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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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tiger (tds mors enerKelie); alt, um so erfahrener; einer aus ihrer Mitte -- sie
liebten ihn um so mehr; fremd -- sie vertrauten ihm um so mehr. Sie hörten das
Wort Gottes immer in gleicher Form. Ihnen kam nie der Gedanke: wird er
uns dasselbe lehren, was wir am vorigen Sonntag gehört haben? Wird er der¬
selben Ansicht über das Abendmahl sein wie der letzte Prediger? Wird er ebenso
weit gehn in Bezug auf die wirkliche Gegenwart? (Er zählte noch eine Anzahl
dogmatischer Streitpunkte auf). Wenn das Fest des Schutzheilige" der Diöcese
kam, strömten die Gemeinden zusammen zu der Kathedralkirche, von allen Seiten,
ihre Banner voran, pilgerten Nachte durch, die Kinder auf den Schultern der
Erwachsenen, -- alle mußten dabei sein. Darum bauten unsere Vorfahren solche
Kirchen, deren gewaltige Räume jetzt nur bei einem musikalischen Fest oder dem
Besuch eines Richters gefüllt werden können. Wenn der Bischof in prachtvollem
Ornat, .umgeben von hundert Chorherren, vor den Altar trat, vernahmen sie
etwas Anderes, als was der arme Pfarrer des Dorfes sie gelehrt? Und wenn
der Bischof der Metropolis die Geistlichen des ganzen Landes zusammenberief,
Männer, die in der Hauptstadt lebten und in täglichem Verkehr mit ihm waren,
und solche, die in tiefer Abgeschiedenheit eines Felsenklosters wohnten; einfache
ländliche Priester und solche, die Tag und Nacht in den alten Pergamenten der
Bibliotheken forschten -- sie waren einträchtig wie Brüder, der höhere sah nicht
auf den geringeren, der gelehrte nicht ans den ungelehrten herab. Und wenn der
Papst alle Bischöfe der Christenheit versammelte -- Männer, die nicht blos durch
Flüsse und Berge, nein, dnrch Meer und Oceane getrennt waren, Männer, die
einander nie im Leben gesehen hatten: sie vereinten sich zu gemeinsamer Berathung,
und kehrten mit segensreichen Ergebnissen, neuen heilsamen Einrichtungen, Ab¬
schaffung von Mißbräuchen in ihre Heimat zurück^ So ist das Sandkorn zum
Gebirge geworden, das die ganze Erde erfüllt.

Wie wurde diese Einheit verloren? Es ist irdische Klugheit, wenn man
einer Gemeinschaft einen Zweck annehmbar machen will, ihn möglichst aus das
Interesse dieser Gemeinschaft zu beschränken. Woran die Familie sich gemeinsam
beteiligen soll, das muß ebeu nur ein Familieninteresse haben; woran die Stadt,
ein municipales; die Provinz, ein provinzielles; das Land, ein nationales, kein
kosmopolitisches, kein utopisches. Wer dies im Auge behält, ist seines Erfolgs
gewiß. Wir mögen manchmal über Mängel unsrer Zustände murren (Arumbls),
wir mögen sie bekritteln lerttwiso) -- aber laßt den Fremden sie angreifen, die
Armee, die Flotte, die Verfassung, die Jury -- dann werden wir uns um unsre
Institutionen' scharen und sie vertheidigen. Durch Appellativ" an das englische
Nationalgefühl wurde zu Staude gebracht, ndat i8 oallscl ete rökormation. Der
sie machte und die ihm folgten, sprachen: wir wollen die Einheit, die Christus
wollte; wir wollen alle kirchlichen Einrichtungen festhalten: aber soll ein Fremder,
ein italienischer Priester (a stranxer, a korsi^nor, an iwlmn priest) uns Gesetze


tiger (tds mors enerKelie); alt, um so erfahrener; einer aus ihrer Mitte — sie
liebten ihn um so mehr; fremd — sie vertrauten ihm um so mehr. Sie hörten das
Wort Gottes immer in gleicher Form. Ihnen kam nie der Gedanke: wird er
uns dasselbe lehren, was wir am vorigen Sonntag gehört haben? Wird er der¬
selben Ansicht über das Abendmahl sein wie der letzte Prediger? Wird er ebenso
weit gehn in Bezug auf die wirkliche Gegenwart? (Er zählte noch eine Anzahl
dogmatischer Streitpunkte auf). Wenn das Fest des Schutzheilige« der Diöcese
kam, strömten die Gemeinden zusammen zu der Kathedralkirche, von allen Seiten,
ihre Banner voran, pilgerten Nachte durch, die Kinder auf den Schultern der
Erwachsenen, — alle mußten dabei sein. Darum bauten unsere Vorfahren solche
Kirchen, deren gewaltige Räume jetzt nur bei einem musikalischen Fest oder dem
Besuch eines Richters gefüllt werden können. Wenn der Bischof in prachtvollem
Ornat, .umgeben von hundert Chorherren, vor den Altar trat, vernahmen sie
etwas Anderes, als was der arme Pfarrer des Dorfes sie gelehrt? Und wenn
der Bischof der Metropolis die Geistlichen des ganzen Landes zusammenberief,
Männer, die in der Hauptstadt lebten und in täglichem Verkehr mit ihm waren,
und solche, die in tiefer Abgeschiedenheit eines Felsenklosters wohnten; einfache
ländliche Priester und solche, die Tag und Nacht in den alten Pergamenten der
Bibliotheken forschten — sie waren einträchtig wie Brüder, der höhere sah nicht
auf den geringeren, der gelehrte nicht ans den ungelehrten herab. Und wenn der
Papst alle Bischöfe der Christenheit versammelte — Männer, die nicht blos durch
Flüsse und Berge, nein, dnrch Meer und Oceane getrennt waren, Männer, die
einander nie im Leben gesehen hatten: sie vereinten sich zu gemeinsamer Berathung,
und kehrten mit segensreichen Ergebnissen, neuen heilsamen Einrichtungen, Ab¬
schaffung von Mißbräuchen in ihre Heimat zurück^ So ist das Sandkorn zum
Gebirge geworden, das die ganze Erde erfüllt.

Wie wurde diese Einheit verloren? Es ist irdische Klugheit, wenn man
einer Gemeinschaft einen Zweck annehmbar machen will, ihn möglichst aus das
Interesse dieser Gemeinschaft zu beschränken. Woran die Familie sich gemeinsam
beteiligen soll, das muß ebeu nur ein Familieninteresse haben; woran die Stadt,
ein municipales; die Provinz, ein provinzielles; das Land, ein nationales, kein
kosmopolitisches, kein utopisches. Wer dies im Auge behält, ist seines Erfolgs
gewiß. Wir mögen manchmal über Mängel unsrer Zustände murren (Arumbls),
wir mögen sie bekritteln lerttwiso) — aber laßt den Fremden sie angreifen, die
Armee, die Flotte, die Verfassung, die Jury — dann werden wir uns um unsre
Institutionen' scharen und sie vertheidigen. Durch Appellativ» an das englische
Nationalgefühl wurde zu Staude gebracht, ndat i8 oallscl ete rökormation. Der
sie machte und die ihm folgten, sprachen: wir wollen die Einheit, die Christus
wollte; wir wollen alle kirchlichen Einrichtungen festhalten: aber soll ein Fremder,
ein italienischer Priester (a stranxer, a korsi^nor, an iwlmn priest) uns Gesetze


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/152>, abgerufen am 22.07.2024.