistigen Centralpunkt relativ weiter Landesstrecken ansteht. Der tie¬
fere Ernst ist verloren gegangen, die sinnlich wirkende Oper in ungerechtfertigten
Ueberg^ewicht, im Drama fast nur das moderne Lustspiel (und davon das
leichtere Genre) neben dem bürgerlichen Schauspiel fortschreitend vertreten.

Was aus der Ferne als lebhaftes Theaterbedürsniß Heidelbergs erscheinen
könnte, der Ban eines neuen Schauspielhauses, das gewinnt unter den bekannten
localen Bedürfnissen eine für Mannheim vorwurfsvolle Bedeutung. Weil dieses
das höhere Drama und classische Trauerspiel verabsäumte, konnte das Heidel¬
berger Theater mit lauter Anfängern, auf ein fast ausschließend classisches Reper-
toir und bei sehr mittelmäßiger Lösung schwerster Aufgaben während der ersten
Monate seines Bestehens fortwährend reichbesejzte Häuser erzielen. Aber schon
ist dies Repertoir nicht mehr durchführbar, nachdem das erste Sehnen nach le¬
bendiger Vorführung der classischen Schöpfungen gesättigt ist; schon muß daS
Naudcville und leichtes Spiel die Kasse nähren. Welche Aufgabe läßt Mannheim,
dem zu ihrer Lösung Mittel und Wege gegeben wären, ungelöst bei Seite liegen!
Sogar ein Sommertheater drängt sich jenseits des Rheins (in Ludwigshafen) riva-
lisirend, nicht ohne Zulauf der Mannheimer heran, während die früheren Theater¬
besucher Mannheims ans Heidelberg, Worms, Frankenthal, Speier, Landau, Türk¬
heim ausbleiben. Ist diese Umwandlung nicht ein Beweis, daß Mannheim die
Bilduugsmacht uicht übte, deren Uebung ihm bei der Empfänglichkeit seines
Publicums so leicht gelingen würde? Dem guten Alten sein Recht und seine
Würdigung; aber auch dem Neuen Prüfung und Gerechtigkeit. Nur in der Ue¬
bung und dem Kampfe erproben sich die Kräfte, nur im systematischen Wechsel
entwickelt sich eine Wechselwirkung zwischen Bühne und Publicum.

So treten wir an das Karlsruher Theater. Im südwestlichsten Winkel
Deutschlands ist es als wichtigster Posten vorgeschoben. Seine nationale Aufgabe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0304" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97550"/>
            <p xml:id="ID_784" prev="#ID_783"> und administrativer Technik auch einen feinen Sinn für die höheren Bedürfnisse<lb/>
des Publicums verbinden, vollends diese ans ihrem Werkeltagsschlummer zu wecken<lb/>
verstehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_785"> Einen leichteren Stand als in Mannheim hat das Theater kaum irgendwo.<lb/>
Bedeutende Zuschüsse, von der Stadt und dem Staate (31,600 si. und 8000 si.),<lb/>
lebenslängliche Anstellungen, alles behaglich eingerichtet und ein Publicum, welches,<lb/>
stolz auf seine Bühne, ohne dieselbe nicht leben kann, sie cajolirt, mit ihr koket-<lb/>
tirt &#x2014; wer kann es besser wünschen? Dennoch zeigt sich auch hier in vielen<lb/>
Stücken kein befriedigendes Ergebniß. Das Publicum ist des Schauspielers Spie¬<lb/>
gel; das Publicum bildet den einzelnen Darsteller, die Bühne als Ganzes das<lb/>
Publicum. Wo aber diese Wechselwirkungen fortwährend principlos enthusiastisch<lb/>
sind, da scheitern beide nnr allzu leicht. Mannheim und das Mannheimer Theater<lb/>
genügen sich gegenseitig über die Maßen &#x2014; darum nur eben sich, nicht den hö¬<lb/>
heren und weiteren Anforderungen, wie es einer Stadt geziemen würde, die sich<lb/>
so gern als geistigen Centralpunkt relativ weiter Landesstrecken ansteht. Der tie¬<lb/>
fere Ernst ist verloren gegangen, die sinnlich wirkende Oper in ungerechtfertigten<lb/>
Ueberg^ewicht, im Drama fast nur das moderne Lustspiel (und davon das<lb/>
leichtere Genre) neben dem bürgerlichen Schauspiel fortschreitend vertreten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_786"> Was aus der Ferne als lebhaftes Theaterbedürsniß Heidelbergs erscheinen<lb/>
könnte, der Ban eines neuen Schauspielhauses, das gewinnt unter den bekannten<lb/>
localen Bedürfnissen eine für Mannheim vorwurfsvolle Bedeutung. Weil dieses<lb/>
das höhere Drama und classische Trauerspiel verabsäumte, konnte das Heidel¬<lb/>
berger Theater mit lauter Anfängern, auf ein fast ausschließend classisches Reper-<lb/>
toir und bei sehr mittelmäßiger Lösung schwerster Aufgaben während der ersten<lb/>
Monate seines Bestehens fortwährend reichbesejzte Häuser erzielen. Aber schon<lb/>
ist dies Repertoir nicht mehr durchführbar, nachdem das erste Sehnen nach le¬<lb/>
bendiger Vorführung der classischen Schöpfungen gesättigt ist; schon muß daS<lb/>
Naudcville und leichtes Spiel die Kasse nähren. Welche Aufgabe läßt Mannheim,<lb/>
dem zu ihrer Lösung Mittel und Wege gegeben wären, ungelöst bei Seite liegen!<lb/>
Sogar ein Sommertheater drängt sich jenseits des Rheins (in Ludwigshafen) riva-<lb/>
lisirend, nicht ohne Zulauf der Mannheimer heran, während die früheren Theater¬<lb/>
besucher Mannheims ans Heidelberg, Worms, Frankenthal, Speier, Landau, Türk¬<lb/>
heim ausbleiben. Ist diese Umwandlung nicht ein Beweis, daß Mannheim die<lb/>
Bilduugsmacht uicht übte, deren Uebung ihm bei der Empfänglichkeit seines<lb/>
Publicums so leicht gelingen würde? Dem guten Alten sein Recht und seine<lb/>
Würdigung; aber auch dem Neuen Prüfung und Gerechtigkeit. Nur in der Ue¬<lb/>
bung und dem Kampfe erproben sich die Kräfte, nur im systematischen Wechsel<lb/>
entwickelt sich eine Wechselwirkung zwischen Bühne und Publicum.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_787" next="#ID_788"> So treten wir an das Karlsruher Theater. Im südwestlichsten Winkel<lb/>
Deutschlands ist es als wichtigster Posten vorgeschoben. Seine nationale Aufgabe</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0304] und administrativer Technik auch einen feinen Sinn für die höheren Bedürfnisse des Publicums verbinden, vollends diese ans ihrem Werkeltagsschlummer zu wecken verstehen. Einen leichteren Stand als in Mannheim hat das Theater kaum irgendwo. Bedeutende Zuschüsse, von der Stadt und dem Staate (31,600 si. und 8000 si.), lebenslängliche Anstellungen, alles behaglich eingerichtet und ein Publicum, welches, stolz auf seine Bühne, ohne dieselbe nicht leben kann, sie cajolirt, mit ihr koket- tirt — wer kann es besser wünschen? Dennoch zeigt sich auch hier in vielen Stücken kein befriedigendes Ergebniß. Das Publicum ist des Schauspielers Spie¬ gel; das Publicum bildet den einzelnen Darsteller, die Bühne als Ganzes das Publicum. Wo aber diese Wechselwirkungen fortwährend principlos enthusiastisch sind, da scheitern beide nnr allzu leicht. Mannheim und das Mannheimer Theater genügen sich gegenseitig über die Maßen — darum nur eben sich, nicht den hö¬ heren und weiteren Anforderungen, wie es einer Stadt geziemen würde, die sich so gern als geistigen Centralpunkt relativ weiter Landesstrecken ansteht. Der tie¬ fere Ernst ist verloren gegangen, die sinnlich wirkende Oper in ungerechtfertigten Ueberg^ewicht, im Drama fast nur das moderne Lustspiel (und davon das leichtere Genre) neben dem bürgerlichen Schauspiel fortschreitend vertreten. Was aus der Ferne als lebhaftes Theaterbedürsniß Heidelbergs erscheinen könnte, der Ban eines neuen Schauspielhauses, das gewinnt unter den bekannten localen Bedürfnissen eine für Mannheim vorwurfsvolle Bedeutung. Weil dieses das höhere Drama und classische Trauerspiel verabsäumte, konnte das Heidel¬ berger Theater mit lauter Anfängern, auf ein fast ausschließend classisches Reper- toir und bei sehr mittelmäßiger Lösung schwerster Aufgaben während der ersten Monate seines Bestehens fortwährend reichbesejzte Häuser erzielen. Aber schon ist dies Repertoir nicht mehr durchführbar, nachdem das erste Sehnen nach le¬ bendiger Vorführung der classischen Schöpfungen gesättigt ist; schon muß daS Naudcville und leichtes Spiel die Kasse nähren. Welche Aufgabe läßt Mannheim, dem zu ihrer Lösung Mittel und Wege gegeben wären, ungelöst bei Seite liegen! Sogar ein Sommertheater drängt sich jenseits des Rheins (in Ludwigshafen) riva- lisirend, nicht ohne Zulauf der Mannheimer heran, während die früheren Theater¬ besucher Mannheims ans Heidelberg, Worms, Frankenthal, Speier, Landau, Türk¬ heim ausbleiben. Ist diese Umwandlung nicht ein Beweis, daß Mannheim die Bilduugsmacht uicht übte, deren Uebung ihm bei der Empfänglichkeit seines Publicums so leicht gelingen würde? Dem guten Alten sein Recht und seine Würdigung; aber auch dem Neuen Prüfung und Gerechtigkeit. Nur in der Ue¬ bung und dem Kampfe erproben sich die Kräfte, nur im systematischen Wechsel entwickelt sich eine Wechselwirkung zwischen Bühne und Publicum. So treten wir an das Karlsruher Theater. Im südwestlichsten Winkel Deutschlands ist es als wichtigster Posten vorgeschoben. Seine nationale Aufgabe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/304
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/304>, abgerufen am 22.07.2024.