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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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aber unfaßbarer Stoff wenigstens eine Art von Form zu geben. In der Lite¬
ratur wie in den Denkmalen gruppiren sich ganz natürlich eine Reihe von Zu¬
ständen, deren zeitliches Verhältniß wir zwar nicht mit historischer Gewißheit über¬
sehen, die aber unzweifelhaft wirkliche Momente der Entwickelung ausdrücken. Die
Bewegung des religiösen Gedankens zieht sich wie ein rother Faden durch diese
häusig sehr überraschenden Verwandlungen.

Wir finden in den ältesten epischen Gedichten, sowie in den plastischen Dar¬
stellungen das Bild eiues Zeitalters, in welchem ein freies lebendiges Heiden-
thum die indische Welt bewegte, individuelle Gottheiten als Ideale dieses Helden-
thums und einen stolzen kriegerischen Ton in den Sagen, in denen sich die Er¬
innerung fixirte. Dann plötzlich finden wir einen ganz entgegengesetzten Zustand
des Geistes. Aus dem Polytheismus wird Pantheismus, die individuellen
Göttergestalten verflüchtigen sich in dunkle Naturbeziehungen, an Stelle des freu¬
digen Heldenthums tritt die abstracte Tilgend, die Entsagung, Aufopferung und
Erlösung, ein naturfeindliches Priesterthum bemächtigt sich der Gemüther des
Volks, finstere Vorstellungen von der Hölle tauchen aus, die Individualitäten
gruppiren sich massenhaft in symbolisch geschiedene Classen. Diese Zeit der Herr¬
schaft des Braminenthnms stellt sich als eine spätere dar, sehr gegen die gewöhn¬
lichen Voraussetzungen unserer Mystiker, die das Unbestimmte, Heilige, das Prie¬
sterthum überhaupt gewöhnlich in die Urzeit verlegen. Auch in den beiden großen
epischen Gedichten der Inder läßt sich diese Scheidung verfolgen. Dann folgt ein
drittes Zeitalter. Das Braminenthum tritt zum Se.iatsleben in ein bestimmtes Verhält¬
niß, es bemächtigt sich der Gesetzgebung. Es entsteht keine Theokratie daraus, denn
die Braminen gewinnen nicht die weltliche Herrschaft. Obgleich die erste heilige
Classe im Staat, überlassen sie doch das Königthum einer geringeren Classe; sie
vertiefen sich mit > mystischen Betrachtungen "ut mit spitzfindiger Philosophie in
die überirdische Welt. Durch eine sehr ins Detail gehende willkürliche Gesetz¬
gebung werden die natürlichen Unterschiede, die durch Eroberungen, durch ver¬
schiedene Lebensbeschäftigungen und dergl. gebildet waren, künstlich und gewalt¬
sam fixirt, die durch das Klima begünstigten Neigungen des Volks werden in ge¬
setzliche Bestimmungen eingezwängt. So entsteht jene wunderbare Welt, die uns
fast immer ausschließlich vorschwebt, wenn wir an Indien denken, und die auch
unzweifelhaft deu breitesten Raum in der indischen Geschichte einnimmt/ Allein
auch dieser Zustand starrer Gesetzlichkeit wird durch eine geistige Revolution zerstört.
Indem die religiöse Abstraction zu ihrer wildesten Konsequenz fortschreitet, ent¬
steht der Buddhaismus, die unbedingte Verleugnung alles Lebens und aller Gestalt
ZU Gunsten einer leeren Negation. Der Buddhaismus bemächtigt sich nicht durch
"nßere Unterwerfung, sondern durch geistige Mittheilung zunächst der untern,
unterdrückten Classen des Volkes und steigt dann immer weiter ans, so daß das
Braminenthum nicht länger im Stande ist, sich ihm zu verschließen. Nun tritt


aber unfaßbarer Stoff wenigstens eine Art von Form zu geben. In der Lite¬
ratur wie in den Denkmalen gruppiren sich ganz natürlich eine Reihe von Zu¬
ständen, deren zeitliches Verhältniß wir zwar nicht mit historischer Gewißheit über¬
sehen, die aber unzweifelhaft wirkliche Momente der Entwickelung ausdrücken. Die
Bewegung des religiösen Gedankens zieht sich wie ein rother Faden durch diese
häusig sehr überraschenden Verwandlungen.

Wir finden in den ältesten epischen Gedichten, sowie in den plastischen Dar¬
stellungen das Bild eiues Zeitalters, in welchem ein freies lebendiges Heiden-
thum die indische Welt bewegte, individuelle Gottheiten als Ideale dieses Helden-
thums und einen stolzen kriegerischen Ton in den Sagen, in denen sich die Er¬
innerung fixirte. Dann plötzlich finden wir einen ganz entgegengesetzten Zustand
des Geistes. Aus dem Polytheismus wird Pantheismus, die individuellen
Göttergestalten verflüchtigen sich in dunkle Naturbeziehungen, an Stelle des freu¬
digen Heldenthums tritt die abstracte Tilgend, die Entsagung, Aufopferung und
Erlösung, ein naturfeindliches Priesterthum bemächtigt sich der Gemüther des
Volks, finstere Vorstellungen von der Hölle tauchen aus, die Individualitäten
gruppiren sich massenhaft in symbolisch geschiedene Classen. Diese Zeit der Herr¬
schaft des Braminenthnms stellt sich als eine spätere dar, sehr gegen die gewöhn¬
lichen Voraussetzungen unserer Mystiker, die das Unbestimmte, Heilige, das Prie¬
sterthum überhaupt gewöhnlich in die Urzeit verlegen. Auch in den beiden großen
epischen Gedichten der Inder läßt sich diese Scheidung verfolgen. Dann folgt ein
drittes Zeitalter. Das Braminenthum tritt zum Se.iatsleben in ein bestimmtes Verhält¬
niß, es bemächtigt sich der Gesetzgebung. Es entsteht keine Theokratie daraus, denn
die Braminen gewinnen nicht die weltliche Herrschaft. Obgleich die erste heilige
Classe im Staat, überlassen sie doch das Königthum einer geringeren Classe; sie
vertiefen sich mit > mystischen Betrachtungen »ut mit spitzfindiger Philosophie in
die überirdische Welt. Durch eine sehr ins Detail gehende willkürliche Gesetz¬
gebung werden die natürlichen Unterschiede, die durch Eroberungen, durch ver¬
schiedene Lebensbeschäftigungen und dergl. gebildet waren, künstlich und gewalt¬
sam fixirt, die durch das Klima begünstigten Neigungen des Volks werden in ge¬
setzliche Bestimmungen eingezwängt. So entsteht jene wunderbare Welt, die uns
fast immer ausschließlich vorschwebt, wenn wir an Indien denken, und die auch
unzweifelhaft deu breitesten Raum in der indischen Geschichte einnimmt/ Allein
auch dieser Zustand starrer Gesetzlichkeit wird durch eine geistige Revolution zerstört.
Indem die religiöse Abstraction zu ihrer wildesten Konsequenz fortschreitet, ent¬
steht der Buddhaismus, die unbedingte Verleugnung alles Lebens und aller Gestalt
ZU Gunsten einer leeren Negation. Der Buddhaismus bemächtigt sich nicht durch
"nßere Unterwerfung, sondern durch geistige Mittheilung zunächst der untern,
unterdrückten Classen des Volkes und steigt dann immer weiter ans, so daß das
Braminenthum nicht länger im Stande ist, sich ihm zu verschließen. Nun tritt


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[0183] aber unfaßbarer Stoff wenigstens eine Art von Form zu geben. In der Lite¬ ratur wie in den Denkmalen gruppiren sich ganz natürlich eine Reihe von Zu¬ ständen, deren zeitliches Verhältniß wir zwar nicht mit historischer Gewißheit über¬ sehen, die aber unzweifelhaft wirkliche Momente der Entwickelung ausdrücken. Die Bewegung des religiösen Gedankens zieht sich wie ein rother Faden durch diese häusig sehr überraschenden Verwandlungen. Wir finden in den ältesten epischen Gedichten, sowie in den plastischen Dar¬ stellungen das Bild eiues Zeitalters, in welchem ein freies lebendiges Heiden- thum die indische Welt bewegte, individuelle Gottheiten als Ideale dieses Helden- thums und einen stolzen kriegerischen Ton in den Sagen, in denen sich die Er¬ innerung fixirte. Dann plötzlich finden wir einen ganz entgegengesetzten Zustand des Geistes. Aus dem Polytheismus wird Pantheismus, die individuellen Göttergestalten verflüchtigen sich in dunkle Naturbeziehungen, an Stelle des freu¬ digen Heldenthums tritt die abstracte Tilgend, die Entsagung, Aufopferung und Erlösung, ein naturfeindliches Priesterthum bemächtigt sich der Gemüther des Volks, finstere Vorstellungen von der Hölle tauchen aus, die Individualitäten gruppiren sich massenhaft in symbolisch geschiedene Classen. Diese Zeit der Herr¬ schaft des Braminenthnms stellt sich als eine spätere dar, sehr gegen die gewöhn¬ lichen Voraussetzungen unserer Mystiker, die das Unbestimmte, Heilige, das Prie¬ sterthum überhaupt gewöhnlich in die Urzeit verlegen. Auch in den beiden großen epischen Gedichten der Inder läßt sich diese Scheidung verfolgen. Dann folgt ein drittes Zeitalter. Das Braminenthum tritt zum Se.iatsleben in ein bestimmtes Verhält¬ niß, es bemächtigt sich der Gesetzgebung. Es entsteht keine Theokratie daraus, denn die Braminen gewinnen nicht die weltliche Herrschaft. Obgleich die erste heilige Classe im Staat, überlassen sie doch das Königthum einer geringeren Classe; sie vertiefen sich mit > mystischen Betrachtungen »ut mit spitzfindiger Philosophie in die überirdische Welt. Durch eine sehr ins Detail gehende willkürliche Gesetz¬ gebung werden die natürlichen Unterschiede, die durch Eroberungen, durch ver¬ schiedene Lebensbeschäftigungen und dergl. gebildet waren, künstlich und gewalt¬ sam fixirt, die durch das Klima begünstigten Neigungen des Volks werden in ge¬ setzliche Bestimmungen eingezwängt. So entsteht jene wunderbare Welt, die uns fast immer ausschließlich vorschwebt, wenn wir an Indien denken, und die auch unzweifelhaft deu breitesten Raum in der indischen Geschichte einnimmt/ Allein auch dieser Zustand starrer Gesetzlichkeit wird durch eine geistige Revolution zerstört. Indem die religiöse Abstraction zu ihrer wildesten Konsequenz fortschreitet, ent¬ steht der Buddhaismus, die unbedingte Verleugnung alles Lebens und aller Gestalt ZU Gunsten einer leeren Negation. Der Buddhaismus bemächtigt sich nicht durch "nßere Unterwerfung, sondern durch geistige Mittheilung zunächst der untern, unterdrückten Classen des Volkes und steigt dann immer weiter ans, so daß das Braminenthum nicht länger im Stande ist, sich ihm zu verschließen. Nun tritt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/183>, abgerufen am 27.07.2024.