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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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germanischen Eroberern, die im Christenthum und in den römischen Staatsformen
gleichfalls orientalische Momente in sich aufnehmen, bis mit dem Islam der
Orient sich zu einem neuen Leben zusammenrafft und jenen die Welt umfassenden
Gegensatz hervorbringt, der im wesentlichen noch fortdauert. In diesem Augen¬
blicke scheint es so, als ob auch der letzte Orient, das chinesische Reich, in die
allgemeine Culturbewegung eintreten werde.

So bewegt sich seit den Perserkriegen die Geschichte in einer ununter¬
brochenen und im wesentlichen dem gleichen Gesetz folgenden Kontinuität weiter
fort, während die Zeit, die vor jenem großen Ereignis; liegt, mir die elementaren
Stoffe enthält, die sich durcheinandcrdrängen, aber vergebens "ach einer festen
Gestalt suchen. Es ist daher kein Zufall, daß der erste wirkliche Geschicht¬
schreiber, daß Herodot mit jener Bewegung zusammenfällt. Was vor jener Zeit
gewesen war, berichtet er im wesentlichen in der nämlichen Art, wenn auch mit
viel geringeren Kenntnissen, als wir eS nach unseren neuen Forschungen zu thun
vermögen. Selbst wenn es möglich wäre, was freilich nicht der Fall ist, daß
alle Lücken unserer Kenntniß sich soweit ergänzten, uns wenigstens eine unge¬
fähr," Reihenfolge jener früheren Ereignisse sichtbar zu machen, so würde doch
eine eigentlich historische Darstellung jenes Zeitalters im höheren Sinne nicht
möglich sein, weil die Bewegung für unser Erkennen keine gesetzmäßige war. Die
Gründung des persischen Reiches selbst,, der vorbereitende Act für die eigentliche
Eröffnung der Geschichte, erfolgte mit unglaublicher Schnelligkeit, während die
großen Massen der Vorzeit in ungegliederter Verwirrung vor uns liegen.

Nach diesen Voraussetzungen läge wol am nächsten, die Forschungen über
das, was in jener Vorzeit geschah, uicht in einer historischen Continuität, nicht
als eine Erzählung darzustellen, sondern in der Form der Forschung und Be¬
trachtung. Was wir von jener Vorzeit wissen, beruht theils auf den Berichten
der Griechen, theils auf unsern geographischen Studien, wohin wir zugleich unsere
astronomischen Kenntnisse und die Ueberbleibsel der alte" Baukunst rechnen, theils
in der neuerfvrsckten Literatur der östlichen Völker, namentlich der Inder. Wenn
wir also die Gliederung nach Völkergrnppen bei einem Lehrbuch der vorgeschicht¬
lichen "Zeit zu Grunde legten, so würde sich dann der Stoss nach jenen drei
Hauptmomenten gliedern. Wir würden zuerst die Nachrichten der Griechen zu¬
sammenstelle" u"d mit den neueren Forschungen vergleiche", dann die aeoqra-
Phischen und monumentalen Entdeckungen und was sich von chronologischen Be¬
stimmungen daran knüpft, in eine systematische Ordnung bringen, und endlich
die Literatur classistciren, wobei die linguistischen Forschungen unseres Jahrhun¬
derts den Schlüssel geben würden. Ueberall würden wir hier methodisch vom
Bekannten zum Unbekannten fortgehen, d. h. wir würden zunächst das, was.noch
wirklich vorhanden ist, darstellen und unsers Schlüsse und Vermuthungen daran
knüpfen, indem wir eS untereinander verglichen und das Gesetz der Anqlogie


germanischen Eroberern, die im Christenthum und in den römischen Staatsformen
gleichfalls orientalische Momente in sich aufnehmen, bis mit dem Islam der
Orient sich zu einem neuen Leben zusammenrafft und jenen die Welt umfassenden
Gegensatz hervorbringt, der im wesentlichen noch fortdauert. In diesem Augen¬
blicke scheint es so, als ob auch der letzte Orient, das chinesische Reich, in die
allgemeine Culturbewegung eintreten werde.

So bewegt sich seit den Perserkriegen die Geschichte in einer ununter¬
brochenen und im wesentlichen dem gleichen Gesetz folgenden Kontinuität weiter
fort, während die Zeit, die vor jenem großen Ereignis; liegt, mir die elementaren
Stoffe enthält, die sich durcheinandcrdrängen, aber vergebens »ach einer festen
Gestalt suchen. Es ist daher kein Zufall, daß der erste wirkliche Geschicht¬
schreiber, daß Herodot mit jener Bewegung zusammenfällt. Was vor jener Zeit
gewesen war, berichtet er im wesentlichen in der nämlichen Art, wenn auch mit
viel geringeren Kenntnissen, als wir eS nach unseren neuen Forschungen zu thun
vermögen. Selbst wenn es möglich wäre, was freilich nicht der Fall ist, daß
alle Lücken unserer Kenntniß sich soweit ergänzten, uns wenigstens eine unge¬
fähr,« Reihenfolge jener früheren Ereignisse sichtbar zu machen, so würde doch
eine eigentlich historische Darstellung jenes Zeitalters im höheren Sinne nicht
möglich sein, weil die Bewegung für unser Erkennen keine gesetzmäßige war. Die
Gründung des persischen Reiches selbst,, der vorbereitende Act für die eigentliche
Eröffnung der Geschichte, erfolgte mit unglaublicher Schnelligkeit, während die
großen Massen der Vorzeit in ungegliederter Verwirrung vor uns liegen.

Nach diesen Voraussetzungen läge wol am nächsten, die Forschungen über
das, was in jener Vorzeit geschah, uicht in einer historischen Continuität, nicht
als eine Erzählung darzustellen, sondern in der Form der Forschung und Be¬
trachtung. Was wir von jener Vorzeit wissen, beruht theils auf den Berichten
der Griechen, theils auf unsern geographischen Studien, wohin wir zugleich unsere
astronomischen Kenntnisse und die Ueberbleibsel der alte» Baukunst rechnen, theils
in der neuerfvrsckten Literatur der östlichen Völker, namentlich der Inder. Wenn
wir also die Gliederung nach Völkergrnppen bei einem Lehrbuch der vorgeschicht¬
lichen "Zeit zu Grunde legten, so würde sich dann der Stoss nach jenen drei
Hauptmomenten gliedern. Wir würden zuerst die Nachrichten der Griechen zu¬
sammenstelle» u»d mit den neueren Forschungen vergleiche«, dann die aeoqra-
Phischen und monumentalen Entdeckungen und was sich von chronologischen Be¬
stimmungen daran knüpft, in eine systematische Ordnung bringen, und endlich
die Literatur classistciren, wobei die linguistischen Forschungen unseres Jahrhun¬
derts den Schlüssel geben würden. Ueberall würden wir hier methodisch vom
Bekannten zum Unbekannten fortgehen, d. h. wir würden zunächst das, was.noch
wirklich vorhanden ist, darstellen und unsers Schlüsse und Vermuthungen daran
knüpfen, indem wir eS untereinander verglichen und das Gesetz der Anqlogie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/181>, abgerufen am 25.08.2024.