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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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das Geheimniß werde schwinden, wenn er Lohengrin um das kleinste Glied
entreißen könne,


ich bin dir nah zur Nacht --
rufst du, ohn' Schaden ist es schnell vollbracht,

Diese befremdendste Zumuthung, die wohl je an eine Braut am Hochzeitstag
gemacht worden ist, bringt Elsa zu sich, sie sinkt Lohengrin zu Füßen und ver¬
sichert ihm endlich, daß ihre Liebe hoch über alles Zweifels Macht stehe. Daß
sie sich diese Versicherung erst abkämpfen muß, ist freilich eine sichere Gewähr
daß ihr Vertrauen zu ihm schon erschüttert ist, und Ortrud hat Recht, ihr höhnend
zu drohen. Der gute König aber und alle Männer und Frauen sind wie
gewöhnlich in begeisterter Rührung, worüber wieder vergessen wird, an Friedrich
und Ortrud die Acht zu vollziehen, was nach allem, was vorgegangen ist,
rein unbegreiflich sein würde, wenn sie nicht noch im letzten Act auftreten
müßten.

Dies unglückliche Motiv vom Gliedabschneiden ist wiederum einer anderen
Sage entnommen und ungeschickt verwendet. Im Titurel vermählt sich Lohen¬
grin, nachdem er Elsa verlassen hat, mit der schönen Belaye von Luxemburg,
die ihn so zärtlich liebt, daß sie ihn nimmer von sich lassen mag und sich in
Sehnsucht verzehrt, wenn er nur aus die Jagd gegangen ist. Da ertheilt
ihren Verwandten, die dies für die Wirkung eines Liebeszaubers halten, eine
Kammerfrau den falschen Rath, welchen Belaye verschmäht hatte, ihm ein
Stück Fleisch abzuschneiden, das Belaye essen müsse, um den Zauber zu lösen.
Sie überfallen den von der Jagd ermüdeten Lohengrin, er setzt sich zur Wehr, erhält
aber eine Wunde, an der er stirbt. Man sieht, hier ist doch Zusammenhang,
während das losgelöste Motiv in der Oper als ein fremdartiges Element er¬
scheint, das in keiner organischen Verbindung mit dem Ganzen steht.

Im dritten Act werden Lohengrin und Elsa feierlich ins Brautgemach
geleitet. Dort sich selbst überlassen tauschen sie die Versicherungen ihrer Liebe
und ihres Glücks. Allein bald entbehrt Elsa es schmerzlich, den Geliebten
nicht beim Namen nennen zu können, den sie nnr in der Einsamkeit, beim
trautesten Liebeökosen auszusprechen wünscht. Er tröstet sie, wie man balsamische
Düfte gern einathme, ohne zu fragen, woher sie kämen, so wirke auch die Liebe
namenlos ihren Zauber. Begreiflicherweise fühlt sie sich durch dies poetische
Gleichnis; nicht beruhigt, sie klagt, daß sie sich um ihn kein Verdienst erwerben
könne, wie er es um sie habe, sie wünscht, daß sein Geheimniß gefahrbringend
für ihn sein möge, und daß sie es wisse, damit sie durch Schweigen sein Ver¬
trauen rechtfertigen könne. Er sucht sie von neuem zu beruhigen, daß er ihr
ja sein Vertrauen gezeigt habe, und um ihr die Kraft seiner Liebe zu bewähren,
deutet er ihr an, dass er Glück und Glanz um ihretwillen verlassen habe.
Allein das regt sie nur noch mehr auf, sie fürchtet, er werde sich nach dem


das Geheimniß werde schwinden, wenn er Lohengrin um das kleinste Glied
entreißen könne,


ich bin dir nah zur Nacht —
rufst du, ohn' Schaden ist es schnell vollbracht,

Diese befremdendste Zumuthung, die wohl je an eine Braut am Hochzeitstag
gemacht worden ist, bringt Elsa zu sich, sie sinkt Lohengrin zu Füßen und ver¬
sichert ihm endlich, daß ihre Liebe hoch über alles Zweifels Macht stehe. Daß
sie sich diese Versicherung erst abkämpfen muß, ist freilich eine sichere Gewähr
daß ihr Vertrauen zu ihm schon erschüttert ist, und Ortrud hat Recht, ihr höhnend
zu drohen. Der gute König aber und alle Männer und Frauen sind wie
gewöhnlich in begeisterter Rührung, worüber wieder vergessen wird, an Friedrich
und Ortrud die Acht zu vollziehen, was nach allem, was vorgegangen ist,
rein unbegreiflich sein würde, wenn sie nicht noch im letzten Act auftreten
müßten.

Dies unglückliche Motiv vom Gliedabschneiden ist wiederum einer anderen
Sage entnommen und ungeschickt verwendet. Im Titurel vermählt sich Lohen¬
grin, nachdem er Elsa verlassen hat, mit der schönen Belaye von Luxemburg,
die ihn so zärtlich liebt, daß sie ihn nimmer von sich lassen mag und sich in
Sehnsucht verzehrt, wenn er nur aus die Jagd gegangen ist. Da ertheilt
ihren Verwandten, die dies für die Wirkung eines Liebeszaubers halten, eine
Kammerfrau den falschen Rath, welchen Belaye verschmäht hatte, ihm ein
Stück Fleisch abzuschneiden, das Belaye essen müsse, um den Zauber zu lösen.
Sie überfallen den von der Jagd ermüdeten Lohengrin, er setzt sich zur Wehr, erhält
aber eine Wunde, an der er stirbt. Man sieht, hier ist doch Zusammenhang,
während das losgelöste Motiv in der Oper als ein fremdartiges Element er¬
scheint, das in keiner organischen Verbindung mit dem Ganzen steht.

Im dritten Act werden Lohengrin und Elsa feierlich ins Brautgemach
geleitet. Dort sich selbst überlassen tauschen sie die Versicherungen ihrer Liebe
und ihres Glücks. Allein bald entbehrt Elsa es schmerzlich, den Geliebten
nicht beim Namen nennen zu können, den sie nnr in der Einsamkeit, beim
trautesten Liebeökosen auszusprechen wünscht. Er tröstet sie, wie man balsamische
Düfte gern einathme, ohne zu fragen, woher sie kämen, so wirke auch die Liebe
namenlos ihren Zauber. Begreiflicherweise fühlt sie sich durch dies poetische
Gleichnis; nicht beruhigt, sie klagt, daß sie sich um ihn kein Verdienst erwerben
könne, wie er es um sie habe, sie wünscht, daß sein Geheimniß gefahrbringend
für ihn sein möge, und daß sie es wisse, damit sie durch Schweigen sein Ver¬
trauen rechtfertigen könne. Er sucht sie von neuem zu beruhigen, daß er ihr
ja sein Vertrauen gezeigt habe, und um ihr die Kraft seiner Liebe zu bewähren,
deutet er ihr an, dass er Glück und Glanz um ihretwillen verlassen habe.
Allein das regt sie nur noch mehr auf, sie fürchtet, er werde sich nach dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/102>, abgerufen am 22.07.2024.