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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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verlangte, und dann hat auch der musikalische Ausdruck eine abgeschlossene
Form gewonnen. So im zweiten Act, nachdem Ortrud ihren Racheplan
Friedrich mitgetheilt hat, singen beide unisono-


Der Rache Werk sei nun beschworen
aus meines Busens wilder Nacht.
Die ihr in süßem Schlaf verloren,
wißt, daß für euch das Unheil wacht!

Absolut dramatisch ist dies gemeinsame Recapituliren gewiß nicht, vielmehr
recht opernhaft, aber hier ganz, am Platz, und das kurze Duett würde wirksam
sein, wenn nicht in, der vorhergehenden langen Scene alle Empfindungen des
Hasses und der Rache so im Detail mit den lebhaftesten Farben ausgeführt
wären, daß für den letzten Hauptschlag die Mittel der Steigerung ausgegangen
sind.

Nach Sonnenaufgang versammeln sich die Edlen und Mannen mit
dem Chor:'


In Frihn versammelt uns der Ruf,
gar viel verheißet wol der Tag.
Der hier so hehre Wunder schuf,
manch neue That vollbringen mag.

An sich ist gar kein Grund da, diese trivialen Gedanken auszusprechen und
im Drama würden sie lächerlich sein; hier breiten sie sich in einem langen
Chor aus, der nur darin seine Rechtfertigung finden kaun, wenn er gut klingt.
Nicht anders ist es mit dem Brautlied, dessen weite Ausführung auch der
Oper allein zugestanden werden kann, im Drama aber ungehörig sein würde.
Ganz besonders tritt dies in allen Ensemblesätzen hervor; der gleichzeitige Aus¬
druck der verschiedenartigen Empfindungen, nicht in einem bloßen Nebenein¬
ander, sondern in ihrer Vereinigung zu einem künstlerischen Ganzen ist so wesent¬
lich musikalisch, daß die Gesetze dieser Kunst sich mit Nothwendigkeit geltend machen
und ein Beharren in der Situation bewirken, welches der dramatisch bewegten
Handlung an sich fremd, oder nicht nothwendig eigen ist. So sind denn auch
Wagners Ensemblesätze beschaffen; als Muster kann das Gebet im ersten Act
gelten, welches ein so vollständig, auch äußerlich abgerundeter Satz ist, daß
man ihn ohne Beschwer, wie er da ist, herauslösen kann. * Charakteristisch ist
es auch, daß Wagner, der sonst die Tertesworte nie wiederholt, in den En-
semblesätzen wie in den selbstständig ausgeführten Chören, die Worte wieder¬
holt, auseinanderzieht, versetzt, wie es ihm für die musikalische Structur paßt,
sehr oft ohne alle billige Rücksicht auf seine eigene Poesie; was nach seinem
Princip eine rein äußerliche Concession gegen das Opernhafte, d. h. Undra¬
matische ist.

Versucht man zunächst an diesen Sätzen, welche in der That musikalische
sind, über Wagners musikalische Fähigkeit sich zu orientiren, so findet man kluge


verlangte, und dann hat auch der musikalische Ausdruck eine abgeschlossene
Form gewonnen. So im zweiten Act, nachdem Ortrud ihren Racheplan
Friedrich mitgetheilt hat, singen beide unisono-


Der Rache Werk sei nun beschworen
aus meines Busens wilder Nacht.
Die ihr in süßem Schlaf verloren,
wißt, daß für euch das Unheil wacht!

Absolut dramatisch ist dies gemeinsame Recapituliren gewiß nicht, vielmehr
recht opernhaft, aber hier ganz, am Platz, und das kurze Duett würde wirksam
sein, wenn nicht in, der vorhergehenden langen Scene alle Empfindungen des
Hasses und der Rache so im Detail mit den lebhaftesten Farben ausgeführt
wären, daß für den letzten Hauptschlag die Mittel der Steigerung ausgegangen
sind.

Nach Sonnenaufgang versammeln sich die Edlen und Mannen mit
dem Chor:'


In Frihn versammelt uns der Ruf,
gar viel verheißet wol der Tag.
Der hier so hehre Wunder schuf,
manch neue That vollbringen mag.

An sich ist gar kein Grund da, diese trivialen Gedanken auszusprechen und
im Drama würden sie lächerlich sein; hier breiten sie sich in einem langen
Chor aus, der nur darin seine Rechtfertigung finden kaun, wenn er gut klingt.
Nicht anders ist es mit dem Brautlied, dessen weite Ausführung auch der
Oper allein zugestanden werden kann, im Drama aber ungehörig sein würde.
Ganz besonders tritt dies in allen Ensemblesätzen hervor; der gleichzeitige Aus¬
druck der verschiedenartigen Empfindungen, nicht in einem bloßen Nebenein¬
ander, sondern in ihrer Vereinigung zu einem künstlerischen Ganzen ist so wesent¬
lich musikalisch, daß die Gesetze dieser Kunst sich mit Nothwendigkeit geltend machen
und ein Beharren in der Situation bewirken, welches der dramatisch bewegten
Handlung an sich fremd, oder nicht nothwendig eigen ist. So sind denn auch
Wagners Ensemblesätze beschaffen; als Muster kann das Gebet im ersten Act
gelten, welches ein so vollständig, auch äußerlich abgerundeter Satz ist, daß
man ihn ohne Beschwer, wie er da ist, herauslösen kann. * Charakteristisch ist
es auch, daß Wagner, der sonst die Tertesworte nie wiederholt, in den En-
semblesätzen wie in den selbstständig ausgeführten Chören, die Worte wieder¬
holt, auseinanderzieht, versetzt, wie es ihm für die musikalische Structur paßt,
sehr oft ohne alle billige Rücksicht auf seine eigene Poesie; was nach seinem
Princip eine rein äußerliche Concession gegen das Opernhafte, d. h. Undra¬
matische ist.

Versucht man zunächst an diesen Sätzen, welche in der That musikalische
sind, über Wagners musikalische Fähigkeit sich zu orientiren, so findet man kluge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/130>, abgerufen am 22.07.2024.