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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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licher Thätigkeit und Bewegung, wie ein gewöhnliches Menschenkind, einen fallen¬
den Krieger in den Armen zu halten; das ist Sache einer zärtlichen Freundin oder
Pflegerin, während der Victoria Beruf ist, auch dem Fallenden noch die erhabene
Göttin zu sein, die ihm Sieg und Ruhm als Preis für Kampf und Tod beut,
ihn durch solchen Lohn tröstend erhebt und ihn in starkem Arm sicher empfängt,
um ihn zum verheißenen Himmel des Ruhms zu tragen. Diese Victoria erscheint
zu weich, fast sentimental, doch ist sie nicht ohne Grazie, wenn freilich anch von
etwas manierirtcr. Aber vollkommen mißlungen ist der Jüngling, der wahrlich
nicht so aussieht, als ob er seinem Feinde viel zu schaffen gemacht hat und in
rüstigem Kampf gefallen ist, sondern eher, wie auf dem Marsche ermüdet; dabei
ist er unschön in der Bewegung, namentlich die Beine, von flacher Brust und
unkräftigen Bau, besonders mißlungen ist die hängende rechte Schulter und die
Hüftpartie.

Manches gute und zum Theil schöne Detail, vorzüglich in der Figur der Victo-
rien, kann für den im allgemeinen verfehlten Eindruck nicht entschädigen. -- Welch
kräftige Gestalten und Geberden dagegen in den übrigen Gruppen! Wir gehen
gleich weiter zu der von A. Wolfs, der einzigen noch auf dieser Seite vollen¬
deten. Ein Jüngling, der das Schwert zieht, stürzt sich zum Streit vor, geführt
von Minerva, welche die eine Hand anfeuernd hoch über ihn hebt, in der andern
einen Kranz als Kampfpreis hält. Ist schon der Jüngling voll Kraft und Leben, so
ist die überlegene Sicherheit und göttliche Erhabenheit der Minerva ungleich hö¬
her anzuschlagen; ich möchte ihr von den drei Minerveu, die alle schon sind, fast
den Preis zuerkennen, während ich unter den Kriegern wol dem von Schievelbein,
der unter Minervas Anleitung den Speer wirft, eher den Vorzug gebe. Er ist
durchweg schön, kraftvoll und lebendig in Ausdruck, Form und Bewegung, da bei
aller Vortrefflichkeit der übrigen doch hie und da etwas auszusetze" ist. So er¬
scheint bei dem vorerwähnten von A. Wolff der Oberkörper mit den Arme",
vorzüglich die Brust von etwas zu runder, weicher Fülle, was mit den festgeformten
Beinen nicht recht in Harmonie steht. -- Bei der Gruppe von Möller, Minerva
übergibt einem Jüngling el" Schwert (wie zur Vertheidigung des Vaterlandes),
i" der andern Hand eine Victoria haltend (das Ziel, das er erstreben soll), ist
die Minerva außerordentlich schön, namentlich bietet ihre Gestalt von der Seite
der Linden aus gesehen höchst wohlthuende Lineen. Der Jüngling aber befriedigt
zwar vollkommen in der Form und Bildung, jedoch nicht ganz in der Be¬
wegung. Die vortreffliche Intention, das erhebende Gefühl auszudrücken, das
alle Glieder in dem Moment durchzuckt, als er das Schwert zur Vertheidigung
des Vaterlandes empfängt, äußert sich zwar verständlich, aber nicht recht fein und
natürlich in der etwas starken Senkung der einen Hüfte gegen die andere und
in der Stellung der Beine, die beide zuviel gleichmäßig in den Knien gebogen
die Bewegung etwas zu stark und nicht vorübergehend genug erscheinen lassen,


licher Thätigkeit und Bewegung, wie ein gewöhnliches Menschenkind, einen fallen¬
den Krieger in den Armen zu halten; das ist Sache einer zärtlichen Freundin oder
Pflegerin, während der Victoria Beruf ist, auch dem Fallenden noch die erhabene
Göttin zu sein, die ihm Sieg und Ruhm als Preis für Kampf und Tod beut,
ihn durch solchen Lohn tröstend erhebt und ihn in starkem Arm sicher empfängt,
um ihn zum verheißenen Himmel des Ruhms zu tragen. Diese Victoria erscheint
zu weich, fast sentimental, doch ist sie nicht ohne Grazie, wenn freilich anch von
etwas manierirtcr. Aber vollkommen mißlungen ist der Jüngling, der wahrlich
nicht so aussieht, als ob er seinem Feinde viel zu schaffen gemacht hat und in
rüstigem Kampf gefallen ist, sondern eher, wie auf dem Marsche ermüdet; dabei
ist er unschön in der Bewegung, namentlich die Beine, von flacher Brust und
unkräftigen Bau, besonders mißlungen ist die hängende rechte Schulter und die
Hüftpartie.

Manches gute und zum Theil schöne Detail, vorzüglich in der Figur der Victo-
rien, kann für den im allgemeinen verfehlten Eindruck nicht entschädigen. — Welch
kräftige Gestalten und Geberden dagegen in den übrigen Gruppen! Wir gehen
gleich weiter zu der von A. Wolfs, der einzigen noch auf dieser Seite vollen¬
deten. Ein Jüngling, der das Schwert zieht, stürzt sich zum Streit vor, geführt
von Minerva, welche die eine Hand anfeuernd hoch über ihn hebt, in der andern
einen Kranz als Kampfpreis hält. Ist schon der Jüngling voll Kraft und Leben, so
ist die überlegene Sicherheit und göttliche Erhabenheit der Minerva ungleich hö¬
her anzuschlagen; ich möchte ihr von den drei Minerveu, die alle schon sind, fast
den Preis zuerkennen, während ich unter den Kriegern wol dem von Schievelbein,
der unter Minervas Anleitung den Speer wirft, eher den Vorzug gebe. Er ist
durchweg schön, kraftvoll und lebendig in Ausdruck, Form und Bewegung, da bei
aller Vortrefflichkeit der übrigen doch hie und da etwas auszusetze» ist. So er¬
scheint bei dem vorerwähnten von A. Wolff der Oberkörper mit den Arme»,
vorzüglich die Brust von etwas zu runder, weicher Fülle, was mit den festgeformten
Beinen nicht recht in Harmonie steht. — Bei der Gruppe von Möller, Minerva
übergibt einem Jüngling el» Schwert (wie zur Vertheidigung des Vaterlandes),
i» der andern Hand eine Victoria haltend (das Ziel, das er erstreben soll), ist
die Minerva außerordentlich schön, namentlich bietet ihre Gestalt von der Seite
der Linden aus gesehen höchst wohlthuende Lineen. Der Jüngling aber befriedigt
zwar vollkommen in der Form und Bildung, jedoch nicht ganz in der Be¬
wegung. Die vortreffliche Intention, das erhebende Gefühl auszudrücken, das
alle Glieder in dem Moment durchzuckt, als er das Schwert zur Vertheidigung
des Vaterlandes empfängt, äußert sich zwar verständlich, aber nicht recht fein und
natürlich in der etwas starken Senkung der einen Hüfte gegen die andere und
in der Stellung der Beine, die beide zuviel gleichmäßig in den Knien gebogen
die Bewegung etwas zu stark und nicht vorübergehend genug erscheinen lassen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/250>, abgerufen am 22.07.2024.