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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Das süddeutsche Theater.
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(Frankfurt, Nassau, Hessen, Ba-den.)

"Sie sollen ihn nicht haben!" -- Das ist freilich verschollen und rococo;
ja wir lächeln altklug darüber, daß wir uns einmal heiser daran gesungen
haben. Aber der Müssetsche Gegentext wirbelt noch immer, bald lauter, bald
dumpfer. Wer weiß, wie nahe die Zeit, daß wir beweisen müssen, wie der in
nationalen Enttäuschungen gereifte Ernst und die besonnenste Entschlossenheit den
guten Kern unsers schlechten Liedes festgehalten hat, um seinen Geist zu verfechten
mit dem letzten Blutstropfen? Kaum verschwanden am Horizonte die letzten
Nachzügler jener Stnrmwctter, welche die durchwühlten Rheinland": dem Westen
zupeitschten, da will ein giftiger Samum die aufathmende geistige Entwickelung,
den wieder befestigten Staatsbestand, die sorgsame Wiederpflege des nationalen
Geistes verwelken und ersticken. Bayonette, der Ausbau des verschanzten Lagers
zu Rastatt, die Verstärkung der östreichischen Besatzungstruppe zu Mainz haben
am wenigsten eine Macht gegen dies neue Unwetter, das leider nicht blos aus
Frankreich und Rom, sondern auch ans Oestreich und Baiern als Segen und
Befruchtung gepriesen wird. Solchen offenen Feindschaften und falschen Freund-
schaften gegenüber steht das Volk der Rheinlande allerdings in festem Vertrauen
um die Führer seines Rechts und seiner Wohlfahrt, um die fürstliche Verfechtung
der nationalen Integrität. Aber die Gegenmächte sind stark; hinter ihrer offnen
Auflehnung harren politische Absichten, denen die staatliche Selbstständigkeit der
Rheinlande, die enge Verflechtung ihres Geistes mit dem des Gesammtvaterlandes
kaum minder unwillkommen ist, als den ultramontanistischen und romanischen
Vergewaltiguugstendenzen. Aus und ab flutet zudem der bnntgemischte Völker¬
strom an den Ufern des Rheins; seine Strudel und schmeichelnden Wellen ver¬
waschen unvermerkt manch festgeprägte Form des eigenen Wesens, mancher Tropfen
dringt auch höhlend in den Kern. Hier auf dem Grenzlande zwischen Frankreich
und Deutschland, auf dem Kampfgebiete des Romanismus gegen den Germanis¬
mus, hier gilt es, mit allen Mächten und Mitteln des Geistes das Bewußtsein
untrennbaren Zusammenhanges mit dem Gesammtvatcrland unablässig wachzurufen
und den Wechselverkehr nationaler Bildung in vollster Strömung zu erhalten.
Wo träte die nationale Bedeutung der Bühne stärker hervor, als auf den Ufer-
breiten vom Einströme des Mains in den Rhein, bis hinauf in die Ebenen von
Basel? Strenger als irgendwo wird darum hier die Frage nach dem Geist und
Gehalt ihrer Bestrebungen und Leistungen, schwerer als irgendwo- die Verant¬
wortlichkeit ihrer Leiter und Förderer, wie ihrer Entwürdiger und Verächter.


Das süddeutsche Theater.
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(Frankfurt, Nassau, Hessen, Ba-den.)

„Sie sollen ihn nicht haben!" — Das ist freilich verschollen und rococo;
ja wir lächeln altklug darüber, daß wir uns einmal heiser daran gesungen
haben. Aber der Müssetsche Gegentext wirbelt noch immer, bald lauter, bald
dumpfer. Wer weiß, wie nahe die Zeit, daß wir beweisen müssen, wie der in
nationalen Enttäuschungen gereifte Ernst und die besonnenste Entschlossenheit den
guten Kern unsers schlechten Liedes festgehalten hat, um seinen Geist zu verfechten
mit dem letzten Blutstropfen? Kaum verschwanden am Horizonte die letzten
Nachzügler jener Stnrmwctter, welche die durchwühlten Rheinland«: dem Westen
zupeitschten, da will ein giftiger Samum die aufathmende geistige Entwickelung,
den wieder befestigten Staatsbestand, die sorgsame Wiederpflege des nationalen
Geistes verwelken und ersticken. Bayonette, der Ausbau des verschanzten Lagers
zu Rastatt, die Verstärkung der östreichischen Besatzungstruppe zu Mainz haben
am wenigsten eine Macht gegen dies neue Unwetter, das leider nicht blos aus
Frankreich und Rom, sondern auch ans Oestreich und Baiern als Segen und
Befruchtung gepriesen wird. Solchen offenen Feindschaften und falschen Freund-
schaften gegenüber steht das Volk der Rheinlande allerdings in festem Vertrauen
um die Führer seines Rechts und seiner Wohlfahrt, um die fürstliche Verfechtung
der nationalen Integrität. Aber die Gegenmächte sind stark; hinter ihrer offnen
Auflehnung harren politische Absichten, denen die staatliche Selbstständigkeit der
Rheinlande, die enge Verflechtung ihres Geistes mit dem des Gesammtvaterlandes
kaum minder unwillkommen ist, als den ultramontanistischen und romanischen
Vergewaltiguugstendenzen. Aus und ab flutet zudem der bnntgemischte Völker¬
strom an den Ufern des Rheins; seine Strudel und schmeichelnden Wellen ver¬
waschen unvermerkt manch festgeprägte Form des eigenen Wesens, mancher Tropfen
dringt auch höhlend in den Kern. Hier auf dem Grenzlande zwischen Frankreich
und Deutschland, auf dem Kampfgebiete des Romanismus gegen den Germanis¬
mus, hier gilt es, mit allen Mächten und Mitteln des Geistes das Bewußtsein
untrennbaren Zusammenhanges mit dem Gesammtvatcrland unablässig wachzurufen
und den Wechselverkehr nationaler Bildung in vollster Strömung zu erhalten.
Wo träte die nationale Bedeutung der Bühne stärker hervor, als auf den Ufer-
breiten vom Einströme des Mains in den Rhein, bis hinauf in die Ebenen von
Basel? Strenger als irgendwo wird darum hier die Frage nach dem Geist und
Gehalt ihrer Bestrebungen und Leistungen, schwerer als irgendwo- die Verant¬
wortlichkeit ihrer Leiter und Förderer, wie ihrer Entwürdiger und Verächter.


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[0300] Das süddeutsche Theater. ,--,^,-k ..- .'.j ^'5^.?tO.^ .Ili,!s-.s! -:sMK (Frankfurt, Nassau, Hessen, Ba-den.) „Sie sollen ihn nicht haben!" — Das ist freilich verschollen und rococo; ja wir lächeln altklug darüber, daß wir uns einmal heiser daran gesungen haben. Aber der Müssetsche Gegentext wirbelt noch immer, bald lauter, bald dumpfer. Wer weiß, wie nahe die Zeit, daß wir beweisen müssen, wie der in nationalen Enttäuschungen gereifte Ernst und die besonnenste Entschlossenheit den guten Kern unsers schlechten Liedes festgehalten hat, um seinen Geist zu verfechten mit dem letzten Blutstropfen? Kaum verschwanden am Horizonte die letzten Nachzügler jener Stnrmwctter, welche die durchwühlten Rheinland«: dem Westen zupeitschten, da will ein giftiger Samum die aufathmende geistige Entwickelung, den wieder befestigten Staatsbestand, die sorgsame Wiederpflege des nationalen Geistes verwelken und ersticken. Bayonette, der Ausbau des verschanzten Lagers zu Rastatt, die Verstärkung der östreichischen Besatzungstruppe zu Mainz haben am wenigsten eine Macht gegen dies neue Unwetter, das leider nicht blos aus Frankreich und Rom, sondern auch ans Oestreich und Baiern als Segen und Befruchtung gepriesen wird. Solchen offenen Feindschaften und falschen Freund- schaften gegenüber steht das Volk der Rheinlande allerdings in festem Vertrauen um die Führer seines Rechts und seiner Wohlfahrt, um die fürstliche Verfechtung der nationalen Integrität. Aber die Gegenmächte sind stark; hinter ihrer offnen Auflehnung harren politische Absichten, denen die staatliche Selbstständigkeit der Rheinlande, die enge Verflechtung ihres Geistes mit dem des Gesammtvaterlandes kaum minder unwillkommen ist, als den ultramontanistischen und romanischen Vergewaltiguugstendenzen. Aus und ab flutet zudem der bnntgemischte Völker¬ strom an den Ufern des Rheins; seine Strudel und schmeichelnden Wellen ver¬ waschen unvermerkt manch festgeprägte Form des eigenen Wesens, mancher Tropfen dringt auch höhlend in den Kern. Hier auf dem Grenzlande zwischen Frankreich und Deutschland, auf dem Kampfgebiete des Romanismus gegen den Germanis¬ mus, hier gilt es, mit allen Mächten und Mitteln des Geistes das Bewußtsein untrennbaren Zusammenhanges mit dem Gesammtvatcrland unablässig wachzurufen und den Wechselverkehr nationaler Bildung in vollster Strömung zu erhalten. Wo träte die nationale Bedeutung der Bühne stärker hervor, als auf den Ufer- breiten vom Einströme des Mains in den Rhein, bis hinauf in die Ebenen von Basel? Strenger als irgendwo wird darum hier die Frage nach dem Geist und Gehalt ihrer Bestrebungen und Leistungen, schwerer als irgendwo- die Verant¬ wortlichkeit ihrer Leiter und Förderer, wie ihrer Entwürdiger und Verächter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/300>, abgerufen am 22.07.2024.