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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Orkneys gern wissen wollen, wie das junge Mädchen ausgesehen und was sie
gesagt, als sie erfahren, daß sie den höchsten Nang und die größte Macht ans
Erden hat. In einigen Wochen werden ihre Unterthauen in den fernsten ca-
nadischen Provinzen ihres Gebiets an den gelichteten Stellen des Waldes in der
Sommernacht oder im hellen Mondschein auf der Prairie zusammenkommen, um
sich zu fragen, ob nicht einer wüßte, wie die Königin ausgesehen und was sie
gesagt, als sie die Neuigkeit erfahren. In einigen Monaten werden Boten mit
Turbanen über die Ebenen von Indien mit der Nachricht eilen; und an schattigen
Plätzen oder unter dem Dach der Zelte wird man in ähnlicher Weise über die
Gedanken der Königin Betrachtungen 'anstellen, und Soldaten werden sich selbst
und einander gegenseitig schwören, in ihrem Dienst zu fechten und zu sterben.
Etwas später wird der einsame Hirt in den australischen Ebenen die Neuigkeit,
die ein Reisender von der Küste gebracht, überdenken, und, wenn er ein Ver¬
bannter wegen Armuth oder wegen eines Verbrechens ist, weiter nachsinnen, ob durch
Mangel oder Versuchung Menschen jetzt immer noch so schmerzlich leiden konnten,
da eine junge Königin, mit einem Herzen voll Gnade, und einer Gewalt, zu
thun, was sie möchte, über ein ihr ergebenes Volk herrschen sollte. Es war ein
Ereigniß, welches alle Herzen rührte. Was jeder besonders zu erfahren verlangte,
war, ob solche Erhebung und Hoffnung in dem Herzen der jungen Königin selbst wäre.
Jede Bewegung, jeder Ton wurde an diesem außerordentlichen Tage ihres Lebens
und einige Zeit nachher begierig und liebreich beobachtet, und an jenem Tage
war ihr Benehmen ganz so wie man es wünschen konnte.

Bei der Zusammenkunft der Prinzen, Peers und anderen Räthe unterzeich¬
neten dieselben den Eid der Treue; und der erste Name aus der Liste war: "Ernst",
' König von Hannover. Die Königin veranlaßte, daß sie alle als Mitglieder ihres
Raths eingeschworen wurden, und redete sie dann an: worauf sie Befehle für die
Proclamation Ihrer Majestät gaben. Wenn die Millionen, welche es zu wissen
verlangten, wie die junge Fürstin aussah und dachte, von ihrer ersten Rede hätten
Nachricht haben können, so würde dieselbe sie höchlichst befriedigt haben. Die
Rede war, natürlich, für sie vorbereitet; aber die Miene und Stimme waren ihr
eigen, und sagten viel. Ihre Miene war ernst, bescheiden und würdig, ihre Stimme
> fest und lieblich; ihr Lesen, wie gewöhnlich, schön. Sie leistete die gewöhnlichen
Eide, und empfing dk eifrigen Huldigungen des sich drängenden Adels, ohne
Aufregung oder irgend eine Art von Ungeschicklichkeit. Ihre Deklaration enthielt
eine warme Bezugnahme auf den verstorbenen König, eine Versicherung ihrer
Anhänglichkeit an die Verfassung des Landes und ihres Vorhabens, in Ueberein¬
stimmung mit derselben zu regieren, eine dankbare Hindeutung auf die Sorgfalt
ihrer Mutter für ihre Erziehung; ein Bekenntniß, daß sie, bei der ihr obliegenden
hohen Verantwortlichkeit, auf den Schutz und die Leitung der göttlichen Vor¬
sehung baute; und eine Verbürgung, daß ihr Leben dem Glück ihres Volks geweiht


Orkneys gern wissen wollen, wie das junge Mädchen ausgesehen und was sie
gesagt, als sie erfahren, daß sie den höchsten Nang und die größte Macht ans
Erden hat. In einigen Wochen werden ihre Unterthauen in den fernsten ca-
nadischen Provinzen ihres Gebiets an den gelichteten Stellen des Waldes in der
Sommernacht oder im hellen Mondschein auf der Prairie zusammenkommen, um
sich zu fragen, ob nicht einer wüßte, wie die Königin ausgesehen und was sie
gesagt, als sie die Neuigkeit erfahren. In einigen Monaten werden Boten mit
Turbanen über die Ebenen von Indien mit der Nachricht eilen; und an schattigen
Plätzen oder unter dem Dach der Zelte wird man in ähnlicher Weise über die
Gedanken der Königin Betrachtungen 'anstellen, und Soldaten werden sich selbst
und einander gegenseitig schwören, in ihrem Dienst zu fechten und zu sterben.
Etwas später wird der einsame Hirt in den australischen Ebenen die Neuigkeit,
die ein Reisender von der Küste gebracht, überdenken, und, wenn er ein Ver¬
bannter wegen Armuth oder wegen eines Verbrechens ist, weiter nachsinnen, ob durch
Mangel oder Versuchung Menschen jetzt immer noch so schmerzlich leiden konnten,
da eine junge Königin, mit einem Herzen voll Gnade, und einer Gewalt, zu
thun, was sie möchte, über ein ihr ergebenes Volk herrschen sollte. Es war ein
Ereigniß, welches alle Herzen rührte. Was jeder besonders zu erfahren verlangte,
war, ob solche Erhebung und Hoffnung in dem Herzen der jungen Königin selbst wäre.
Jede Bewegung, jeder Ton wurde an diesem außerordentlichen Tage ihres Lebens
und einige Zeit nachher begierig und liebreich beobachtet, und an jenem Tage
war ihr Benehmen ganz so wie man es wünschen konnte.

Bei der Zusammenkunft der Prinzen, Peers und anderen Räthe unterzeich¬
neten dieselben den Eid der Treue; und der erste Name aus der Liste war: „Ernst",
' König von Hannover. Die Königin veranlaßte, daß sie alle als Mitglieder ihres
Raths eingeschworen wurden, und redete sie dann an: worauf sie Befehle für die
Proclamation Ihrer Majestät gaben. Wenn die Millionen, welche es zu wissen
verlangten, wie die junge Fürstin aussah und dachte, von ihrer ersten Rede hätten
Nachricht haben können, so würde dieselbe sie höchlichst befriedigt haben. Die
Rede war, natürlich, für sie vorbereitet; aber die Miene und Stimme waren ihr
eigen, und sagten viel. Ihre Miene war ernst, bescheiden und würdig, ihre Stimme
> fest und lieblich; ihr Lesen, wie gewöhnlich, schön. Sie leistete die gewöhnlichen
Eide, und empfing dk eifrigen Huldigungen des sich drängenden Adels, ohne
Aufregung oder irgend eine Art von Ungeschicklichkeit. Ihre Deklaration enthielt
eine warme Bezugnahme auf den verstorbenen König, eine Versicherung ihrer
Anhänglichkeit an die Verfassung des Landes und ihres Vorhabens, in Ueberein¬
stimmung mit derselben zu regieren, eine dankbare Hindeutung auf die Sorgfalt
ihrer Mutter für ihre Erziehung; ein Bekenntniß, daß sie, bei der ihr obliegenden
hohen Verantwortlichkeit, auf den Schutz und die Leitung der göttlichen Vor¬
sehung baute; und eine Verbürgung, daß ihr Leben dem Glück ihres Volks geweiht


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[0029] Orkneys gern wissen wollen, wie das junge Mädchen ausgesehen und was sie gesagt, als sie erfahren, daß sie den höchsten Nang und die größte Macht ans Erden hat. In einigen Wochen werden ihre Unterthauen in den fernsten ca- nadischen Provinzen ihres Gebiets an den gelichteten Stellen des Waldes in der Sommernacht oder im hellen Mondschein auf der Prairie zusammenkommen, um sich zu fragen, ob nicht einer wüßte, wie die Königin ausgesehen und was sie gesagt, als sie die Neuigkeit erfahren. In einigen Monaten werden Boten mit Turbanen über die Ebenen von Indien mit der Nachricht eilen; und an schattigen Plätzen oder unter dem Dach der Zelte wird man in ähnlicher Weise über die Gedanken der Königin Betrachtungen 'anstellen, und Soldaten werden sich selbst und einander gegenseitig schwören, in ihrem Dienst zu fechten und zu sterben. Etwas später wird der einsame Hirt in den australischen Ebenen die Neuigkeit, die ein Reisender von der Küste gebracht, überdenken, und, wenn er ein Ver¬ bannter wegen Armuth oder wegen eines Verbrechens ist, weiter nachsinnen, ob durch Mangel oder Versuchung Menschen jetzt immer noch so schmerzlich leiden konnten, da eine junge Königin, mit einem Herzen voll Gnade, und einer Gewalt, zu thun, was sie möchte, über ein ihr ergebenes Volk herrschen sollte. Es war ein Ereigniß, welches alle Herzen rührte. Was jeder besonders zu erfahren verlangte, war, ob solche Erhebung und Hoffnung in dem Herzen der jungen Königin selbst wäre. Jede Bewegung, jeder Ton wurde an diesem außerordentlichen Tage ihres Lebens und einige Zeit nachher begierig und liebreich beobachtet, und an jenem Tage war ihr Benehmen ganz so wie man es wünschen konnte. Bei der Zusammenkunft der Prinzen, Peers und anderen Räthe unterzeich¬ neten dieselben den Eid der Treue; und der erste Name aus der Liste war: „Ernst", ' König von Hannover. Die Königin veranlaßte, daß sie alle als Mitglieder ihres Raths eingeschworen wurden, und redete sie dann an: worauf sie Befehle für die Proclamation Ihrer Majestät gaben. Wenn die Millionen, welche es zu wissen verlangten, wie die junge Fürstin aussah und dachte, von ihrer ersten Rede hätten Nachricht haben können, so würde dieselbe sie höchlichst befriedigt haben. Die Rede war, natürlich, für sie vorbereitet; aber die Miene und Stimme waren ihr eigen, und sagten viel. Ihre Miene war ernst, bescheiden und würdig, ihre Stimme > fest und lieblich; ihr Lesen, wie gewöhnlich, schön. Sie leistete die gewöhnlichen Eide, und empfing dk eifrigen Huldigungen des sich drängenden Adels, ohne Aufregung oder irgend eine Art von Ungeschicklichkeit. Ihre Deklaration enthielt eine warme Bezugnahme auf den verstorbenen König, eine Versicherung ihrer Anhänglichkeit an die Verfassung des Landes und ihres Vorhabens, in Ueberein¬ stimmung mit derselben zu regieren, eine dankbare Hindeutung auf die Sorgfalt ihrer Mutter für ihre Erziehung; ein Bekenntniß, daß sie, bei der ihr obliegenden hohen Verantwortlichkeit, auf den Schutz und die Leitung der göttlichen Vor¬ sehung baute; und eine Verbürgung, daß ihr Leben dem Glück ihres Volks geweiht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/29>, abgerufen am 25.07.2024.