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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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ihrer Mittel und die großen Bildungsunterschiede zwischen ihrem speciellen Publi-
cum n"d dem der Provinzen in einer vereinsamten Stellung, so ist die Stutt¬
garter Bühne räumlich zu weit von den Theatern der nächstgroßen Städte ge¬
trennt, um deren Leitern zum Vorbild zu dienen und ans den Geschmack ihres
Publicums einen bestimmenden Einfluß zu üben.

Die eigenthümliche Stellung beider Hauptstädte zu den übrigen Städten ihrer
Monarchien bringt besondere Verhältnisse. Beide übertreffen sämmtliche Städte
unverhältnißmäßig an Größe und Einwohnerzahl, beide concentriren Wohlhaben¬
heit, Bildung und Intelligenz ihrer Staaten in einer Weise, wie wir es sonst nir¬
gends in Deutschland wiederfinden; in beiden ist endlich das Publicum der Hof-
theater ein exclusives, Unmittelbar außerhalb seiner Kreise sind die geistigen An¬
forderungen geringer, als selbst in viel kleineren Städten des übrigen Deutschland.
So entstehen schon in den Residenzen nicht Stadttheater neben den Hofbühnen,
wie anderwärts, sondern ziemlich ausschließlich sogenannte Volkstheater, welche das
höhere Drama und die edlere Oper principiell fernhalten. Dieses Beispiel, nicht
das der Hoftheater, wirkt auf die Provinzen. Mit dem Repertoir der Hoftheater
wird schon darum meistens gar keine Concurrenz versucht, weil dieselbe einerseits
voraussichtlich pecuniär nicht lohnend sein würde, während andererseits selbst bei
guter Theilnahme des Publicums die dramatischen Leistungen durchaus nickt mit
denen der Hofbühnen zu rivalisiren vermöchten. Diese sind vielmehr in ihren
Mitteln so gestellt, daß sie unter den Koryphäen der Darstellnngskunst ziemlich
unbeschränkt wählen können. Und während sie von ihren Mitgliedern keines an
die Provinzialbühnen abtreten, außer etwa zu Gastspielen, gehört es auch zu den
seltensten Ausnahmen, daß sie neue Kräfte und Talente ans jenen zu sich heran¬
ziehen. Der Prvvinzialschanspicler Oestreichs und Baierns hat also gewöhnlich
gar keine Aussicht, jemals in die festere und äußerlich günstigere Stellung eines
Hofschanspielers berufen zu werde"; er kann höchstens strebe", eine der größeren
Provinzialbühnen zu erreichen. Dies ist auf seinen Bildungsgang und seine Dar-
stellungsweise von bedeutendem Einflüsse. Denn er wird natürlich vor allem nach
Provinzialberühmlheit streben. Anstatt den strengere" Anforderungen der Hoftheater
nachzustreben, werden ihm die local beliebten Formen und Manieren maßgebend.
Indem er den wenig ästhetischen Launen eines Publicums schmeichelt, welches in
Prvvinzialer Eitelkeit sich nur allzugern für untrüglich erachtet, steigert er dessen
Selbstgefälligkeit und berauscht sich in den Huldigungen, welche ihm um so un¬
gemessener zu Theil werden, je geschickter er mit dreisten Abweichungen vom
Pfade der schönen Natürlichkeit und kiinstlerischeu Wahrheit auf locale Schwächen
und Neigungen speculirt. solchermaßen verhätscheln Publicum und Darsteller
einander gegenseitig. Selbst der beste Wille der Theaterleiluug wird nun an der
Abneigung der Theaterbesucher gegen höhere Kuusteutwickelungcn zum Scheitern
gebracht. Das bcstangelegte Repertoir kaun nicht durchgingen; um pecuniär


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ihrer Mittel und die großen Bildungsunterschiede zwischen ihrem speciellen Publi-
cum n»d dem der Provinzen in einer vereinsamten Stellung, so ist die Stutt¬
garter Bühne räumlich zu weit von den Theatern der nächstgroßen Städte ge¬
trennt, um deren Leitern zum Vorbild zu dienen und ans den Geschmack ihres
Publicums einen bestimmenden Einfluß zu üben.

Die eigenthümliche Stellung beider Hauptstädte zu den übrigen Städten ihrer
Monarchien bringt besondere Verhältnisse. Beide übertreffen sämmtliche Städte
unverhältnißmäßig an Größe und Einwohnerzahl, beide concentriren Wohlhaben¬
heit, Bildung und Intelligenz ihrer Staaten in einer Weise, wie wir es sonst nir¬
gends in Deutschland wiederfinden; in beiden ist endlich das Publicum der Hof-
theater ein exclusives, Unmittelbar außerhalb seiner Kreise sind die geistigen An¬
forderungen geringer, als selbst in viel kleineren Städten des übrigen Deutschland.
So entstehen schon in den Residenzen nicht Stadttheater neben den Hofbühnen,
wie anderwärts, sondern ziemlich ausschließlich sogenannte Volkstheater, welche das
höhere Drama und die edlere Oper principiell fernhalten. Dieses Beispiel, nicht
das der Hoftheater, wirkt auf die Provinzen. Mit dem Repertoir der Hoftheater
wird schon darum meistens gar keine Concurrenz versucht, weil dieselbe einerseits
voraussichtlich pecuniär nicht lohnend sein würde, während andererseits selbst bei
guter Theilnahme des Publicums die dramatischen Leistungen durchaus nickt mit
denen der Hofbühnen zu rivalisiren vermöchten. Diese sind vielmehr in ihren
Mitteln so gestellt, daß sie unter den Koryphäen der Darstellnngskunst ziemlich
unbeschränkt wählen können. Und während sie von ihren Mitgliedern keines an
die Provinzialbühnen abtreten, außer etwa zu Gastspielen, gehört es auch zu den
seltensten Ausnahmen, daß sie neue Kräfte und Talente ans jenen zu sich heran¬
ziehen. Der Prvvinzialschanspicler Oestreichs und Baierns hat also gewöhnlich
gar keine Aussicht, jemals in die festere und äußerlich günstigere Stellung eines
Hofschanspielers berufen zu werde»; er kann höchstens strebe», eine der größeren
Provinzialbühnen zu erreichen. Dies ist auf seinen Bildungsgang und seine Dar-
stellungsweise von bedeutendem Einflüsse. Denn er wird natürlich vor allem nach
Provinzialberühmlheit streben. Anstatt den strengere» Anforderungen der Hoftheater
nachzustreben, werden ihm die local beliebten Formen und Manieren maßgebend.
Indem er den wenig ästhetischen Launen eines Publicums schmeichelt, welches in
Prvvinzialer Eitelkeit sich nur allzugern für untrüglich erachtet, steigert er dessen
Selbstgefälligkeit und berauscht sich in den Huldigungen, welche ihm um so un¬
gemessener zu Theil werden, je geschickter er mit dreisten Abweichungen vom
Pfade der schönen Natürlichkeit und kiinstlerischeu Wahrheit auf locale Schwächen
und Neigungen speculirt. solchermaßen verhätscheln Publicum und Darsteller
einander gegenseitig. Selbst der beste Wille der Theaterleiluug wird nun an der
Abneigung der Theaterbesucher gegen höhere Kuusteutwickelungcn zum Scheitern
gebracht. Das bcstangelegte Repertoir kaun nicht durchgingen; um pecuniär


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[0267] ihrer Mittel und die großen Bildungsunterschiede zwischen ihrem speciellen Publi- cum n»d dem der Provinzen in einer vereinsamten Stellung, so ist die Stutt¬ garter Bühne räumlich zu weit von den Theatern der nächstgroßen Städte ge¬ trennt, um deren Leitern zum Vorbild zu dienen und ans den Geschmack ihres Publicums einen bestimmenden Einfluß zu üben. Die eigenthümliche Stellung beider Hauptstädte zu den übrigen Städten ihrer Monarchien bringt besondere Verhältnisse. Beide übertreffen sämmtliche Städte unverhältnißmäßig an Größe und Einwohnerzahl, beide concentriren Wohlhaben¬ heit, Bildung und Intelligenz ihrer Staaten in einer Weise, wie wir es sonst nir¬ gends in Deutschland wiederfinden; in beiden ist endlich das Publicum der Hof- theater ein exclusives, Unmittelbar außerhalb seiner Kreise sind die geistigen An¬ forderungen geringer, als selbst in viel kleineren Städten des übrigen Deutschland. So entstehen schon in den Residenzen nicht Stadttheater neben den Hofbühnen, wie anderwärts, sondern ziemlich ausschließlich sogenannte Volkstheater, welche das höhere Drama und die edlere Oper principiell fernhalten. Dieses Beispiel, nicht das der Hoftheater, wirkt auf die Provinzen. Mit dem Repertoir der Hoftheater wird schon darum meistens gar keine Concurrenz versucht, weil dieselbe einerseits voraussichtlich pecuniär nicht lohnend sein würde, während andererseits selbst bei guter Theilnahme des Publicums die dramatischen Leistungen durchaus nickt mit denen der Hofbühnen zu rivalisiren vermöchten. Diese sind vielmehr in ihren Mitteln so gestellt, daß sie unter den Koryphäen der Darstellnngskunst ziemlich unbeschränkt wählen können. Und während sie von ihren Mitgliedern keines an die Provinzialbühnen abtreten, außer etwa zu Gastspielen, gehört es auch zu den seltensten Ausnahmen, daß sie neue Kräfte und Talente ans jenen zu sich heran¬ ziehen. Der Prvvinzialschanspicler Oestreichs und Baierns hat also gewöhnlich gar keine Aussicht, jemals in die festere und äußerlich günstigere Stellung eines Hofschanspielers berufen zu werde»; er kann höchstens strebe», eine der größeren Provinzialbühnen zu erreichen. Dies ist auf seinen Bildungsgang und seine Dar- stellungsweise von bedeutendem Einflüsse. Denn er wird natürlich vor allem nach Provinzialberühmlheit streben. Anstatt den strengere» Anforderungen der Hoftheater nachzustreben, werden ihm die local beliebten Formen und Manieren maßgebend. Indem er den wenig ästhetischen Launen eines Publicums schmeichelt, welches in Prvvinzialer Eitelkeit sich nur allzugern für untrüglich erachtet, steigert er dessen Selbstgefälligkeit und berauscht sich in den Huldigungen, welche ihm um so un¬ gemessener zu Theil werden, je geschickter er mit dreisten Abweichungen vom Pfade der schönen Natürlichkeit und kiinstlerischeu Wahrheit auf locale Schwächen und Neigungen speculirt. solchermaßen verhätscheln Publicum und Darsteller einander gegenseitig. Selbst der beste Wille der Theaterleiluug wird nun an der Abneigung der Theaterbesucher gegen höhere Kuusteutwickelungcn zum Scheitern gebracht. Das bcstangelegte Repertoir kaun nicht durchgingen; um pecuniär 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/267>, abgerufen am 25.08.2024.