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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Da zuckt der Verzweiflung verzehrender Strahl.
Hier thront nur el" Papst, die Leidenschaft.
Und schleudert ihre vernichtenden Bullen;
Es thürmen die Summen sich geisterhaft,
Kaum trägt die Eins die wachsenden Nullen.
Es sangt der schwarze Vampyr, die Ziffer,
Das Lebensblut einer reichen Welt,
Verschlingt das S chiss zugleich mit dem Schiffer u. s. w.

Diese Bildersprache ist nicht kühn, sondern nur salopp. Daß die Ziffer ein
Vampyr genannt wird und das; dieser Vampyr nicht, wie es ihm ziemt, den Leuten das
Blut aussaugt, sondern ganze Schiffe frißt, das kann uns wol ein Jmprovisator vor¬
tragen, aber in einem wirklichen Gedicht darf so etwas nicht vorkommen. Wir würden
gar kein Ende finden, wenn wir alle entsprechenden Stellen anführen wollten. In der
Zeit der Sturm- und Drangperiode kamen dergleichen Improvisationen auch bei höchst
talentvollen Dichtern häufig vor, solange sie noch in ihrem jugendlichen Gährnngs-
Proceß waren; aber damals galt eS, der ganz prosaischen Sprache neue Formen
für die Poesie abzugewinnen, während jetzt unsere Sprache bereits so poetisch
geworden ist, daß sie sich selber nicht mehr versteht. Heutzutage haben unsere Dichter
die Pflicht, mit der größten Strenge und Energie auch in der Sprache ihre
schwächlichen subjectiven Gelüste zu bekämpfen, wie es unsere guten Dichter
eigentlich immer gethan haben. Möge Herr Gottschall einmal den Briefwechsel
Schillers mit Goethe, Humboldt und Körner aufschlagen, um zu scheu, mit
welcher Gewissenhaftigkeit hier jedes Bild, jede Wendung abgewogen wurde.
Bequemer ist es freilich, zu improvisiren in der rohen ungeschulten Weise der
, Meuge, die darin dem verwandten Geist des Dichters gewiß Beifall zujauchzen
, wird. Wir aber haben von unserm Dichter immer noch eine bessere Meinung
und glauben, daß ihm ein strenger motivirter Tadel heilsamer sein wird, alö das
gedankenlose Lob, an dus er seit den elf Jahren seiner dichterischen Thätigkeit
nur zu sehr gewöhnt ist.




Die Königin Victoria bei ihrer Thronbesteigung.

Geschichte Englands währenddes 30jährigen Friedens von Harriet
Martineau. übersetzt von C. I. Verzins,- 3 Bd.. Berlin. Franz
Duncker 1833.

Der vorliegende Theil dieses Werkes umsaßt den Zeitraum von 1834 bis
1841, die Periode von dem berühmten kurzen Ministerium des Herzogs von
Wellington, in welchem er anfänglich acht ministerielle Aemter übernahm, bis zur
Zeit, welche dem Sturz des Ministeriums Melbourne unmittelbar vorherging.
Das Werk hat die Tendenz, die Fortschritte Englands in der innern Gesetzgebung,


3'
Da zuckt der Verzweiflung verzehrender Strahl.
Hier thront nur el» Papst, die Leidenschaft.
Und schleudert ihre vernichtenden Bullen;
Es thürmen die Summen sich geisterhaft,
Kaum trägt die Eins die wachsenden Nullen.
Es sangt der schwarze Vampyr, die Ziffer,
Das Lebensblut einer reichen Welt,
Verschlingt das S chiss zugleich mit dem Schiffer u. s. w.

Diese Bildersprache ist nicht kühn, sondern nur salopp. Daß die Ziffer ein
Vampyr genannt wird und das; dieser Vampyr nicht, wie es ihm ziemt, den Leuten das
Blut aussaugt, sondern ganze Schiffe frißt, das kann uns wol ein Jmprovisator vor¬
tragen, aber in einem wirklichen Gedicht darf so etwas nicht vorkommen. Wir würden
gar kein Ende finden, wenn wir alle entsprechenden Stellen anführen wollten. In der
Zeit der Sturm- und Drangperiode kamen dergleichen Improvisationen auch bei höchst
talentvollen Dichtern häufig vor, solange sie noch in ihrem jugendlichen Gährnngs-
Proceß waren; aber damals galt eS, der ganz prosaischen Sprache neue Formen
für die Poesie abzugewinnen, während jetzt unsere Sprache bereits so poetisch
geworden ist, daß sie sich selber nicht mehr versteht. Heutzutage haben unsere Dichter
die Pflicht, mit der größten Strenge und Energie auch in der Sprache ihre
schwächlichen subjectiven Gelüste zu bekämpfen, wie es unsere guten Dichter
eigentlich immer gethan haben. Möge Herr Gottschall einmal den Briefwechsel
Schillers mit Goethe, Humboldt und Körner aufschlagen, um zu scheu, mit
welcher Gewissenhaftigkeit hier jedes Bild, jede Wendung abgewogen wurde.
Bequemer ist es freilich, zu improvisiren in der rohen ungeschulten Weise der
, Meuge, die darin dem verwandten Geist des Dichters gewiß Beifall zujauchzen
, wird. Wir aber haben von unserm Dichter immer noch eine bessere Meinung
und glauben, daß ihm ein strenger motivirter Tadel heilsamer sein wird, alö das
gedankenlose Lob, an dus er seit den elf Jahren seiner dichterischen Thätigkeit
nur zu sehr gewöhnt ist.




Die Königin Victoria bei ihrer Thronbesteigung.

Geschichte Englands währenddes 30jährigen Friedens von Harriet
Martineau. übersetzt von C. I. Verzins,- 3 Bd.. Berlin. Franz
Duncker 1833.

Der vorliegende Theil dieses Werkes umsaßt den Zeitraum von 1834 bis
1841, die Periode von dem berühmten kurzen Ministerium des Herzogs von
Wellington, in welchem er anfänglich acht ministerielle Aemter übernahm, bis zur
Zeit, welche dem Sturz des Ministeriums Melbourne unmittelbar vorherging.
Das Werk hat die Tendenz, die Fortschritte Englands in der innern Gesetzgebung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/27>, abgerufen am 22.07.2024.